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Bürokratisches Monster

Außer Bürokratie und Unsicherheit hat das Kulturgutschutzgesetz nichts gebracht

Von Annegret Erhardt
17.03.2017

Bevor das neue deutsche Kulturgutschutzgesetz im August 2016 in Kraft trat, bedurfte es noch einiger Änderungen. Das Vorhaben, in einer unguten Mischung aus Gutsherrenart und Hauruckverfahren, Sümpfe trockenzulegen, die noch nicht einmal richtig ge­ortet waren, hatte Handel, Sammler und Museen gleichermaßen empört. So musste Kulturstaatsministerin Monika Grütters Teile ihrer überambitionierten Pläne kassieren. Sammler brauchen nun nicht mehr ihre Bestände offenlegen, Museen keine Auskunft geben über private Leihgaben. Doch es bleibt dabei: Gemälde, die vor mehr als 75 Jahren entstanden und deren Wert über 300.000 Euro liegt, bedürfen nun innerhalb der EU einer Ausfuhrgenehmigung, denn es könnte sich um nationales Kulturgut handeln, das im Lande zu bleiben hat. Die Bemessungsgrenze bei Aquarellen und Gouachen ist 100.000 Euro und 50.000 Euro bei Fotografie. Möbel, Porzellan und Silber sind ab einem Alter von 100 Jahren und Wert von 100.000 Euro vor der Ausfuhr meldepflichtig.

Viele Werke gingen über London in Drittländer

Seit Jahrzehnten schon reguliert eine Vorschrift den Kunstexport in Drittländer wie die Schweiz, USA und China. Die zuständigen Behörden orientierten sich an recht kursorisch geführten Listen und an ihrem weit mehr von Nüchternheit und Vernunft als durch Sendungsbewusstsein unterfütterten Kunst- und Sachverstand. Dass dennoch viele Werke den geschmeidigeren Weg in Drittländer über London fanden, den absolut wichtigsten europäischen Marktplatz, wo die deutschen Exportvorschriften nicht mehr griffen, war bequem – und rechtens. Die Aussicht, dass sich durch den rigorosen Eingriff des Gesetzgebers der bisher gewohnt international agierende Markt für hochwertige Werke zum nationalen Märktlein verengen könnte, löste, wenig überraschend, eine Art Exodus hochwertiger Kunst in die Depots der Londoner Marktgiganten aus.

Derweil geht alles seinen holprigen Gang. Die Summe der Ausfuhranfragen hat sich drastisch erhöht, die per Gesetz zugesagte „Abfertigung“ innerhalb von zehn Tagen erweist sich – noch – als illusorisch. Auf ein prophylaktisch beantragtes Negativattest wartet man wochenlang. Das Verfahren ist Ländersache. So kann ein Objekt, das in Bayern durchgewunken wird, in Hamburg einer strikten Prüfung mit anschließend abschlägigem Bescheid unterliegen; und vice versa. Zahllose in der Novelle festgeschriebene und mit hoher Strafandrohung belegte Sorgfaltspflichten führen zu einem unangemessenen bürokratischen Aufwand. Auf vieles wird sich der Handel notgedrungen irgendwann einstellen – im Vertrauen auf realitätsnah arbeitende Behörden und mit Geschick im Umgang mit den teils recht verunsicherten Kunden. Bei manchen macht sich inzwischen eine Art schicksalsergebene Zuversicht bemerkbar, bei anderen jedoch nährt der Zorn die kreativen Überlegungen zur Vermeidung größerer Einschnitte. Wie sie aber konkret verfahren, darüber schweigen sich die meisten Händler noch aus.

Auf Basis von Phantomen wurde ein bürokratisches Monster geschaffen

Eine schier unüberwindliche Hürde, da sind sich mittlerweile alle Betroffenen einig, ist die fatale Zusammenführung des Ausfuhrgesetzes mit den Einfuhrbeschränkungen. Hehlerei und der Handel mit gestohlenen Antiken soll unterbunden, Raubkunst aus jüdischem Besitz die Geschäftsgrundlage entzogen werden. Das ist ehrenhaft und löblich. Deshalb zur Einfuhr einen lückenlosen Provenienznachweis zurück bis zur Entstehung des Kunstwerks zu fordern – sei es in Asien, im Nahen Osten oder in flämischen Malerwerkstätten – ist freilich Unsinn. Und erzählt von Geschichtsvergessenheit und Praxisferne des Gesetzgebers. Kann man sich dort tatsächlich nicht vorstellen, dass etwa in den Wirren zweier Weltkriege alles drunter und drüber ging und dass Sammelleidenschaft sowieso nicht automatisch mit buchhalterischen Reflexen einhergeht?

Inzwischen wissen wir doch hinlänglich, wie schwierig es ist, die Wege von Kunstwerken zu verfolgen, die im „Dritten Reich“ den jüdischen Bürgern entzogen wurden, bevor man sie im KZ umbrachte oder ins Ausland jagte. Wie aber glaubt man mit Objekten verfahren zu müssen, die ein europäischer Diplomat einst in China (mit eurozentristischer Arroganz und viel Preisbewusstsein, das mag schon sein) gesammelt, aber nicht inventarisiert hat? Hinzu kommt: Ein Gesetz, das beim Kunstimport grundsätzlich die Ausfuhrgenehmigung des jeweiligen Landes vorschreibt, bewegt sich im luftleeren Raum, weil es ignoriert, dass in vielen Ländern – im Binnenmarkt der EU sowieso – Kunstwerke ohne gesetzliche Genehmigung exportiert werden konnten. Auf Basis von Phantomen wurde ein bürokratisches Monster geschaffen, das dem Standort Deutschland im Konzert des internationalen Kunstmarkts schadet.

Der Schutz nationalen Kulturguts ist keine deutsche Erfindung. Er wird in vielen Ländern sehr vernünftig gepflegt, in manchen durchaus vorbildlich. Aber der Blick über den Tellerrand war bei der Ausarbeitung der Novelle offenbar arg getrübt. Warten wir noch ein Jahr, dann wird sich zeigen, ob ein so schwach in der Wirklichkeit verankertes Gesetz sich einigermaßen bewähren kann. Sonst könnte es ein bisschen öde hierzulande werden

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