Sebastian Preuss

ist stellvertretender Chefredakteur der WELTKUNST und von KUNST UND AUKTIONEN. Er kommentiert, was ihn aufregt oder erfreut im Kunstbetrieb.

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Christoph Amend

ist Chefredakteur des ZEITmagazins und Herausgeber von WELTKUNST und KUNST UND AUKTIONEN. Jeden Monat befragt er den Kurator Hans Ulrich Obrist nach seinen Entdeckungen.

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Tillmann Prüfer

ist Style Director des ZEITmagazin. Er stellt jeden Monat herausragende Leistungen der Handwerkskunst vor.

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Annegret Erhard

Annegret Erhard ist ehemalige Chefredakteurin von KUNST UND AUKTIONEN. Den Markt beobachtet sie seit vielen Jahren.

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Starpianisten im Wohnzimmer

Das Selbstspiel-System »Spirio« von Steinway erneuert die alte Idee des automatischen Klaviers – mit digitaler Technik von heute

Von Tillmann Prüfer
24.03.2016

Klavier spielen zu können war einmal erste Bürgerflicht. Das Bildungsbürgertum definierte sich über die Musik, vor allem die Hausmusik, also musste in jedem Haushalt ein Instrument stehen. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gab es allein in Berlin 250 Klavierfabrikanten. Zu dieser Zeit hatte der heute berühmteste aller Klavierbauer das Land schon längst verlassen.

Der Tischlermeister Heinrich Engelhard Steinweg aus Seesen im Harz war 1850 in die Vereinigten Staaten ausgewandert. Dort nahm er bald den Namen an, der heute eine Legende ist: Steinway. Die Firma Steinway&Sons, die er zusammen mit seinen Söhnen gründete, wurde bald zum Synonym für hochwertige Konzertflügel. 1880 gründete Steinway eine Gesellschaft in Hamburg, die noch heute Flügel in alle Welt liefert.

Um einen guten Flügel zu bauen, braucht man erfahrene Klavierbaumeister, hochwertige Materialien und viel Zeit. Für einen modernen Steinway werden Hölzer wie Ahorn, Whitewood, Fichte, Mahagoni und Bubinga verwendet. Die Fertigstellung eines Flügels dauert etwa ein Jahr. Für das Gehäuse des Instruments, die sogenannte Raste, müssen verschieden harte und weiche Hölzer in Schichten miteinander verleimt werden. Die weichen Schichten ermöglichen die Klangdynamik, das harte Holz gibt dem Flügel Struktur.

Die charakteristische geschwungene Gestalt des Flügels wird durch eine Form erreicht, in die die verleimten Panele gespannt werden. In diese Rast wird später der Resonanzboden eingefügt, das wohl wichtigste Stück Holz in einem Flügel. Dafür wird Fichte aus Höhenlagen verwendet. Die Bäume wachsen dort sehr langsam, entsprechend dicht ist das Holz. Bis es für einen Steinway bereit ist, muss es mehrere Jahre in einem klimatisierten Raum lagern. Der Resonanzboden mit dem aufgeleimten Hartholzsteg und den darunterliegenden Rippen wird mit der inneren Rast verleimt. So bilden alle Teile eine Einheit – den Klangkörper. Als Herz des Flügels wird die 150 Kilogramm schwere gusseiserne Platte eingesetzt, die mit bis zu 243 Saiten bespannt ist. Die Tasten des Instruments, über die die Saiten angeschlagen werden, sind heute nicht mehr aus Elfenbein, sondern aus einem Kunststoff.

Seit langer Zeit werden Flügel so gebaut. Und doch gibt es auch in diesem Handwerk immer wieder Innovationen. Bei Steinway hat man nun das Selbstspiel-System »Spirio« vorgestellt. Es ermöglicht, das eigene Wohnzimmer in einen Konzertsaal zu verwandeln. Dafür ist im Gehäuse des Flügels eine Mechanik verborgen, die digital gesteuert die Klanghämmer schlagen lässt. Und zwar genauso, wie es professionelle Pianisten tun würden. Diese spielen die Stücke nämlich auf einem Werks-Steinway ein, sodass sie später automatisch wiedergegeben werden können. Damit ist »Spirio« eine Neuschöpfung der alten automatischen Klaviere, der Pianolas. Sie wurden schon um 1900 hergestellt – allerdings mit Lochkartensystem. »Spirio« hingegen lässt sich über ein Tablet steuern. Damit kann ein Steinway nun die Interpretation eines Starpianisten wiedergeben. Einen Flügel im Wohnzimmer stehen zu haben ist noch heute ein Statussymbol. Und nun muss man nicht einmal mehr Klavier spielen können, um ihn zu hören.

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Hans Ulrich Obrist unterwegs bei den "Engadin Art Talks"

Was machen gestickte Schneeflocken in der Galerie Tschudi, den italienischen Maler Giorgio Griffa und Ibrahim Mahama aus Ghana in der Schweiz?

Von Christoph Amend
15.03.2016

Herr Obrist, was haben Sie gesehen?

Ich komme gerade aus dem Engadin zurück, das immer ein inspirierender Ort war und ist. Nietzsche etwa hat dort »Also sprach Zarathustra« geschrieben …

…und Sie haben eine Ihrer ersten Ausstellungen im Engadin gemacht, mit Gerhard Richter in Sils-Maria.

Ja, damals haben wir erstmals seine übermalten Fotos ausgestellt, und es ist im Verlag Walther König ein Künstlerbuch von Richter erschienen. Das Engadin ist wieder stärker in den Blick geraten. Ich fahre seit meiner Kindheit hin, und es ist wirklich wahr, dass man dort oben im Hochtal auf 2000 Metern anders denkt: Das Licht des Sü­dens trifft das Licht des Nordens, Skandina­vien trifft auf Italien. Diese Situation reizt Künstler natürlich. Und Denker wie Alexan­ der Kluge und Habermas, die jedes Jahr da sind. Der Maler Albert Oehlen hat mir er­ zählt, dass er viel Zeit im Engadin verbringt, er ist mit seinem Atelier in die Voralpen ge­zogen, nach Appenzell, dorthin, wo Robert Walser seine berühmten Spaziergänge gemacht hat.

Zuletzt hörte man vom Engadin vor allem im Zusammenhang mit dem Kunstmarkt in St. Moritz und der Eröffnung von Vito Schnabels Galerie.

Das ist ein Aspekt und gleichzeitig ist das Engadin so viel mehr! Es ist Sils­Maria, das Nietzsche­Museum, wo man bis heute seine handschriftlichen Notizen einsehen kann, auch Giacometti spielt im Engadin eine große Rolle. Es gibt neben dem Ober­ engadin auch das Unterengadin, von dort kommt der bekannteste Künstler der Gegend, der Maler und Architekt Not Vital. Er hat im Unterengadin ein architektonisches Ge­samtkunstwerk gebaut mit Pavillons, Brü­cken, Stegen. Neben Sils gibt es Zuoz, wo ich in den letzten Jahren immer hingefahren bin und im Künstlerhotel Castell gewohnt habe. Dort sind Installationen von Pipilotti Rist und von Carsten Höller zu sehen. Und seit fünf Jahren finden die »Engadin Art Talks« statt, die Daniel Baumann, Beatrix Ruf, Philip Ursprung und ich gemeinsam leiten.

Diesmal ging es um Spuren und Fragmente.

Ja, zu Gast war unter anderem der groß­artige italienische Künstler Giorgio Griffs, der in seinen minimalen Gemälden seit über 50 Jahren Spuren und Fragmente malt. Er schafft dadurch eine besondere Form von Konversation. Aus Ghana war Ibrahim Mahama da, der auf der letzten Biennale den langen Korridor gebaut hat. Im Engadin hat er gezeigt, wie er in Ghana ganze Gebäude mit Spuren und Fragmenten bedeckt – und dadurch die Häuser reaktiviert. Koo Jeong A hat mit Magneteffekten gearbeitet, und Rachel Rose hat mit Filmen neue Formen des digitalen Editierens gezeigt, also digitale Fragmente. Ich will aber noch von weiteren Eindrücken aus dem Engadin berichten. Diesmal konnte man beispielsweise in der Galerie Tschudi in Zuoz Schneeflocken ent­decken.

Schneeflocken?

Ja, von Bethan Huws, es waren ge­stickte Schneeflocken, inspiriert vom Engadin, fantastisch. Bei Tschudi ist bis Ende März eine Gruppenausstellung zu sehen, die auf die dreißig Jahre seit Gründung der Ga­lerie zurückblickt.

Sie klingen wirklich euphorisch, wenn Sie vom Engadin sprechen!

Ich kann Ihnen nur sagen: Man kann dort besser denken. Die meisten meiner Ideen kommen aus diesem Tal.

Und was beschäftigt Sie derzeit außerhalb der Kunstwelt?

Ich lese gerade das Buch »Inside Out« des Architekten Richard Rogers, der gemeinsam mit Renzo Piano das Centre Pompidou in Paris gebaut hat. Seine Idee, dass wir eine schönere Stadt verlassen wollen als die, in die wir hineingeboren sind, hat mir sehr gefallen. Für mich ist es eine interessante Analogie zu meiner eigenen Tätigkeit, dem Kuratieren von Kunst.

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Zum Dahinschmelzen

Die Emailleure von Patek Philippe schaffen Uhrkunstwerke, die die Zeiten überdauern. Ihr wichtigster Verbündeter ist das Feuer

Von Tillmann Prüfer
14.03.2016

In Email zu malen bedeutet Malen für die Ewigkeit. Ist das Bild einmal gebrannt, erstarrt es zu einer glasartigen unverwüstlichen Oberfläche, die Jahrtausende überdauern kann. Die erste bekannte Emailarbeit ist 3500 Jahre alt und in mykenischen Gräbern auf Zypern gefunden worden. Auch die alten Ägypter kannten Email.

Im Mittelalter wurde Email im Rahmen der Goldschmiedekunst eingesetzt. Unter anderem wurden aus einem Golddraht Formen gebogen, die danach mit einen Schmelzpulver gefüllt wurden. Zellenschmelz oder Cloisonné nennt sich diese Kunst.

Beide Techniken, die Cloisonné und die freie Emailmalerei, spielen heute in der Uhrmacherkunst noch eine große Rolle. Mit hoher Kunstfertigkeit wird Email eingesetzt, um Zifferblätter zu gestalten. Bei der Traditionsmanufaktur Patek Philippe etwa werden beide Techniken gepflegt. Für die Zifferblätter von Armbanduhren – und für die Gehäuse prachtvoller Tischuhren.

Der Emailleur muss wie ein klassischer Künstler arbeiten, nur dass er kaum eine Möglichkeit hat, einen Fehler zu korrigieren. Er benutzt dabei Pinselchen, die so fein wie ein einzelnes Menschenhaar sind. Er muss die Zusammensetzung der glasartigen Emailsubstanz und der farbgebenden Metalloxide ebenso gut kennen wie die kritischen Temperaturen für den Brennofen. Bei der Email Cloisonné wird bei Pater Philippe stets Gold als Trägermaterial gewählt. Die Konturen einer Zeichnung werden mit Gold-Flachdraht nachgebildet, um die einzelnen Farbzellen zu formen. Der Golddraht wird dann mit einem feinen Klebstoff fixiert, der im Brennofen verdampft.

Nachdem die Flachdrähte geformt und festgeklebt sind, wird die Farbe und Art der Emailmasse ausgewählt, mit denen die einzelnen Farbzellen ausgefüllt werden sollen. Emailkünstler mischen ihre Masse selbst aus Glas-Basissubstanz und weiteren Komponenten zusammen, mit denen sie die gewünschte Farbe und Transparenz genau vorausbestimmen können. Hierzu verwendet jeder Künstler seine eigene Geheimrezeptur. Jetzt füllt der Emailkünstler die Zellen mit jener Emailmasse, die zuvor gemischt und vorbereitet wurde.

Nach jeder Farbschicht muss der Farbauftrag kurz im Ofen angebrannt werden. Danach ist er nicht mehr zu korrigieren. Alle Emailkünstler besitzen ihre eigenen Farbkarten, die sie selbst zusammenstellen und in ihrem Ofen gebrannt haben, um sicherzugehen, dass die Farben für die gegenwärtige Arbeit richtig zusammengesetzt sind. Dabei ist zu bedenken, dass die ursprüngliche Farbmischung der Einzelkomponenten in roher Pulverform nicht dem Endergebnis entspricht. Sie erhält erst nach dem Brand im Emailofen den endgültigen Ton, mit der ein neues Kunstwerk zum Leben erwacht. Der Emailleur muss also nicht nur die Mischung kennen – sondern auch, wie sie sich verändern wird. Nach sechs oder sieben Brennvorgängen bei 800 Grad kann das Kunstobjekt seine ganze Pracht entfalten.

Wenn das Bild fertig ist, kann es immer noch passieren, dass beim Brennen die Emailschicht zerspringt. Dann fängt der Emailleur wieder von vorne an. Es ist eben ein Kunsthandwerk, das eine Ewigkeit in Anspruch nehmen kann.

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