Sebastian Preuss

ist stellvertretender Chefredakteur der WELTKUNST und von KUNST UND AUKTIONEN. Er kommentiert, was ihn aufregt oder erfreut im Kunstbetrieb.

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Christoph Amend

ist Chefredakteur des ZEITmagazins und Herausgeber von WELTKUNST und KUNST UND AUKTIONEN. Jeden Monat befragt er den Kurator Hans Ulrich Obrist nach seinen Entdeckungen.

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Tillmann Prüfer

ist Style Director des ZEITmagazin. Er stellt jeden Monat herausragende Leistungen der Handwerkskunst vor.

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Annegret Erhard

Annegret Erhard ist ehemalige Chefredakteurin von KUNST UND AUKTIONEN. Den Markt beobachtet sie seit vielen Jahren.

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Biennalen und die Documenta sind Teil des Kunstmarkts

Geschäfte laufen überall, auch auf den Biennalen und der Documenta. Dort ganz besonders, denn Galeristen können hier bequem und zudem gratis verkaufen

Von Annegret Erhard
10.05.2017

Haben Sie sich bereits organisiert? Oder haben Sie jetzt schon genug gesehen, waren in Hongkong und São Paulo? Frieze und Tefaf Spring in New York wollten Sie auf keinen Fall versäumen. Wie war die Art Cologne?­ Haben Sie in Brüssel gekauft? Auf ein paar regionaleren Verkaufsevents waren Sie auch? Selbstverständlich, da kann man doch wunderbare Entdeckungen machen. Bald erscheinen die Kataloge von Grisebach und Ketterer, von all den anderen weltweit renommierten Auktionshäusern mit Werken der Gegenwartskunst ganz zu schweigen. Und Basel, die wichtigste aller Messen überhaupt! Und dann noch London (wieder Frieze) und die Pariser Fiac.

Wie wäre es eigentlich mit einer hübschen Übersprungshandlung? Sie holen tief Luft, lassen alles sausen, kaufen sich einen anstrengenden Hund – und genießen die Kunst in kleinsten Dosen. Aber das darf ja nun auf keinen Fall passieren. Stillstand, wo kämen wir da hin? Er muss rasend rasen, der Kunstbetrieb. Geld muss investiert werden, Nischen mit Potenzial müssen wiederentdeckt, neue Künstler und Konzepte gefeiert werden. (Meinetwegen auch verteufelt, Hauptsache, sie sind in aller Munde.) Es ist pure Industrie, mit unendlichem Wachstumspotenzial. Na ja, sagen wir lieber: mit großen Möglichkeiten und viel Innovationskraft.

Diejenigen, die weder sammeln noch investieren wollen oder können, betrachten diese Veranstaltungen allesamt als temporäre Museen. Als Impulsgeber, erfrischend oder ärgerlich, anregend oder gar verstörend. Epiphanie nicht ausgeschlossen, damit wäre allerdings tatsächlich das Äußerste an gewinnbringender Möglichkeit ohne pekuniären Einsatz erreicht. In diesem Jahr kommen nun noch die Biennale in Venedig und die 14. Ausgabe der Documenta hinzu. Sie wurden gleichsam als Leistungsschau nach dem Vorbild der Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten Weltausstellungen konzipiert. Sie folgten – naturgemäß leicht abgewandelt – deren Ziel, die weltweit relevante, in ihrem Fall nun künstlerische Leistungsfähigkeit zu präsentieren und aktuelle Entwicklungen zu demonstrieren, um ein internationales Publikum zu beeindrucken. Freilich auch, um bestehende Märkte zu befeuern und neue zu erschließen.
Schon ab der ersten Biennale 1895 war Venedig ein Erfolg. Nach und nach wurden Länderpavillons errichtet, die dann alle zwei Jahre mit Kunst bestückt wurden. Dabei ging es gar nicht in erster Linie darum, der Avantgarde ein Forum zu geben. Prämisse war, gut zu verkaufen. Das ging so bis in die Sechzigerjahre. Erst dann gab es große zentrale Gruppenausstellungen mit thematischen Vorgaben. Kuratoren verantworteten die ambitionierten, von den Künstlern oft speziell für die Pavillons in den Giardini entworfenen Präsentationen. Der Anspruch stieg, das jetzt als vulgär empfundene Verkaufsargument war verschwunden. Und doch: Die Biennale in Venedig ist wahrscheinlich die erfolgreichste Verkaufsmesse weltweit. Die bestbesuchte mit stetig steigendem Ansturm sowieso. Die Galeristen reisen mit ihren Topsammlern an, führen hier ihre Verkaufsverhandlungen. Argumentationshilfe ist der geheiligte Ort, der Moment und die Aufmerksamkeit von Hunderttausenden Besuchern, die dem Kunstwerk so wohl nie wieder zuteil werden dürfte. Den Galeristen und Kunstvermittlern, auch den Kuratoren kann’s nur recht sein. Sie profitieren hier regelmäßig von einer staatlich organisierten und finanzierten Einrichtung, die ihnen ein kostenlos zu nutzendes, außerordentlich beeindruckendes Forum zur Verfügung stellt.

Nicht selten wechseln in den ersten der hundert Tage der Documenta Werke ihre Besitzer

Die Documenta in Kassel (in diesem Jahr auch in Athen)­ steht dem in nichts nach. Künstler und Kunstwerke, die als teilnahmetauglich eingestuft wurden, erfahren eine Nobilitierung, die sich konsequent (übrigens nicht immer dauerhaft, da braucht es dann schon den mit allen Marketingwassern gewaschenen Galeristen) auf ihre Markttauglichkeit niederschlägt. Nicht selten finden sich schon in den ersten der hundert Tage währenden Schau neue Besitzer der Werke Die Übergänge sind fließend, der kommerzielle Aspekt der Biennalen, der Großereignisse wie einer Documenta ist nur notdürftig von einem gesellschaftspolitischen Kunst- und Kulturauftrag überwoben. Das tut der Kunst freilich nichts. Den Gepflogenheiten auf dem Kunstmarkt und seiner angeblich vorhandenen Bereitschaft zur Transparenz stellt diese absolut überflüssige Scheinheiligkeit jedoch – mal wieder – kein gutes Zeugnis aus.

Doch lassen Sie sich die Biennalen und Documentas nicht verdrießen. Stemmen Sie sich mitsamt der Kunst gegen aufkeimenden Überdruss, hervorgerufen durch schwer zu bewältigende Massen und durch einen manchmal atemberaubend dreisten Kunstbetrieb. Bleiben Sie neugierig auf die Kunst, und halten Sie Kurs. Als Sammler, der sich die bittersüße Erinnerung an eine verpasste Chance ersparen will. Oder als Freund temporärer Museen, der ausgiebig und begeistert die Möglichkeit genießt, seinen verinnerlichten Kunstschatz zu erweitern. Das darf dann auch ruhig mal ein bisschen anstrengend sein.

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Relief aus Perlmutt

Die Schweizer Uhrenmanufaktur Breguet verziert mit der Kamee-Handwerkskunst Zifferblätter ihrer Uhren oder Schmuckstücke.

Von Tillmann Prüfer
30.04.2017

Am schönsten wird Strandgut, wenn daraus eine Kamee-Schnitzerei entsteht. Kamee ist ein uraltes Handwerk – winzige Reliefs aus dem Perlmutt von Weichtierschalen wurden schon vor mehr als viertausend Jahren in Mesopotamien geschnitzt. Später gelangte dieses Können vom antiken Griechenland nach Italien, wo seit dem 19. Jahrhundert die Region um das Städtchen Torre del Greco nahe Neapel das Zentrum der Kamee-Kunst ist.
Die Schweizer Uhrenmanufaktur Breguet verziert mit diesen Kunstwerken Zifferblätter ihrer Uhren oder Schmuckstücke. Die Handwerksmeister können das Material in eine Blüte verwandeln, aber auch in eine vollständige Miniatur von Leonardos Ölgemälde des letztes Abendmahls. Jede Perlmutt-Kamee beginnt mit der strengen Auswahl der Schale. Die Graveure verwenden nur Material höchster Qualität, edelstes Perlmutt mit raffinierten Farbnuancen. Ist der Werkstoff ausgewählt, beginnt der Kameen-Schnitzer die Schale zuzuschneiden und zurechtzuschleifen, bis sie vollkommen rund ist. Das Stück wird auf einen Holzstab aufgeklebt, damit man es beim Bearbeiten besser halten kann und die dünne Schale nicht zerbricht. Eine Kamee ist nur zwei Millimeter dick und äußerst empfindlich. Die Konturen des Motives werden aufgezeichnet. Anschließend beginnt die Gravur. Mit­hilfe eines einfachen Stahlstichels arbeitet der Kamee-Schnitzer die verschiedenen Figuren aus dem Perlmutt heraus.

Die Schnitzarbeit muss auf Bruchteile eines Millimeters genau sein – Fehler werden nicht verziehen. Setzt der Meister mit dem Stahlstichel ein einziges Mal falsch an, ist das Relief zerstört. Wenn die Schnitzarbeit erledigt ist, wird die Kamee gereinigt, poliert und weiterverarbeitet.
Bei Breguet werden Kameen etwa in der Uhr Reine de Naples verwendet. Oder im Schmuckensemble La Rose de la Reine, wo eine Rosen-Kamee mit einem diamantenen Band hervorgehoben und mit Akoya-Perlen in Szene gesetzt wird.
Man spricht bei Perlmutt-Kameen gerne von Muschel-Schnitzereien. Das ist nicht ganz korrekt. Breguet etwa verwendet Teile der Gehäuse großer Meerschnecken. Schnecken-Schnitzerei würde allerdings nicht so gut klingen.

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Hans Ulrich Obrist in Athen

Athen zur Documenta und eine Ausstellung von der Künstlerin Maria Lassnig.

Von Christoph Amend
28.04.2017

Herr Obrist, was haben Sie gesehen?
Athen. Ich war zum Auftakt der Documenta dort und weil im Museum der Stadt eine Ausstellung von Maria Lassnig eröffnet wurde, an der ich lange gearbeitet habe.

Sie zeigen Aquarelle von Lassnig, die in Griechenland entstanden sind, und den Titel hat Ihnen die Schriftstellerin Friederike Mayröcker geschenkt: „Die Zukunft erfinden wir …
… mit Fragmenten der Vergangenheit“, genau.

Maria Lassnig ist vor drei Jahren gestorben, Sie kannten sie gut.
Ich bin ihr zum ersten Mal 1986 begegnet. Ich habe damals viele junge Künstler besucht, und sie haben mir alle gesagt, dass sie von Maria Lassnig inspiriert sind. Also habe ich sie in Wien besucht. Wir haben uns über ihre New Yorker Jahre unterhalten, ihre frühen Filme, über Literatur. Die erste Zusammenarbeit fand ein paar Jahre später statt, für die Ausstellung „Der zerbrochene Spiegel“. Schon zu dieser Zeit ist mir aufgefallen, dass sie viel schreibt. Daraus ist das langfristige Projekt „The Pen Is The Sister Of The Brush“ entstanden mit ihren gesammelten Schriften.

2008 folgte eine große Ausstellung mit ihr in der Serpentine Gallery in London.
Ja, mit über 100.000 Besuchern, die britischen Zeitungen haben sie damals auf eine Stufe mit Francis Bacon und Lucian Freud gehoben. Kurz vor ihrem Tod 2014 hatte sie einen letzten Wunsch. Sie ist früher oft als Pauschaltouristin nach Griechenland gereist, und die dort entstandenen Arbeiten sollten einmal in Griechenland gezeigt werden.

Den Wunsch erfüllen Sie ihr.
Ihre Aquarelle stellen mythologische Figuren wie Sisyphos, Aphrodite, Neptun dar, sie werden jetzt weltweit erstmals gezeigt. Es gibt auch Gemälde von ihr in Athen, da können Sie sehen, wie sie dieses mythologische Bilderreservoir zurückträgt nach Österreich.

Wie meinen Sie das?
Es geht in ihren Gemälden immer auch um Selbstporträts. Plötzlich tauchen die mythologischen Gestalten, die sie im Urlaub kennengelernt hat, in der Landschaft Kärntens auf. Griechisches Licht trifft auf das Grün der Landschaft ihrer Heimat. Sie benutzt die Vergangenheit als eine Werkzeugkiste, um die Zukunft zu erfinden. Einmal sieht man sie mit dem Stier von Kreta um ihre Schultern im Meer. Sie geht die sehr männlich dominierte griechische Bilderwelt von ihrem feministischen Standpunkt aus an. Auf einmal steht die Frau sehr bewusst da und ist nicht mehr das schwache Opfer, als das sie oft dargestellt wurde.

Wie war Ihre letzte Begegnung mit Maria Lassnig?
Es sind drei wichtige Dinge passiert. Erstens haben wir die Ausstellung geplant, die jetzt zu sehen ist. Zweitens hat sie mir gesagt, ich müsse unbedingt ihre gute Freundin, die Schriftstellerin Friederike Mayröcker, treffen. Sie hat uns noch einander vorgestellt, und wir sind seitdem miteinander im Gespräch. Immer wenn ich früher nach Wien bin, war das Erste, was ich gemacht habe: direkt vom Flughafen zur Lassnig zu fahren. Heute fahre ich zuerst zu Mayröcker.

Maria Lassnig hat also eine Stabübergabe eingefädelt.
Ja, von einer Legende zur nächsten. Gemeinsam mit der Künstlerin Sarah Ortmeyer führe ich Interviews mit Friederike Mayröcker, acht Mal haben wir sie schon gesprochen, daraus soll ein Buch werden.

Und was ist das Dritte, das bei Ihrem letzten Treffen passiert ist?
Maria Lassnig hat mir einen Brief angekündigt, den sie mir schicken wollte. Dann habe ich nichts mehr von ihr gehört – und einige Monate danach ist sie gestorben. Aber ihr Mitarbeiter hat den unvollendeten Brief an mich gefunden, und er hat ihn mir geschickt.

Was hat sie geschrieben?
Ich kann es Ihnen vorlesen: „Lieber Hans Ulrich Obrist! – Mit der Kunst zusammen, da verkommt man nicht! Ohne Kunst verkommt man und ich besonders. Auch ein sehr lauter Um-Hilfe-Ruf hilft nicht mehr!“

Das ist ja herzzerreißend. Lassen Sie uns den Brief hier abdrucken.
Gerne.

Und zum Schluss wie üblich: Was beschäftigt Sie außerhalb der Kunstwelt?
Ich lese die Gedichte von Friederike May­röcker! Was sonst!

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Hans Ulrich Obrist in Russland

Die erste Garage Triennial für zeitgenössische russische Kunst in Moskau, der Künstler Aslan Gaisumov und die Ausstellung „Dream Machine“.

Von Christoph Amend
28.03.2017

Herr Obrist, was haben Sie gesehen?
Russland.

Aber ich erreiche Sie gerade in New York.
Ja, ich bin hier für einen Workshop, und leider habe ich heute auch nicht so viel Zeit für unser Gespräch, weil ich wegen der angekündigten Schneestürme an der amerikanischen Ostküste spontan früher abfliegen muss als geplant. Sonst komme ich hier nicht mehr weg.

Sie sind nicht allein mit Flugproblemen. Angela Merkel musste heute ihre erste Reise zu Donald Trump verschieben wegen des Schnees an der Ostküste. Also gut: Dann legen wir los und springen von Amerika nach Russland. Was haben Sie dort gesehen?
Ich war auf der ersten Garage Triennial für zeitgenössische russische Kunst in Moskau, die sich darauf konzentriert hat, heimische Kunst zu zeigen, die seit dem Jahr 2012 entstanden ist.

Warum 2012?
Das war das Jahr der letzten Präsidentschaftswahlen. Die Triennale hat im Koolhaas-Gebäude des Garage Museum im Gorki-Park stattgefunden. Zur Vorbereitung ist eine Gruppe von sechs Kuratoren ein Jahr lang durch das ganze Land gereist, hat über dreißig Städte und Gemeinden besucht, um sich einen Überblick zu verschaffen. Insgesamt haben sie über 200 Künstlerinnen und Künstler besucht. Ein enormes Projekt der Chefkuratorin Kate Fowle und des Direktors des Garage Museums, Anton Belov. Sie dürfen nicht vergessen, wie riesig das Land ist: Allein eine Flugreise von Kaliningrad nach Wladiwostok dauert elf Stunden.

Was hat Sie besonders beeindruckt?
Die größte Entdeckung für mich ist Aslan Gaisumov.

Warum?
Er ist 1991 geboren, in Grosny in Tschetschenien, wo er jetzt wieder lebt. Er hat bis 2012 in Moskau Kunst studiert. Gaisumov setzt sich in seinen Videoarbeiten mit seiner sehr bewegten Kindheit und Jugend auseinander. In seiner Arbeit „Numbers“ zeigt er beispielsweise Hausnummern von Häusern, wie sie vor dem Krieg in seiner Heimat üblich waren. Das hat mich an Christian Boltanski erinnert. Als Gaisumov vier Jahre alt war, musste seine Familie vor dem Krieg in Tschetschenien fliehen, weil ihr Haus komplett zerstört worden war. Die Familie floh im Auto seines Onkels, 21 Personen.

21 Personen?
Ja, die gesamte Großfamilie hat sich in das Auto gequetscht. Und als er zehn Jahre alt war, musste die Familie, die zwischenzeitlich nach Grosny zurückgekehrt war, noch einmal fliehen, diesmal aufs Land, in das Haus seiner Großmutter. Das Auto war nun größer, und die Mutter hat alle weißen Laken, die sie finden konnte, in Friedensflaggen verwandelt und sie am Fluchtauto angebracht. Diese beiden Szenen hat Aslan Gaisumov jetzt noch einmal inszeniert, er zeigt sie jeweils in einem Video, das in einem Loop lief. Wirklich sehr bewegend.

Was haben Sie noch gesehen?
Spannende Künstler wie Taus Makhacheva mit einer Arbeit über die Geschichte Dages­tans oder Evgeny Granilshchikov, der all seine Videos mit dem Smartphone produziert. Neben der Triennale habe ich eine wunderbare Ausstellung besucht: „The Dream Machine“ mit Fotografien von Sergey Sapozhnikov, einem der interessantesten jungen russischen Künstler. Er dokumentiert den Verfall des fantastischen Maxim-Gorki-Theaters, eines Meisterwerks der konstruktivistischen Architektur, gebaut von Wladimir Helfreich und Wladimir Schtschuko in den frühen 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Wenn man die Fotos sieht, denkt man nur noch: Dieses Gebäude muss gerettet werden! Ich hoffe, Sapozhnikovs Bilder tragen dazu bei, ein öffentliches Bewusstsein dafür zu erzeugen. Die Ausstellung ist ein Smart-Art-Projekt und wurde kuratiert von Irene Calderoni und Teresa Iarocci Mavica, sie wird jetzt erstmals in Moskau gezeigt.

Und was beschäftigt Sie derzeit außerhalb der Kunst?
Auf meiner Reise habe ich den Dichter Lew Rubinstein kennengelernt, dessen Werke auch ins Deutsche übersetzt wurden. Er schreibt alles auf Karteikarten! Ist das nicht wunderbar?

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Der Burberry-Trenchcoat

Auch heute noch wird der legendäre Mantel mit dem Karo-Innenfutter teilweise noch in traditioneller Handarbeit in Nordengland gefertigt.

Von Tillmann Prüfer
28.03.2017

Die an sich traurige Tatsache, dass Männer in den Krieg ziehen, ist für manches Teil der modernen Herrengarderobe verantwortlich. So auch für den Trenchcoat. Als „trench“ bezeichnete man einst den Schützengraben. Der war ein so unwirtlicher Ort, dass man die Offiziere entsprechend schützen wollte, zumindest vor Regen. Also ließ Englands Militär 1879 von Thomas Burberry den Schützengraben-Mantel entwerfen. Er verwendete dafür Gabardine, ein besonders dichtes, wasserundurchlässiges Tuch. Damit wurde es unnötig, den Stoff zu wachsen oder zu gummieren.
Noch heute wird der Trenchcoat bei Burberry in seiner historischen Grundform hergestellt, was man an vielen Details erkennt. Etwa den Epauletten, den Schulterklappen, die die Rangabzeichen tragen sollten. Oder dem vor der Brust knöpfbaren Latz, der den Oberkörper zusätzlich abschirmt, während das Sturmschild am Rücken den Regen besser ableitet. Am Taillen-Gürtel mit den eingestanzten Metallringen hing einst militärisches Gerät. Und die Rückenfalte sollte das Reiten erleichtern.
All diese Details erfordern Zeit und Könnerschaft. Die Burberry-Trenchcoats werden in Castleford, einer Stadt im Norden Englands gefertigt – zum Teil noch in traditioneller Handarbeit. Die Herstellung dauert etwa drei Wochen. Am kompliziertesten sind die Nähte des Kragens, die Näher werden hierfür ein Jahr angelernt. Fünf Stiche pro Zentimeter müssen sie setzen, um den Kragen im perfekten Bogen um den Hals zu führen. Die Manschettenriemen und der Gürtel müssen so genäht sein, dass ihre Kanten exakt und flach sind. Auch das Futter bedarf besonderer Aufmerksamkeit. Jeder Mantel ist mit dem typischen Burberry-Karo ausgekleidet, das seit 1920 verwendet wird. Das Futter wird sorgfältig geschnitten und platziert, damit das Muster symmetrisch und ohne Brüche an den Nähten ist. Am Kragenfutter müssen die Linien des Karos einen genauen 45-Grad-Winkel beschreiben.
Es braucht mehr als hundert Schritte, bis aus einer Lage Gabardine-Stoff ein Burberry-Trenchcoat geworden ist. Wobei das Allerschönste natürlich ist, dass man anschließend mit dem Schützengraben-Mantel nicht mehr in den Krieg ziehen muss. Vielmehr ist sein Schutz heute anderer Natur. Er bietet seinem Träger die Möglichkeit, im Regen zu stehen und dabei einigermaßen würdig auszusehen.

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Bürokratisches Monster

Außer Bürokratie und Unsicherheit hat das Kulturgutschutzgesetz nichts gebracht

Von Annegret Erhardt
17.03.2017

Bevor das neue deutsche Kulturgutschutzgesetz im August 2016 in Kraft trat, bedurfte es noch einiger Änderungen. Das Vorhaben, in einer unguten Mischung aus Gutsherrenart und Hauruckverfahren, Sümpfe trockenzulegen, die noch nicht einmal richtig ge­ortet waren, hatte Handel, Sammler und Museen gleichermaßen empört. So musste Kulturstaatsministerin Monika Grütters Teile ihrer überambitionierten Pläne kassieren. Sammler brauchen nun nicht mehr ihre Bestände offenlegen, Museen keine Auskunft geben über private Leihgaben. Doch es bleibt dabei: Gemälde, die vor mehr als 75 Jahren entstanden und deren Wert über 300.000 Euro liegt, bedürfen nun innerhalb der EU einer Ausfuhrgenehmigung, denn es könnte sich um nationales Kulturgut handeln, das im Lande zu bleiben hat. Die Bemessungsgrenze bei Aquarellen und Gouachen ist 100.000 Euro und 50.000 Euro bei Fotografie. Möbel, Porzellan und Silber sind ab einem Alter von 100 Jahren und Wert von 100.000 Euro vor der Ausfuhr meldepflichtig.

Viele Werke gingen über London in Drittländer

Seit Jahrzehnten schon reguliert eine Vorschrift den Kunstexport in Drittländer wie die Schweiz, USA und China. Die zuständigen Behörden orientierten sich an recht kursorisch geführten Listen und an ihrem weit mehr von Nüchternheit und Vernunft als durch Sendungsbewusstsein unterfütterten Kunst- und Sachverstand. Dass dennoch viele Werke den geschmeidigeren Weg in Drittländer über London fanden, den absolut wichtigsten europäischen Marktplatz, wo die deutschen Exportvorschriften nicht mehr griffen, war bequem – und rechtens. Die Aussicht, dass sich durch den rigorosen Eingriff des Gesetzgebers der bisher gewohnt international agierende Markt für hochwertige Werke zum nationalen Märktlein verengen könnte, löste, wenig überraschend, eine Art Exodus hochwertiger Kunst in die Depots der Londoner Marktgiganten aus.

Derweil geht alles seinen holprigen Gang. Die Summe der Ausfuhranfragen hat sich drastisch erhöht, die per Gesetz zugesagte „Abfertigung“ innerhalb von zehn Tagen erweist sich – noch – als illusorisch. Auf ein prophylaktisch beantragtes Negativattest wartet man wochenlang. Das Verfahren ist Ländersache. So kann ein Objekt, das in Bayern durchgewunken wird, in Hamburg einer strikten Prüfung mit anschließend abschlägigem Bescheid unterliegen; und vice versa. Zahllose in der Novelle festgeschriebene und mit hoher Strafandrohung belegte Sorgfaltspflichten führen zu einem unangemessenen bürokratischen Aufwand. Auf vieles wird sich der Handel notgedrungen irgendwann einstellen – im Vertrauen auf realitätsnah arbeitende Behörden und mit Geschick im Umgang mit den teils recht verunsicherten Kunden. Bei manchen macht sich inzwischen eine Art schicksalsergebene Zuversicht bemerkbar, bei anderen jedoch nährt der Zorn die kreativen Überlegungen zur Vermeidung größerer Einschnitte. Wie sie aber konkret verfahren, darüber schweigen sich die meisten Händler noch aus.

Auf Basis von Phantomen wurde ein bürokratisches Monster geschaffen

Eine schier unüberwindliche Hürde, da sind sich mittlerweile alle Betroffenen einig, ist die fatale Zusammenführung des Ausfuhrgesetzes mit den Einfuhrbeschränkungen. Hehlerei und der Handel mit gestohlenen Antiken soll unterbunden, Raubkunst aus jüdischem Besitz die Geschäftsgrundlage entzogen werden. Das ist ehrenhaft und löblich. Deshalb zur Einfuhr einen lückenlosen Provenienznachweis zurück bis zur Entstehung des Kunstwerks zu fordern – sei es in Asien, im Nahen Osten oder in flämischen Malerwerkstätten – ist freilich Unsinn. Und erzählt von Geschichtsvergessenheit und Praxisferne des Gesetzgebers. Kann man sich dort tatsächlich nicht vorstellen, dass etwa in den Wirren zweier Weltkriege alles drunter und drüber ging und dass Sammelleidenschaft sowieso nicht automatisch mit buchhalterischen Reflexen einhergeht?

Inzwischen wissen wir doch hinlänglich, wie schwierig es ist, die Wege von Kunstwerken zu verfolgen, die im „Dritten Reich“ den jüdischen Bürgern entzogen wurden, bevor man sie im KZ umbrachte oder ins Ausland jagte. Wie aber glaubt man mit Objekten verfahren zu müssen, die ein europäischer Diplomat einst in China (mit eurozentristischer Arroganz und viel Preisbewusstsein, das mag schon sein) gesammelt, aber nicht inventarisiert hat? Hinzu kommt: Ein Gesetz, das beim Kunstimport grundsätzlich die Ausfuhrgenehmigung des jeweiligen Landes vorschreibt, bewegt sich im luftleeren Raum, weil es ignoriert, dass in vielen Ländern – im Binnenmarkt der EU sowieso – Kunstwerke ohne gesetzliche Genehmigung exportiert werden konnten. Auf Basis von Phantomen wurde ein bürokratisches Monster geschaffen, das dem Standort Deutschland im Konzert des internationalen Kunstmarkts schadet.

Der Schutz nationalen Kulturguts ist keine deutsche Erfindung. Er wird in vielen Ländern sehr vernünftig gepflegt, in manchen durchaus vorbildlich. Aber der Blick über den Tellerrand war bei der Ausarbeitung der Novelle offenbar arg getrübt. Warten wir noch ein Jahr, dann wird sich zeigen, ob ein so schwach in der Wirklichkeit verankertes Gesetz sich einigermaßen bewähren kann. Sonst könnte es ein bisschen öde hierzulande werden

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