Künstliche Intelligenz erobert die zeitgenössische Kunstproduktion. Doch was sind die Parameter im Umgang mit der Software? Ist sie Konkurrent oder Partner? Am besten, man befragt die Kunst selbst nach dem Potenzial
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26.02.2024
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 223
KI ist das Instrument einer Generation von Digital Natives, die sich im Netz wie selbstverständlich mit konstruierten Identitäten bewegen. „Repräsentantinnen“ nennt Louisa Clement in der logischen Fortsetzung die Abgüsse von sich selbst, denen die Künstlerin 2020 mithilfe einer programmierten KI ihre eigene Biografie und Gedanken einpflanzte. Als reale Doubles waren sie in zahlreichen Ausstellungen präsent, sollten Gespräche führen und wiederum davon lernen. Das hat nicht reibungslos funktioniert, doch die Transformation des menschlichen Körpers und seine Interaktion sorgten für viel Aufmerksamkeit. Clement gewann unter anderem den Bonner Kunstpreis 2023, der sich mit einer Ausstellung verknüpft. Im Kunstmuseum Bonn zeigt die Künstlerin ab dem 22. Februar ihre fortentwickelte Arbeit „compression“: eine winzige Metallkapsel, gefüllt mit synthetisch generierter DNA aus den Datensätzen ihres bisherigen Werkes. Und Close-up-Fotografien mit klaren Bezügen zu Social Media, wo sich die eigene Abbildung mithilfe diverser Apps optimieren lässt. Clement führt diese Selbstdarstellung mit ihren verschachtelten und verdrehten Körperansichten allerdings ad absurdum.
Dreidimensional arbeitet auch Jenna Sutela. Eindrucksvoll sind ihre gläsernen Köpfe, in denen es zu brodeln scheint. Das erinnert an Lavalampen. Tatsächlich arbeitet die Künstlerin mit wärmeempfindlichem Wachs und einer dazugehörigen App, die mittels Machine Learning Botschaften aus den Zufallsformen liest und an die Nutzer kommuniziert. Sutela, 1983 in Finnland geboren, schafft mit „I Magma“ künstlich intelligente, „tiefträumende“ Rechensysteme, die das Gehirn nachahmen. Für ihre Skulpturen, Bilder und Performances nutzt Sutela sowohl biologische als auch computergestützte Systeme: Bakterien und Algorithmen. Immer geht es um Kommunikation. Das Zeitalter des Anthropozäns lässt sie hinter sich und macht symbiotische Netzwerke sichtbar, von denen der Mensch abhängt – ob er will oder nicht. Er ist umgeben von Schimmelpilzen und lernenden Computern, beides entzieht sich letztlich seiner Kontrolle. Es ginge auch ohne ihn. Sutela vermittelt zwischen Mensch, Mikrobe und KI und plädiert für ein respektvolles Miteinander.
Während die Finnin lustvoll experimentiert und Elektroden in Komposthaufen pflanzt, beeindrucken die Blumen von Anna Ridler durch ihre kühle, formale Schönheit. Die Arbeit „Mosaic Virus“, 2019 als LED-Screen auf dem Dach des Zentrums für Kunst und Medien in Karlsruhe zu sehen, zeigt Tulpen in unterschiedlicher Blüte und farblicher Ausprägung. Ein Hinweis, man ahnt es, auf das historische Phänomen der Tulpenmanie im 17. Jahrhundert und dem damit verbundenen ersten Börsencrash, der zahlreiche Sammler ruinierte.
Ridler verknüpft ihre von einem Computer-Vision-Algorithmus konstruierten Blüten – der mit Millionen von Bildern trainiert wurde, um künftig anhand eines von ihm entwickelten Modells selbst Blumen zu erkennen – allerdings mit der Kryptowährung Bitcoin. Ihre Schwankungen am Markt beeinflussen nun den Zustand der Tulpen: Wie Dünger lassen die Spekulationen über die Blockchain-Technologie die floralen Symbole der in London lebenden Künstlerin aufblühen oder vergehen. Daran schließt die Frage an, wie lernfähig der Mensch eigentlich ist: Eine von ihm mit KI ausgestattete Maschine würde den Fehler jedenfalls nicht wiederholen.
Für solche Überlegungen ist Mario Klingemann der Mann der Stunde. Im Jahr 2015 wurde er mit dem „Creative Award“ der British Library für seine Forschung in ihren digitalen Archiven ausgezeichnet, in KI-Ausstellungen wie auf Symposien zum maschinellen Lernen ist der in München lebende Künstler omnipräsent. Vergangenen Dezember launchte das Haus der Elektronischen Künste in Basel ein generatives NFT von Klingemann – natürlich mit Künstlergespräch.
Gefragt sind seine Reflexionen über die ästhetische Komponente von KI. „Schönheit alleine kann ziemlich langweilig werden“, erklärte er vor einiger Zeit im Interview. Kunstschaffende von Hieronymus Bosch über Goya bis zu Pablo Picasso hat diese Einsicht berühmt gemacht, KI muss sie offenbar noch lernen. Ein auf Perfektion getrimmtes System tut sich schwer mit vermeintlich Fehlerhaftem. Unwillkürlich fällt einem van Diekens schönes, aber doch langweiliges „Mädchen mit den leuchtenden Ohrringen“ wieder ein. „Etwas zu kreieren, das schön und interessant zugleich ist, ist viel schwieriger“, konstatiert Klingemann und bietet mit seiner KI-Installation „Memories of Passersby I“ (2018) ein Gegenmodell. Sie generiert imaginäre Porträts in Echtzeit, ist aber so manipuliert, dass Störungen auftreten und die Gesichter unvorhersehbar verzerrt.
Eines von drei Exemplaren der „Memories of Passersby I“ wurde 2019 bei Sotheby’s in London für 40 000 Pfund versteigert, für das Auktionshaus war es das erste KI-Werk und etwas enttäuschend, weil es im Rahmen der Schätzung blieb. Doch der nächste Run ist programmiert: Mit dem Ankauf von Refik Anadols monumentaler Datenskulptur „Unsupervised – Machine Hallucinations – MoMA“ als Token in der Blockchain Ende 2023 hat das Museum of Modern Art in New York die Softwarekunst geadelt. Vorangegangen war eine fast einjährige Ausstellung des Medienkünstlers und Architekten, die sich untrennbar mit der Kunst des Hauses verbindet. Wovon träumen Maschinen, wenn sie im MoMA waren, fragte sich Anadol und „fütterte“ die KI mit den Daten sämtlicher verfügbarer Werke. Seine Kunst erzeugt nun kontinuierlich neue Bilder, die auf Lichtverhältnisse, Akustik und Wetter reagieren. Fast wie ein Mensch.