Sebastian Preuss

ist stellvertretender Chefredakteur der WELTKUNST und von KUNST UND AUKTIONEN. Er kommentiert, was ihn aufregt oder erfreut im Kunstbetrieb.

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Tillmann Prüfer

ist Style Director des ZEITmagazin. Er stellt jeden Monat herausragende Leistungen der Handwerkskunst vor.

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Annegret Erhard

Annegret Erhard ist ehemalige Chefredakteurin von KUNST UND AUKTIONEN. Den Markt beobachtet sie seit vielen Jahren.

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Preisexzess um Basquiat

Der Kunstmarkt dreht endgültig durch: Ein Kommentar zum Rekordpreis von 110,5 Millionen Dollar für Jean-Michel Basquiat

Von Sebastian Preuss
19.05.2017

Dass die Preistreiberei um die zeitgenössische Kunst schon längst nichts mehr mit dem Wert der Werke zu tun hat, die ihnen die unbestechliche Selektion der Kunstgeschichte einmal zubilligen wird, das weiß wohl jeder, der im Kunstbetrieb noch einigermaßen klar denken kann. Aber trotzdem hält die Spirale nach oben nicht an, sondern bringt immer neue Rekordmarken hervor. Nun also 110,5 Millionen Dollar (mit Aufgeld) für ein Gemälde von Jean-Michel Basquiat. Hundertzehn Millionen! Der japanische Milliardär Yusaku Maezawa hat es – mit einem anderen Verrückten – gestern bei Sotheby’s in New York so weit emporgesteigert. Jetzt brüstet er sich damit auf Instagram. Verrückt? Ein böses Wort, ist es nicht Kunstleidenschaft, wenn man ein Gemälde um jeden Preis besitzen will? Nein, das hat mit Passion für die hehre Kunst nichts mehr zu tun. Und wenn Passion nur noch mit viel Geld zu tun hat, dann läuft irgendwas absolut schief.

Jagd nach Rekordpreisen

Das tut es ja schon seit Jahren; längst ist der größeren Öffentlichkeit kaum noch zu vermitteln, dass es am Kunstmarkt um mehr geht als nur eine durchgedrehte Jagd nach Rekordpreisen. Und dem Kunstmarkt selbst schaden diese Preishöhen letztlich viel mehr als dass sie ihm nützen. Sammler, Besitzer, Einlieferer, überhaupt jeder Kunstfreund – ihnen allen wird ein völlig falsches Wertgefüge vorgegaukelt. Zahlen sind messbar und vermeintlich objektiv, darum wird die Wertschätzung von Basquiat künftig vor allem an der Tatsache gemessen werden, dass er der teuerste Gegenwartskünstler ist. Dass er 1988 mit 27 Jahren an einer Überdosis Heroin starb, ist dieser Verklärung nur dienlich. Immerhin ist er damit in der berühmten Reihe der im gleichen Alter unter ähnlichen Umständen gestorbenen Popstars wie Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain oder zuletzt Amy Winehouse. Das ist tragisch und angesichts all der großen Talente (das war auch Basquiat zweifellos) sehr zu bedauern. Aber es betäubt auch die Wahrnehmung des eigentlichen Werks beträchtlich – wie eben die Preisrekorde.

Fatale Schere zwischen Markt und Kunstgeschichte

Bei allem Respekt vor Basquiat: Ein solcher Preis hat mit seiner Bedeutung als Maler nichts mehr zu tun. Er war Teil der weltweiten neoexpressionistischen Strömung der Achtzigerjahre und dabei gewiss eine wichtige Gestalt. Aber ob ihm ein so epochaler Rang gebührt, wie ihn der enorme Preis jetzt suggeriert, ist doch mehr als fraglich. Es gab viele andere Künstler, die das Geschehen in den Achtzigern prägten. Basquiat als einsamer Solitär, noch vor Warhol, der nun wirklich der bedeutendste, innovativste und einflussreichste aller Nachkriegskünstler war? Das Wertesystem am Kunstmarkt und die kunsthistorische Kanonbildung entfernen sich immer mehr voneinander. Eine fatale Schere, die falsche Werte vorgaukelt. Denn am Ende ist die Geschichte doch gnadenlos und unbestechlich. Und eines steht fest: Spätestens in einigen Jahrzehnten (womöglich schon viel früher) werden sich die geldbenebelten Wahrnehmungsschwaden um Basquiat lichten und man kann ihn im größeren Maßstab einordnen und bewerten. Dort, wo er hingehört. Wo genau, darüber lässt sich heute noch streiten und orakeln. Dann jedenfalls – so viel müssen die aufgeputschten Käufer von heute befürchten – werden seine Werke am Markt nur noch ein Bruchteil vom gestrigen Preis wert sein.

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Biennalen und die Documenta sind Teil des Kunstmarkts

Geschäfte laufen überall, auch auf den Biennalen und der Documenta. Dort ganz besonders, denn Galeristen können hier bequem und zudem gratis verkaufen

Von Annegret Erhard
10.05.2017

Haben Sie sich bereits organisiert? Oder haben Sie jetzt schon genug gesehen, waren in Hongkong und São Paulo? Frieze und Tefaf Spring in New York wollten Sie auf keinen Fall versäumen. Wie war die Art Cologne?­ Haben Sie in Brüssel gekauft? Auf ein paar regionaleren Verkaufsevents waren Sie auch? Selbstverständlich, da kann man doch wunderbare Entdeckungen machen. Bald erscheinen die Kataloge von Grisebach und Ketterer, von all den anderen weltweit renommierten Auktionshäusern mit Werken der Gegenwartskunst ganz zu schweigen. Und Basel, die wichtigste aller Messen überhaupt! Und dann noch London (wieder Frieze) und die Pariser Fiac.

Wie wäre es eigentlich mit einer hübschen Übersprungshandlung? Sie holen tief Luft, lassen alles sausen, kaufen sich einen anstrengenden Hund – und genießen die Kunst in kleinsten Dosen. Aber das darf ja nun auf keinen Fall passieren. Stillstand, wo kämen wir da hin? Er muss rasend rasen, der Kunstbetrieb. Geld muss investiert werden, Nischen mit Potenzial müssen wiederentdeckt, neue Künstler und Konzepte gefeiert werden. (Meinetwegen auch verteufelt, Hauptsache, sie sind in aller Munde.) Es ist pure Industrie, mit unendlichem Wachstumspotenzial. Na ja, sagen wir lieber: mit großen Möglichkeiten und viel Innovationskraft.

Diejenigen, die weder sammeln noch investieren wollen oder können, betrachten diese Veranstaltungen allesamt als temporäre Museen. Als Impulsgeber, erfrischend oder ärgerlich, anregend oder gar verstörend. Epiphanie nicht ausgeschlossen, damit wäre allerdings tatsächlich das Äußerste an gewinnbringender Möglichkeit ohne pekuniären Einsatz erreicht. In diesem Jahr kommen nun noch die Biennale in Venedig und die 14. Ausgabe der Documenta hinzu. Sie wurden gleichsam als Leistungsschau nach dem Vorbild der Mitte des 19. Jahrhunderts etablierten Weltausstellungen konzipiert. Sie folgten – naturgemäß leicht abgewandelt – deren Ziel, die weltweit relevante, in ihrem Fall nun künstlerische Leistungsfähigkeit zu präsentieren und aktuelle Entwicklungen zu demonstrieren, um ein internationales Publikum zu beeindrucken. Freilich auch, um bestehende Märkte zu befeuern und neue zu erschließen.
Schon ab der ersten Biennale 1895 war Venedig ein Erfolg. Nach und nach wurden Länderpavillons errichtet, die dann alle zwei Jahre mit Kunst bestückt wurden. Dabei ging es gar nicht in erster Linie darum, der Avantgarde ein Forum zu geben. Prämisse war, gut zu verkaufen. Das ging so bis in die Sechzigerjahre. Erst dann gab es große zentrale Gruppenausstellungen mit thematischen Vorgaben. Kuratoren verantworteten die ambitionierten, von den Künstlern oft speziell für die Pavillons in den Giardini entworfenen Präsentationen. Der Anspruch stieg, das jetzt als vulgär empfundene Verkaufsargument war verschwunden. Und doch: Die Biennale in Venedig ist wahrscheinlich die erfolgreichste Verkaufsmesse weltweit. Die bestbesuchte mit stetig steigendem Ansturm sowieso. Die Galeristen reisen mit ihren Topsammlern an, führen hier ihre Verkaufsverhandlungen. Argumentationshilfe ist der geheiligte Ort, der Moment und die Aufmerksamkeit von Hunderttausenden Besuchern, die dem Kunstwerk so wohl nie wieder zuteil werden dürfte. Den Galeristen und Kunstvermittlern, auch den Kuratoren kann’s nur recht sein. Sie profitieren hier regelmäßig von einer staatlich organisierten und finanzierten Einrichtung, die ihnen ein kostenlos zu nutzendes, außerordentlich beeindruckendes Forum zur Verfügung stellt.

Nicht selten wechseln in den ersten der hundert Tage der Documenta Werke ihre Besitzer

Die Documenta in Kassel (in diesem Jahr auch in Athen)­ steht dem in nichts nach. Künstler und Kunstwerke, die als teilnahmetauglich eingestuft wurden, erfahren eine Nobilitierung, die sich konsequent (übrigens nicht immer dauerhaft, da braucht es dann schon den mit allen Marketingwassern gewaschenen Galeristen) auf ihre Markttauglichkeit niederschlägt. Nicht selten finden sich schon in den ersten der hundert Tage währenden Schau neue Besitzer der Werke Die Übergänge sind fließend, der kommerzielle Aspekt der Biennalen, der Großereignisse wie einer Documenta ist nur notdürftig von einem gesellschaftspolitischen Kunst- und Kulturauftrag überwoben. Das tut der Kunst freilich nichts. Den Gepflogenheiten auf dem Kunstmarkt und seiner angeblich vorhandenen Bereitschaft zur Transparenz stellt diese absolut überflüssige Scheinheiligkeit jedoch – mal wieder – kein gutes Zeugnis aus.

Doch lassen Sie sich die Biennalen und Documentas nicht verdrießen. Stemmen Sie sich mitsamt der Kunst gegen aufkeimenden Überdruss, hervorgerufen durch schwer zu bewältigende Massen und durch einen manchmal atemberaubend dreisten Kunstbetrieb. Bleiben Sie neugierig auf die Kunst, und halten Sie Kurs. Als Sammler, der sich die bittersüße Erinnerung an eine verpasste Chance ersparen will. Oder als Freund temporärer Museen, der ausgiebig und begeistert die Möglichkeit genießt, seinen verinnerlichten Kunstschatz zu erweitern. Das darf dann auch ruhig mal ein bisschen anstrengend sein.

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Relief aus Perlmutt

Die Schweizer Uhrenmanufaktur Breguet verziert mit der Kamee-Handwerkskunst Zifferblätter ihrer Uhren oder Schmuckstücke.

Von Tillmann Prüfer
30.04.2017

Am schönsten wird Strandgut, wenn daraus eine Kamee-Schnitzerei entsteht. Kamee ist ein uraltes Handwerk – winzige Reliefs aus dem Perlmutt von Weichtierschalen wurden schon vor mehr als viertausend Jahren in Mesopotamien geschnitzt. Später gelangte dieses Können vom antiken Griechenland nach Italien, wo seit dem 19. Jahrhundert die Region um das Städtchen Torre del Greco nahe Neapel das Zentrum der Kamee-Kunst ist.
Die Schweizer Uhrenmanufaktur Breguet verziert mit diesen Kunstwerken Zifferblätter ihrer Uhren oder Schmuckstücke. Die Handwerksmeister können das Material in eine Blüte verwandeln, aber auch in eine vollständige Miniatur von Leonardos Ölgemälde des letztes Abendmahls. Jede Perlmutt-Kamee beginnt mit der strengen Auswahl der Schale. Die Graveure verwenden nur Material höchster Qualität, edelstes Perlmutt mit raffinierten Farbnuancen. Ist der Werkstoff ausgewählt, beginnt der Kameen-Schnitzer die Schale zuzuschneiden und zurechtzuschleifen, bis sie vollkommen rund ist. Das Stück wird auf einen Holzstab aufgeklebt, damit man es beim Bearbeiten besser halten kann und die dünne Schale nicht zerbricht. Eine Kamee ist nur zwei Millimeter dick und äußerst empfindlich. Die Konturen des Motives werden aufgezeichnet. Anschließend beginnt die Gravur. Mit­hilfe eines einfachen Stahlstichels arbeitet der Kamee-Schnitzer die verschiedenen Figuren aus dem Perlmutt heraus.

Die Schnitzarbeit muss auf Bruchteile eines Millimeters genau sein – Fehler werden nicht verziehen. Setzt der Meister mit dem Stahlstichel ein einziges Mal falsch an, ist das Relief zerstört. Wenn die Schnitzarbeit erledigt ist, wird die Kamee gereinigt, poliert und weiterverarbeitet.
Bei Breguet werden Kameen etwa in der Uhr Reine de Naples verwendet. Oder im Schmuckensemble La Rose de la Reine, wo eine Rosen-Kamee mit einem diamantenen Band hervorgehoben und mit Akoya-Perlen in Szene gesetzt wird.
Man spricht bei Perlmutt-Kameen gerne von Muschel-Schnitzereien. Das ist nicht ganz korrekt. Breguet etwa verwendet Teile der Gehäuse großer Meerschnecken. Schnecken-Schnitzerei würde allerdings nicht so gut klingen.

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Der Burberry-Trenchcoat

Auch heute noch wird der legendäre Mantel mit dem Karo-Innenfutter teilweise noch in traditioneller Handarbeit in Nordengland gefertigt.

Von Tillmann Prüfer
28.03.2017

Die an sich traurige Tatsache, dass Männer in den Krieg ziehen, ist für manches Teil der modernen Herrengarderobe verantwortlich. So auch für den Trenchcoat. Als „trench“ bezeichnete man einst den Schützengraben. Der war ein so unwirtlicher Ort, dass man die Offiziere entsprechend schützen wollte, zumindest vor Regen. Also ließ Englands Militär 1879 von Thomas Burberry den Schützengraben-Mantel entwerfen. Er verwendete dafür Gabardine, ein besonders dichtes, wasserundurchlässiges Tuch. Damit wurde es unnötig, den Stoff zu wachsen oder zu gummieren.
Noch heute wird der Trenchcoat bei Burberry in seiner historischen Grundform hergestellt, was man an vielen Details erkennt. Etwa den Epauletten, den Schulterklappen, die die Rangabzeichen tragen sollten. Oder dem vor der Brust knöpfbaren Latz, der den Oberkörper zusätzlich abschirmt, während das Sturmschild am Rücken den Regen besser ableitet. Am Taillen-Gürtel mit den eingestanzten Metallringen hing einst militärisches Gerät. Und die Rückenfalte sollte das Reiten erleichtern.
All diese Details erfordern Zeit und Könnerschaft. Die Burberry-Trenchcoats werden in Castleford, einer Stadt im Norden Englands gefertigt – zum Teil noch in traditioneller Handarbeit. Die Herstellung dauert etwa drei Wochen. Am kompliziertesten sind die Nähte des Kragens, die Näher werden hierfür ein Jahr angelernt. Fünf Stiche pro Zentimeter müssen sie setzen, um den Kragen im perfekten Bogen um den Hals zu führen. Die Manschettenriemen und der Gürtel müssen so genäht sein, dass ihre Kanten exakt und flach sind. Auch das Futter bedarf besonderer Aufmerksamkeit. Jeder Mantel ist mit dem typischen Burberry-Karo ausgekleidet, das seit 1920 verwendet wird. Das Futter wird sorgfältig geschnitten und platziert, damit das Muster symmetrisch und ohne Brüche an den Nähten ist. Am Kragenfutter müssen die Linien des Karos einen genauen 45-Grad-Winkel beschreiben.
Es braucht mehr als hundert Schritte, bis aus einer Lage Gabardine-Stoff ein Burberry-Trenchcoat geworden ist. Wobei das Allerschönste natürlich ist, dass man anschließend mit dem Schützengraben-Mantel nicht mehr in den Krieg ziehen muss. Vielmehr ist sein Schutz heute anderer Natur. Er bietet seinem Träger die Möglichkeit, im Regen zu stehen und dabei einigermaßen würdig auszusehen.

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Bürokratisches Monster

Außer Bürokratie und Unsicherheit hat das Kulturgutschutzgesetz nichts gebracht

Von Annegret Erhardt
17.03.2017

Bevor das neue deutsche Kulturgutschutzgesetz im August 2016 in Kraft trat, bedurfte es noch einiger Änderungen. Das Vorhaben, in einer unguten Mischung aus Gutsherrenart und Hauruckverfahren, Sümpfe trockenzulegen, die noch nicht einmal richtig ge­ortet waren, hatte Handel, Sammler und Museen gleichermaßen empört. So musste Kulturstaatsministerin Monika Grütters Teile ihrer überambitionierten Pläne kassieren. Sammler brauchen nun nicht mehr ihre Bestände offenlegen, Museen keine Auskunft geben über private Leihgaben. Doch es bleibt dabei: Gemälde, die vor mehr als 75 Jahren entstanden und deren Wert über 300.000 Euro liegt, bedürfen nun innerhalb der EU einer Ausfuhrgenehmigung, denn es könnte sich um nationales Kulturgut handeln, das im Lande zu bleiben hat. Die Bemessungsgrenze bei Aquarellen und Gouachen ist 100.000 Euro und 50.000 Euro bei Fotografie. Möbel, Porzellan und Silber sind ab einem Alter von 100 Jahren und Wert von 100.000 Euro vor der Ausfuhr meldepflichtig.

Viele Werke gingen über London in Drittländer

Seit Jahrzehnten schon reguliert eine Vorschrift den Kunstexport in Drittländer wie die Schweiz, USA und China. Die zuständigen Behörden orientierten sich an recht kursorisch geführten Listen und an ihrem weit mehr von Nüchternheit und Vernunft als durch Sendungsbewusstsein unterfütterten Kunst- und Sachverstand. Dass dennoch viele Werke den geschmeidigeren Weg in Drittländer über London fanden, den absolut wichtigsten europäischen Marktplatz, wo die deutschen Exportvorschriften nicht mehr griffen, war bequem – und rechtens. Die Aussicht, dass sich durch den rigorosen Eingriff des Gesetzgebers der bisher gewohnt international agierende Markt für hochwertige Werke zum nationalen Märktlein verengen könnte, löste, wenig überraschend, eine Art Exodus hochwertiger Kunst in die Depots der Londoner Marktgiganten aus.

Derweil geht alles seinen holprigen Gang. Die Summe der Ausfuhranfragen hat sich drastisch erhöht, die per Gesetz zugesagte „Abfertigung“ innerhalb von zehn Tagen erweist sich – noch – als illusorisch. Auf ein prophylaktisch beantragtes Negativattest wartet man wochenlang. Das Verfahren ist Ländersache. So kann ein Objekt, das in Bayern durchgewunken wird, in Hamburg einer strikten Prüfung mit anschließend abschlägigem Bescheid unterliegen; und vice versa. Zahllose in der Novelle festgeschriebene und mit hoher Strafandrohung belegte Sorgfaltspflichten führen zu einem unangemessenen bürokratischen Aufwand. Auf vieles wird sich der Handel notgedrungen irgendwann einstellen – im Vertrauen auf realitätsnah arbeitende Behörden und mit Geschick im Umgang mit den teils recht verunsicherten Kunden. Bei manchen macht sich inzwischen eine Art schicksalsergebene Zuversicht bemerkbar, bei anderen jedoch nährt der Zorn die kreativen Überlegungen zur Vermeidung größerer Einschnitte. Wie sie aber konkret verfahren, darüber schweigen sich die meisten Händler noch aus.

Auf Basis von Phantomen wurde ein bürokratisches Monster geschaffen

Eine schier unüberwindliche Hürde, da sind sich mittlerweile alle Betroffenen einig, ist die fatale Zusammenführung des Ausfuhrgesetzes mit den Einfuhrbeschränkungen. Hehlerei und der Handel mit gestohlenen Antiken soll unterbunden, Raubkunst aus jüdischem Besitz die Geschäftsgrundlage entzogen werden. Das ist ehrenhaft und löblich. Deshalb zur Einfuhr einen lückenlosen Provenienznachweis zurück bis zur Entstehung des Kunstwerks zu fordern – sei es in Asien, im Nahen Osten oder in flämischen Malerwerkstätten – ist freilich Unsinn. Und erzählt von Geschichtsvergessenheit und Praxisferne des Gesetzgebers. Kann man sich dort tatsächlich nicht vorstellen, dass etwa in den Wirren zweier Weltkriege alles drunter und drüber ging und dass Sammelleidenschaft sowieso nicht automatisch mit buchhalterischen Reflexen einhergeht?

Inzwischen wissen wir doch hinlänglich, wie schwierig es ist, die Wege von Kunstwerken zu verfolgen, die im „Dritten Reich“ den jüdischen Bürgern entzogen wurden, bevor man sie im KZ umbrachte oder ins Ausland jagte. Wie aber glaubt man mit Objekten verfahren zu müssen, die ein europäischer Diplomat einst in China (mit eurozentristischer Arroganz und viel Preisbewusstsein, das mag schon sein) gesammelt, aber nicht inventarisiert hat? Hinzu kommt: Ein Gesetz, das beim Kunstimport grundsätzlich die Ausfuhrgenehmigung des jeweiligen Landes vorschreibt, bewegt sich im luftleeren Raum, weil es ignoriert, dass in vielen Ländern – im Binnenmarkt der EU sowieso – Kunstwerke ohne gesetzliche Genehmigung exportiert werden konnten. Auf Basis von Phantomen wurde ein bürokratisches Monster geschaffen, das dem Standort Deutschland im Konzert des internationalen Kunstmarkts schadet.

Der Schutz nationalen Kulturguts ist keine deutsche Erfindung. Er wird in vielen Ländern sehr vernünftig gepflegt, in manchen durchaus vorbildlich. Aber der Blick über den Tellerrand war bei der Ausarbeitung der Novelle offenbar arg getrübt. Warten wir noch ein Jahr, dann wird sich zeigen, ob ein so schwach in der Wirklichkeit verankertes Gesetz sich einigermaßen bewähren kann. Sonst könnte es ein bisschen öde hierzulande werden

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Kunstvolle Zifferblätter

Der Uhrmacher Pierre Jaques-Droz entwickelte schon damals die innovativsten Ideen für Uhren und Automaten. Heutzutage sind kunstvoll bemalte Zifferblätter das Markenzeichen der Manufaktur Jaquet Droz.

Von Tillmann Prüfer
10.03.2017

Heute wird Uhrmacherei oft mit nostalgischen Gefühlen verbunden. Ein Uhrwerk erscheint als Technik, die noch beherrschbar ist. Zahnräder, Anker und Spiralen, Kraftübertragung – das ist so viel verständlicher als Algorithmen und Pixel. Dabei vergisst man leicht, dass das Schweizer Uhrmachertal Vallée de Joux das Silicon Valley des 18. Jahrhunderts war. Die Handwerksmeister dort machten die ansonsten an Kirchtürme gebundene Zeit mobil. Man konnte Hightech in der Tasche tragen – es war eine ähnliche Revolution wie heute das Smartphone.
Der genialste Tüftler seiner Zeit war der Uhrmacher Pierre Jaquet-Droz aus La Chaux-de-Fonds. Er hatte eine international tätige Firma, entwickelte einen automatischen Aufzug für Taschenuhren – und war Spezialist für Automaten. Seine spektakulärsten Maschinen waren drei Androiden aus dem Jahr 1774: Ein Schreiber, ein Zeichner und eine Organistin. Sie sind heute im Museum von Neuenburg zu bewundern. Die mechanischen Puppen konnten Unglaubliches vorführen. Der Schreiber schrieb mit Tinte einen beliebigen Text mit 40 Zeichen. Die Organistin spielte fünf verschiedene Kompositionen und der Zeichner malte ein Porträt von König Louis XV. Doch nicht nur die Mechanik begeisterte die Menschen, sondern auch die Anmut der Figuren. Sie waren wunderschön, fast kindlich. Jaquet-Droz verstand schon damals, dass Hightech und Ästhetik zusammengehören.
Heute sind kunstvoll gestaltete Zifferblätter das Markenzeichen der Manufaktur. Die Maler von Jaquet Droz schaffen ganze Welten auf Emailzifferblättern, auf denen nicht mehr Platz ist als auf einer Münze. Jeder Meister hat sein eigenes Pinselset, das er hütet, als gehöre es zu seinem Körper. Es braucht mehrere Monate, bis die mikrofeinen Pinsel richtig an seine Hand angepasst sind. Diese Formung des Pinsels beim Malen kann nicht künstlich beschleunigt werden. Für bestimmte Details, etwa die Pupille eines Auges, müssen die Pinsel zusätzlich zurechtgeschnitten werden, um die erforderliche Breite zu haben. Ein Email-Bild ist ein langer Prozess: Beim Bemalen eines Zifferblatts müssen nacheinander mehrere Schichten ­aufgetragen werden, die immer wieder im Ofen gebrannt werden – etwa 20-mal. Anschließend trocknet die Farbe lange, damit sie möglichst gut hält. Zugegeben – der Zeichnerautomat von 1774 war da wohl schneller. Aber wer interessiert sich heute noch für ein Bildnis von Louis XV?

Service

ABBILDUNG GANZ OBEN

Kunstvoll gestaltetes Ziffernblatt (Foto: Jaquet Droz)

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WELTKUNST Nr. 121/2016

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