Sebastian Preuss

ist stellvertretender Chefredakteur der WELTKUNST und von KUNST UND AUKTIONEN. Er kommentiert, was ihn aufregt oder erfreut im Kunstbetrieb.

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Christoph Amend

ist Chefredakteur des ZEITmagazins und Herausgeber von WELTKUNST und KUNST UND AUKTIONEN. Jeden Monat befragt er den Kurator Hans Ulrich Obrist nach seinen Entdeckungen.

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Tillmann Prüfer

ist Style Director des ZEITmagazin. Er stellt jeden Monat herausragende Leistungen der Handwerkskunst vor.

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Annegret Erhard

Annegret Erhard ist ehemalige Chefredakteurin von KUNST UND AUKTIONEN. Den Markt beobachtet sie seit vielen Jahren.

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Hans Ulrich Obrist in Südfrankreich

Eine Fotografieausstellung und das Festival Les Rencontres de la Photographie in Arles – und das Meer vor dem Atelier von Pierre Soulages

Von Christoph Amend
28.07.2016

Was haben Sie gesehen, Herr Obrist?
Ich war wie jeden Sommer in Südfrankreich, es ist unglaublich, was sich kulturell dort alles tut. Die Schweizer Philanthropin Maja Hoffmann gründet in Arles mit ihrer Luma-Stiftung ein Kulturzentrum …

… auf einem stillgelegten Bahngelände.
Im Mittelpunkt steht ein Gebäude von Frank Gehry, das 2018 eröffnet werden soll. In diesem Sommer wurde allerdings schon das Gebäude der New Yorker Architektin Annabelle Selldorf fertiggestellt: La Méca­nique. Zur Eröffnung haben wir mit dem sogenannten Core Team des Projekts …

… was ist das Core Team?
Eine Gruppe, die Hoffmann berät: Tom Eccles, Direktor für Curatorial Studies am Bard College, die Künstler Liam Gillick und Philippe Parreno, Beatrix Ruf, die Direktorin des Stedelijk Museum in Amsterdam, und ich. Wir haben zur Eröffnung des Gebäudes die Fotografieausstellung „Systematically Open?“ zusammengestellt. Fotografie, weil zeitgleich das Fotografiefestival Les Rencontres in Arles stattfindet.

Welche Künstler sind zu sehen?
Es sind vier Projekte. Walead Beshty präsentiert seine konzeptionelle Arbeit über die Entwicklung der Bilderproduktion von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zu Hito Steyerl im digitalen Zeitalter. Elad Lassry stellt anonyme Bilder aus, und Zanele Muholi zeigt unter dem Titel »Somnyama Ngonyama« – auf Deutsch »Sei gegrüßt, schwarze Löwin« – eine neue Serie von Selbstporträts. Muholi ist eine der einflussreichsten Aktivistinnen Südafrikas, die gegen die Homophobie dort kämpft. Die vierte Arbeit stammt von der Fotografin Collier Schorr, die ihre Kollegin Anne Collier eingeladen hat: Da geht es um Akte und Studien, um gegenseitiges Fotografieren der beiden Fotografinnen, ein intensiver Austausch.

Die fünfte Arbeit, das entnehme ich gerade der Website der Stiftung, ist vom Architekten der Ausstellung, Philippe Rahm?
Genau. Er hat im Gebäude von Annabelle Selldorf eine subtile Ausstellungsarchitektur entwickelt, um ein Gleichgewicht zwischen den Arbeiten der vier Künstler zu finden. Er setzt das natürliche Licht ein, es gibt dunkle und helle Zonen.

Was haben Sie auf den Rencontres selbst gesehen?
Ein Highlight ist die Ausstellung des berühmten Kriegsfotografen Don McCullin. Die Schau in Arles zeigt die unbekannte Seite seiner Arbeit, Landschaften etwa und Sozialfotografie aus dem London der 60er-Jahre. Und der Künstler Maurizio Cattelan trifft auf die französische 68er-Satirezeitschrift Hara-Kiri, er macht heute etwas Ähnliches mit seinem Magazin Toiletpaper. Zwei ehemalige Hara-Kiri-Leute sind ja bei dem Anschlag auf Charlie Hebdo in Paris ums Leben gekommen.

Südfrankreich ist im Sommer ein kulturelles Zentrum: Opern und klassische Musik in Aix-en-Provence …
… und das Theaterfestival in Avignon, wo auf der Bühne auch immer mehr bildende Kunst zu sehen ist. Im Zentrum meiner Reisen stehen ja immer Atelierbesuche. Diesmal war ich bei Pierre Soulages, dem französischen Maler und Grafiker, der wie viele andere Künstler früh vom Licht der Camargue angezogen wurde.  

Soulages ist Jahrgang 1919, wie geht es ihm?
Er ist auf der Höhe seiner Schaffenskraft! Er hat sich bereits in den Fünfzigern dort ein Haus gebaut, mit einem Waldgrundstück davor, deswegen sieht man bis heute von seinem Haus aus nur Bäume und das Meer. Er arbeitet weiter an jedem Tag an neuen Bildern – wie immer ausschließlich in Schwarz!

Und was beschäftigt Sie derzeit außerhalb der Kunstwelt?
Passend zum Wald, den ich bei Soulages sah, lese ich von Cesare Leonardi »Die Architektur der Bäume«. Er zeigt, was Architektur von Bäumen lernen kann.

Service

Abbildung

Les Rencontres, Arles

Info

Christoph Amend, Herausgeber der WELTKUNST, befragt Hans Ulrich Obrist jeden Monat nach seinen Entdeckungen in der Kunst

Dieser Artikel erschien in der

WELTKUNST Nr. 118 / 2016

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Kulturgutschutzgesetz

Ein zweifelhafter Sieg – das umstrittene Kulturgutschutzgesetz ist beschlossen. Kunstmarkt und Sammler sind verunsichert, und auch die Museen fürchten die Folgen

Von Susanne Schreiber
26.07.2016

Noch vor der Sommerpause haben der Bundestag und am 8. Juli auch der Bundesrat dem Kulturgutschutzgesetz (KGSG) zugestimmt. Selten hat ein Gesetzesvorhaben die kulturinteressierte Gesellschaft so entzweit. Für ein Gesetz, das in Österreich auf ein paar Seiten abgehandelt wird, erarbeitete der Stab von Staatsministerin Monika Grütters (CDU) ein 180-Seiten-Regelwerk. Es geht um dreierlei: Anpassung an EU-Recht, erleichterte Rückführung von Antiken aus Raubgrabungen in Krisengebieten, schließlich der Schutz von national wertvollem Kulturgut. Expertengremien haben künftig in den Ländern darüber zu entscheiden, ob Kunst, die älter als 75 Jahre und deren Wert über 300.000 Euro liegt, als national wertvoll und „identitätsstiftend für Deutschland“ zu gelten hat. Trifft das zu, dann darf sie nicht mehr ins Ausland verbracht werden. Ist aber nur ein Inlandspreis zu erzielen, dann kann der Staat günstig für seine Museen einkaufen. Das war stets ein Anliegen der Novelle.
Gegen diese Bevormundung sind Sammler und Händler Sturm gelaufen, mancher sprach gar von „Enteignung“. Mit dem KGSG hat Monika Grütters ihre eigene Klientel gegen sich aufgebracht. Deren Reaktion: Seit einem Jahr verlagern Sammler Kunst ins Ausland, um weiterhin frei darüber zu verfügen. Als Reaktion auf massiven Protest wurde im Juni nachgebessert. Jetzt sollen die Sachverständigenausschüsse bei Kunst, die nicht exportiert werden darf, einen fairen Preis vorschlagen. Da wüsste man gern, wie Beamte den ermitteln wollen. Und der Handel, der seit der gescheiterten Differenzbesteuerung die volle Mehrwertsteuer zu schultern hat, sieht sich abermals einseitig belastet. Denn nur den Galeristen und Auktionatoren, nicht aber den Museen, erlegt das KGSG strenge Sorgfaltspflichten auf. Wer dem entgehen will, stärkt seine Zweigstellen in Brüssel und Zürich, oder er baut eine Auslandsdependance auf. Jüngst hat die Galerie Beck & Eggeling Räume in Wien bezogen.
Beobachter, die sich im Frühsommer 2016 die Mühe machten, mit Politikern zu sprechen und etwa die Anhörung im Landtag von Nordrhein-Westfalen zu besuchen, stellten erschreckt fest: Die Ignoranz in Sachen KGSG ist riesig, und unverbrüchlich gilt die Parteidisziplin. Es gab kritische Einwände gegen die Novelle, aber im CDU-Lager wollte man die Parteifreundin mit der Nähe zur Kanzlerin nicht demontieren. Einen Offenbarungseid leistete sich ein SPD-Abgeordneter, als er, um seine Haltung gefragt, um „Handlungsanweisungen“ bat!
Was politisch wie ein Sieg aussieht, könnte ein Pyrrhussieg werden. Wie beim antiken König von Epirus, der seinen Sieg über die Römer mit dem Tod zu vieler Soldaten bezahlte, wird Deutschland auf lange Sicht wegen des KGSG arge Verluste zu verzeichnen haben. Nur zwei seien herausgegriffen: Die Museen verlieren mit den verprellten Privatsammlern ihre wichtigste Stütze, was Leihgaben und anderes Engagement betrifft. Und als juristischer Indikator für den Scheinsieg könnten sich die in Vorbereitung befindlichen Verfassungsklagen erweisen.
Nix für ungut, Ihre Marktfrau.

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Klug gewählt: Der neue Städel-Direktor

Philipp Demandt, der Leiter der Alten Nationalgalerie in Berlin, wird Museumsgeneral in Frankfurt am Main

Von Sebastian Preuss
27.06.2016

Es ist eine überraschende und auch mutige, ja man könnte fast sagen: eine ziemlich coole Entscheidung, die das Städel bei der Wahl seines künftigen Chefs getroffen hat. Philipp Demandt hatte selbst im eng verflochtenen Kunstbetriebs niemand auf der Rechnung, als es um die Nachfolge des allseits bewunderten und gepriesenen Max Hollein ging. Nach fünfzehn segensreichen Jahren in Frankfurt – erst als Schirn-Direktor, seit 2006 auch als Chef des Städel und der Skulpturensammlung im Liebieghaus. Er sorgte für ein wahres Kunstwunder in der Stadt am Main, aktivierte das brachliegende Mäzenatentum und sorgte für einen Ausstellungscoup nach dem anderen.

Frankfurt wusste und würdigte sehr wohl, wem allein es den neuen Kunstglanz verdankte. Entsprechend verkatert und erst einmal ratlos war man, als Hollein im März seinen schon baldigen Weggang ans Fine Arts Museum in San Francisco verkündigte. Die Drähte der Headhunter müssen heißgelaufen sein. Einer der ersten, der ersten gefragt wurde, war angeblich Sam Keller von der Fondation Beyeler in Basel. Doch der winkte ab. Auch mit den anderen bekannten Figuren auf dem ziemlich ausgedünnten Karrussell der deutschen Museumsspitzenkräfte wurde man offenbar nicht einig. Vielleicht ist das Städel, ist Frankfurt nicht attraktiv genug für Möchtegern-Museumsgenerale, die nach München, Berlin oder ins Ausland schielen.

Das alles ist Spekulation, denn es sickerte nur wenig durch von der Findung des neuen Frankfurter Museumspapstes, der in der Bankenstadt natürlich auch ein schneidiger Manager sein soll. Fakt ist, dass die Städel-Administration offenbar recht bald begann, sich kreativ und unvoreingenommen unter jüngeren Museumskustoden umzuschauen. Nach jemandem, der noch keinen der typischen Sprungbrett-Direktorenthrone besetzte. So hatte man es schließlich auch schon getan, als man den damals erst 32-jährigen Hollein gewann. Es zeugt von der Klugheit und Offenheit der Frankfurter, dass sie bei Philipp Demandt landeten. Denn er ist kein Mann der Gegenwartskunst, die heute in allen Museen das Geschehen bestimmt. Und der 45-Jährige ist ein Quereinsteiger, der nach einer viel gelobten Doktorarbeit über die künstlerische Verehrung der preußischen Königin Luise und einer Tätigkeit am Berliner Bröhan-Museum zur Kulturstiftung der Länder ging und dort als Referent jahrelang erfolgreich Museen mit Hilfe bei Neuerwerbungen beglückte.

Kulturpolitische Funktionäre bekommen selten die Gelegenheit, in die Museumspraxis überzuwechseln. Demandt gelang es, berufen von einem ebenso unkonventionellen Quereinsteiger, dem ehemaligen Augenoptiker Udo Kittelmann, der es als höchst unkonventionellen Kurator bis zum Herr über die sechs Häuser der Berliner Nationalgalerie geschafft hatte. Sein Gespür für Demandts verborgene Qualitäten im Umgang mit der Kunst trog nicht. Seit Januar 2012 setzte Demandt als Sammlungsleiter der Alten Nationalgalerie verblüffend neue Akzente, holte lange verbannte Werke wieder aus dem Depot, begeisterte das Publikum wieder für Künstler der Belle Époque, die im Schatten der Avantgarden in Verdamnis geraten waren. Er krempelte die Sammlung nicht brachial um, sondern zeigte mit Fingerspitzengefühl und qualitätvollen Einzelwerken, wie man die Kunstgeschichte des 19. Jahrhunderts und der Umbruchszeit um 1900 behutsam umschreiben und dabei auch der akademischen Salonmalerei wieder etwas abgewinnen kann. Zum großen Ausstellungserfolg wurde der Tierbildhauer Rembrandt Bugatti, mit einem Depotbild des Orientalisten Osman Hamdi Bey holte Demandt in Scharen ein türkisches Publikum ins Haus.

Diesem intelligenten, mutigen und ungewöhnlich agierenden Museumsmann hat man nun das Frankfurter Städel mit weltberühmten Werken von Jan van Eyck bis Rembrandt und vielen Höhepunkten in der Moderne übertragen; zudem mit dem Liebieghaus eine hervorragende Skulpturensammlung von der Antike bis ins 19. Jahrhundert. Es deutet sich an, dass ihm (wie Hollein) auch noch die städtische Kunsthalle Schirn in Personalunion übertragen wird – wenn deren Aufsichtsrat zustimmt. Gleichsam über Nacht wird aus dem genüsslichen Kenner, aus dem Kustoden des 19. Jahrhunderts einer der großen deutschen Direktoren in Deutschland, Herr über ein ganzes Museumskonsortium, über Kunstschätze aller Epochen, sowie der Verantwortliche für die Blockbuster-Ausstellungen; er wird eine Schlüsselstelle im Frankfurter Kulturleben besetzen.

Den Manager, den Finanzjongleur, auch den Umgarner der Banker und der Frankfurter Gesellschaftsdamen – das muss Demandt jetzt alles in sich entdecken. Wer ihn kennt, der zweifelt nicht daran, dass es ihm gelingen wird. Langeweile wird mit ihm in Frankfurt gewiss nicht aufkommen.

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Aura, Wert und Ersatz

Nehmen Kunstwerke Schaden, treten meist Versicherungen auf den Plan. Doch wie lässt sich eine Wertminderung vernünftig feststellen?

Von Susanne Schreiber
01.06.2016

Kaum ein Privatsammler, der nicht eine Geschichte zum Thema unglückliche Ausleihe parat hätte. Wohl dem, der nur eine auf den Kopf gestellte Abbildung seines abstrakten Gemäldes im Katalog zu beklagen hat. Richtig schlecht dran sind jene Geber, die ihr Werk beschädigt von der leihnehmenden Institution zurückbekommen. Transportschäden machen 15 Prozent aller Regulierungen aus, Beschädigungen durch Dritte 20 Prozent, berichtete der Fine Art Insurance Broker Stephan Zilkens auf dem 5. Kölner Versicherungsgespräch während der Art Cologne. Dort wurde deutlich, wie wenig Parameter es gibt, um die Wertminderung eines Kunstwerks zu fassen, und wie unbestimmt die Rechtslage ist. Zunächst ist bei Schäden die Restaurierung zu klären, danach geht es um einen Ausgleich für den Eingriff an der Originalsubstanz. Dabei hätten Sammler oft überzogene finanzielle Erwartungen, heißt es von Versicherungsseite. Da Kunst in der Regel unikat ist, gibt es keinerlei Vergleichsmöglichkeiten, was die Klärung erschwert.
Privater Kunstbesitz ist oft nicht ver­sichert, im Handel hingegen soll die Versicherungsquote bei 80 Prozent liegen. Bei Museen­ greift die Staatshaftung. So war Wertminderung für das Rijksmuseum 1975 kein Thema, als Rembrandts „Nachtwache“ mit acht Messerstichen attackiert und schwer beschädigt wurde. Die teure Restaurierung erhielt der Nachwelt das Meisterwerk.
Der Typus des Sammlers hat sich inzwischen geändert, weg vom Liebhaber hin zum Kunstinvestor. Und auch die Kunst hat ihre Erscheinungsform gewandelt. Sie setzt vermehrt auf Oberflächenglanz. „Makellosigkeit hat heute Bedeutung. Aber sie ist eine Schimäre“, kritisierte der Designsammler Sebas­tian Jacobi, selbst Restaurator, beim Kölner Kunstgespräch. Jacobi beobachtet, dass es bei der Schadensregulierung allein darum geht, möglichst viel herauszuschlagen. „Bei der Kunst geht es aber um Inhalt. Die hört nicht da auf, wo der Schaden beginnt.“
Bei Kunstwerken liegt die obere Grenze einer Wertminderung bei 30 Prozent; darüber geht es – etwa bei Feuereinwirkung – um Totalschäden. Zahlt die Versicherung diese 30 Prozent aus, darf sie das Kunstwerk an sich nehmen. Das bedeutet, dass sich in den Sammlungen der Versicherungen einige solcher „zufällig“ erworbenen Werke befinden dürften. Insidern ist ein weiteres Paradox bekannt: Ein um 30 Prozent wertgemindertes, aber restauriertes Kunstwerk kann dennoch mehrere Millionen Dollar erzielen!
Der Privatsammler muss sich also vor der Leihgabe überlegen, wie er es mit der Gretchenfrage der Beschädigung hält. Zählt er sich zu den Sammlern, die wie Investmentbanker denken und die Liste der Ausstellungsbeteiligungen ihrer Objekte verlängern wollen? Dann wird er den Schadensfall als Risiko einkalkulieren. Oder gehört er zur Gruppe der Bewahrer, die um die Fragilität von Kunstwerken wissen? Dann wird er auf so manche Ausleihe verzichten.
Nix für ungut, Ihre Marktfrau.

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Hans Ulrich Obrist in Monaco bei der Nuit Blanche

Die weiße Nacht in Monaco, bei der die ganze Stadt mit Performances bespielt wurde – zum Beispiel von Tino Sehgal, Isabel Lewis und Francesco Vezzoli

Von Christoph Amend
01.06.2016

Herr Obrist, was haben Sie gesehen?

Monaco! Für mich steht es für Serge Diaghilev, den Begründer des Ballets Russes, der in seiner Jugendzeit Kurator war, Malereiausstellungen organisierte. Dann hat er beschlossen, die verschiedenen Disziplinen Musik, Tanz und Kunst über das Medium des Balletts zusammenzuführen.

Das Interdisziplinäre interessiert Sie auch.

Eben. Viele seiner entscheidenden Jahre hat Diaghilev in Monaco verbracht. Seit einiger Zeit ist Marie-Claude Beaud Direktorin am Neuen Nationalmuseum, das immer dynamischer wird. Und es gibt neuerdings eine Nuit Blanche, die ich besucht habe.

Was passiert in dieser weißen Nacht?

Die ganze Stadt wird mit Performances bespielt. Und es ist anders als in Paris, wo während der Nuit Blanche Millionen von Menschen unterwegs sind. Monaco ist ja ein überschaubarer Ort. Und Diaghilevs Präsenz war überall zu spüren. Es gab zum Beispiel ein Ballett am Himmel von Doug Aitken: Die von einem Orchester gespielte Musik wurde in der Luft durch eine Zeichnung von konzentrischen Kreisen gespiegelt, die sich immer mehr erweitert haben. Für diesen himmlischen Effekt sorgte ein Flugzeug, das quasi die Musik in andere Sphären hob. Kuratiert wurde die Nuit Blanche von Jörg Heiser gemeinsam mit Cristina Ricu­pero aus Paris und Leonardo Bigazzi aus Florenz. Wunderbar war auch die Performance von Sadaâne Afif. Er arbeitet seit Jahren mit einem Straßenmusiker aus Brooklyn zusammen, Wesley Bryon, Künstlername Mount Moon, der sämtliche Werke von Afif auswendig kann. Er hat sie auf den Straßen von Monaco gespielt.

Was genau war daran wunderbar?

Straßenmusik ist in Monaco streng verboten. Deshalb war es interessant, dass Mount Moon durch die Straßen gelaufen ist mit seiner Gitarre, von der Polizei angehalten wurde – und dann seine Künstlergenehmigung vorgezeigt hat und wieder von vorn angefangen hat. Es gab auch eine großartige interaktive Arbeit von Tino Sehgal im japanischen Garten zu sehen. Betrat man den Garten, löste die eigene Präsenz etwas Magisches aus. Plötzlich begann ein Sänger einen Song vorzutragen: Du bekamst also ein Lied gesungen!

Welches wurde Ihnen gesungen?

„Amazing“ von Kanye West. And it was amazing! Es gab eine weitere faszinierende Arbeit zwischen Gegenwartskunst und Pop: Isabel Lewis, Jahrgang 1980, nennt ihre Performances „Occasions“, Gelegenheiten. Sie hat also eine solche in einem Kongresszentrum geschaffen: eine Mischung aus Musik, Pflanzen, Düften. Es gibt ja eine Entwicklung in der Gegenwartskunst hin zu Live­erlebnissen. Auch bei Francesco Vezzoli, der eine Arbeit zu Marlene Dietrich gezeigt hat, übrigens inspiriert von Maximilian Schells legen­därem Film über die Dietrich …

… in dem man sie nie sieht, weil sie nur noch mit ihm telefonieren wollte.

Vezzoli liebt diesen Film! Einerseits hat er Fake-Porträts von Malern aus Dietrichs Epoche gezeigt, die es so nie gegeben hat, eine Marlene von de Chirico, Bacon oder Magritte. Und dann gibt es eine Zeichnung von Matisse, die nur aussieht wie sie – die aber wirklich von Matisse ist. Der Livemoment der Arbeit: Vezzoli verkleidete sich selbst als Marlene Dietrich und war stundenlang als lebende Skulptur auf seiner Ausstellung.

Und was beschäftigt Sie derzeit noch?

Das neue Buch des Dramatikers Jon Fosse. Mein Lieblingszitat: „Wenn ich schreibe, versuche ich nichts zu wissen. Ich habe keine Absicht, keinen Plan. Ich will so leer sein wie möglich. Ich schreibe nie abends, dann bin ich weich in der Seele und sentimental. Ich will kalt und klar sein.“ Keinen Masterplan zu haben interessiert mich im Zusammenhang mit Ausstellungen: Wir sollten von einer Leere ausgehen, damit es nicht nur zur Illustration von etwas kommt. 

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Ausverkauf in Nordrhein-Westfalen

Nach der landeseigenen Spielbank in Aachen versilbert jetzt auch der WDR seine Kunstschätze. Bis Freitag sind die Werke bei Sotheby’s in Köln zu sehen. Eine lehrreiche Schau für alle Steuer- und Gebührenzahler

Von Sebastian Preuss
27.04.2016

Es lohnt sich, dieser Tage die Kölner Sotheby’s-Dependance aufzusuchen. Denn dort wird dem Bürger anschaulich wie selten vor Augen geführt, wie das von ihm mit finanzierte Eigentum der öffentlichen Hand unverblümt privatisiert wird. Ein letztes Mal kann er sich bedeutende Kunstwerke anschauen, die seit Jahrzehnten im Kölner Stammsitz des Westdeutschen Rundfunks hingen und einst mit Steuergeldsubventionen und Rundfunkgebühren bezahlt wurden. Trotz zahlreicher Proteste und trotz all dem unschönen Getöse um die Warhol-Bilder aus der Aachener Spielbank versilbert jetzt auch der Westdeutsche Rundfunk seine Kunstsammlung, um seine maroden Finanzen zu sanieren. Der Intendant Tom Buhrow hatte das schon bei seinem Amtsantritt 2013 verkündet und mit der maroden Finanzlage des Senders begründet. Das Haushaltsdefizit betrug damals rund 100 Millionen Euro.

Nach dem Aufschrei der Empörung, den 2014 der Aachener Kunstverkauf quer durch die Republik ausgelöst hatte, glaubte (oder besser: hoffte) man, dass die rot-grüne Regierung von Nordrhein-Westfalen es so schnell nicht noch einmal zu solch einem Kunstdebakel kommen lassen würden. Doch Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat offenbar kein Problem damit, dass NRW, dieses traditionsreiche Kunstland mit all seinen bedeutenden Museen und einer immer noch höchst aktiven Sammlerschicht, zum Vorreiter der mangelnden Kunstliebe, ja des Banausentums wird.

Der WDR könnte die 150 Millionen Dollar, die 2014 die beiden Aachener Warhols bei Christie’s in New York erzielten, gut gebrauchen. Doch werden die rund 600 Kunstwerke bei Weitem nicht so ertragreich sein. Es sind viele Papierarbeiten aus dem niedrigen Preissegment dabei. Tom Buhrow gab seinerzeit den Gesamtwert mit rund drei Millionen an, doch war das wiederum wohl zu tief gegriffen. Jetzt wird Sotheby’s im Lauf des Jahres in London und Paris 48 Werke versteigern – zu einer Gesamttaxe von „mehr als 2,4 Millionen“, wie das Auktionshaus verkündet. So steht jetzt schon fest, dass der ideelle Schaden für den WDR und NRW weit größer ist als der materielle Gewinn.

Als erstes Konvolut kommen am 21./22. Juni in London 37 Bilder unter den Hammer. Rund 20 davon sind ab heute, 27. April, bis Freitag in der Kölner Sotheby’s-Niederlassung zu sehen (Mozartstraße 1). Diese denkwürdige Ausstellung kreist vor allem um die beiden Spitzenlose: Max Beckmanns düster-anspielungsreiche „Möwen im Sturm“ von 1942, taxiert auf 700.000 bis eine Million Pfund, sowie Ernst Ludwig Kirchners schweizerische Berglandschaft „Alpweg“ von 1921, Schätzwert 600.000 bis 800.000 Pfund. Daneben werden Bilder von Pechstein, Hofer, Räderscheidt, Heckel, Rohlfs, Nay bis zu Antes gezeigt, viele auf Papier.

Sotheby’s ist für die Vorbesichtigung im Rheinland kein Vorwurf zu machen. Auch die beiden Kölner Häuser (zweifellos Lempertz und Van Ham) und die zwei anderen deutschen Versteigerer (wahrscheinlich Grisebach und Ketterer), die sich nach Auskunft des WDR um den Deal bewarben, hätten diese Form des Marketings nicht verstreichen lassen. Das ist Teil ihres Geschäfts. Degoutant handeln allein der WDR und die Landesregierung, die ausgerechnet in Köln selbst den Ausverkauf des öffentlichen Besitzes dem Publikum vorführen, um möglichst noch finanzkräftige rheinische Käufer zu animieren. Warum die NRW-Autoritäten nicht wenigstens eines der einheimischen Häuser mit der Versteigerung betreut, bleibt ihr Geheimnis. Bei Verkäufen in dieser Größenordnung können auch Christie’s und Sotheby’s keine Wunder vollbringen.

Die ehemalige, bis Oktober 2015 amtierende Kulturministerin Ute Schäfer hatte noch ein Verfahren eingeleitet, wenigstens die wichtigsten Werke auf die Liste geschützten Kulturguts zu setzen und so vor der Ausfuhr zu schützen. Dabei ging es vor allem um die beiden Gemälde von Beckmann und Kirchner. Doch das zuständige Sachverständigengremium sah in den Werken keine nationale Bedeutung, so stellte die neue Ministerin Christina Kampmann die Prozedur ein.

Für Kulturstaatsministerin Monika Grütters (die übrigens aus Nordrhein-Westfalen stammt) ist der Fall gleich ein doppelter Affront. Sie hatte den Verkauf der Warhols scharf kritisiert und jetzt auch für den Verbleib der WDR-Stücke interveniert. Vor allem wirft die Aktion ein grelles, ungutes Licht auf ihr geplantes Kulturgutgesetz. Warum der ganze Aufwand, wenn sich die Experten nicht einmal bei diesen beiden hochkarätigen Bildern um die Abwanderung sorgen? Was wird am Ende überhaupt auf die nationale Liste gesetzt werden? Lohnen für die wenigen Werke, dies es womöglich am Ende nur sind, der ganze Ärger, der Schaden für den deutschen Kunstmarkt und die Verunsicherung der Sammler.

Für Walter Vitt ist der Kölner Kunstausverkauf eine persönliche Katastrophe. Der ehemalige Politikredakteur im WDR, Kunstschriftsteller und langjährige Präsident des Kritikerverbandes AICA, hatte sich als ehrenamtlicher Kunstbeauftragter maßgeblich um den Aufbau der Sammlung gekümmert. „Wir wollten ein Haus mit zeitgenössischer Ästhetik und Ambiente“, erklärte der 79-Jährige im letzten Jahr, als die Wogen über den Verkauf hochkochten. Beim WDR habe das ungeschriebene Gesetz gegolten, dass statt Familienfotos Kunst in den Büros der Redaktion für eine kreative Atmosphäre sorgen sollte. So hing Kirchners „Alpweg“, einst für nur 600 D-Mark gekauft und jetzt auf mindestens 600.000 Euro geschätzt, jahrelang im Büro des Intendanten Fritz Pleitgen. Entsetzt über den Ausverkauf der Sammlung, erinnert Vitt daran, dass es mit den Erwerbungen der Expressionisten auch darum gegangen sei, ein Zeichen gegen den Kunstterror der Nazis gegangen sei. Das alles zählt offenbar nichts im WDR. Bleibt nur eine Frage: Wie kann ich es anstellen, dass dieser Sender nichts mehr von meinen Rundfunkbühren bekommt?

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