KI-Kunst

Bin ich besser als Du?

Künstliche Intelligenz erobert die zeitgenössische Kunstproduktion. Doch was sind die Parameter im Umgang mit der Software? Ist sie Konkurrent oder Partner? Am besten, man befragt die Kunst selbst nach dem Potenzial

Von Christiane Meixner
26.02.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 223

Für die Besucher des Mauritshuis war es ein KI-Schock. Statt auf Jan Vermeer stießen sie Anfang 2023 in Den Haag auf Julian van Dieken. Sein Text-to-image-generiertes „Mädchen mit den leuchtenden Ohrringen“ hing auf der fein gemusterten Tapisserie und ersetzte Vermeers wohl bekanntestes Gemälde von 1665. Dieses war an das Rijksmuseum verliehen, und um den Platz zu füllen, veranstaltete das Mauritshuis einen Wettbewerb als Social-Media-Aktion.

Fünf von 3500 digitalen Beiträgen druckte man aus und zeigte sie in den historischen Räumen, darunter van Diekens sehr glattes Porträt einer jungen Frau mit Ohrschmuck wie Glühwürmchen. Es wurde ein Aufreger. Grell und kitschig fand es das Magazin Der Spiegel, nannte es fern jeder „Kreativität und Meisterschaft“. In den sozialen Medien empfanden viele das Bild als Beleidigung von Vermeers „Mädchen mit dem Perlenohrring“.

KI-Kunst als Missverständnis

Julian van Dieken, das muss man dazusagen, firmiert als „Fotograf, Educator und Digital Creator“, seine Agentur befasst sich mit innovativen Methoden des Lernens. Kunst und Design sind für den Berliner Tools, mit denen er spielt. Sein Ohrringmädchen versteht er zwar als Hommage an den Barockkünstler, nennt es jedoch immer ein mithilfe künstlicher Intelligenz und Photoshop erstelltes Porträt. Im später produzierten „HPI Wissenspodcast“ des Potsdamer Hasso Plattner Instituts merkt van Dieken kritisch an, dass die traditionelle Beschilderung im Mauritshuis – nur der Name des Autors und der Titel der Arbeit – die Missverständnisse um seine Kreation erst befeuert habe. Er selbst wollte das Programm Midjourney eigentlich bloß einen Abend lang ausprobieren, um zu testen, „ob man damit besser im Prompten“ wird.

Für ihre Serie „Being Borges“ generiert Ana Maria Caballero mithilfe künstlicher Intelligenz Bilder aus literarischen Texten, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden – und zeigt so die linguistischen Unterschiede der Kulturen auf. © Courtesy of the poet and Office Impart
Für ihre Serie „Being Borges“ generiert Ana Maria Caballero mithilfe künstlicher Intelligenz Bilder aus literarischen Texten, die in verschiedene Sprachen übersetzt wurden – und zeigt so die linguistischen Unterschiede der Kulturen auf. © Courtesy of the poet and Office Impart

Kann es sein, dass van Dieken in solchen Statements, was die eigenen Absichten anbelangt, das aktuelle Dilemma im Verhältnis von Kunst und KI auf den Punkt bringt? Der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist für sich ja noch keine Kunst, es geht um Ideen und Strategien im Umgang mit Software wie Midjourney oder Stable Diffusion. Wenn der Maler Roman Lipski von einer „echten Partnerschaft“ zwischen sich und jenem „artifiziellen Assistenten“ spricht, den ihm schon 2015 ein IT-Experte der Künstlerinitiative YQP programmiert hat, dann basieren Lipskis Landschaften auf einem inhaltlichen Austausch: ein Dialog mit dem Ergebnis jahrelangen Machine Learnings (ML), das Lipski inzwischen Varianten seiner eigenen Motive vorschlägt, auf die er selbst nicht kommen würde.

KI muss „schlau eingesetzt werden“

KI ist ein Tool, das „schlau eingesetzt werden muss, um einen künstlerischen Mehrwert zu schaffen“. So sieht es Anne Schwanz. Vor fünf Jahren hat sie in Berlin zusammen mit Johanna Neuschäffer die Galerie Office Impart gegründet, anfangs ohne feste Ausstellungsräume und bewusst im Netz präsent. Die Affinität zu Künstlerinnen und Künstlern, die ebenfalls im digitalen Raum arbeiten, ist entsprechend hoch – und mit Damjanski hatten sie auf der jüngsten Ausgabe der Messe Paris Photo einen Pionier auf diesem Sektor dabei. Damjanski, in Sarajevo geboren und in Hamburg aufgewachsen, sagt von sich, er lebe „in einem Browser“. Der Künstler entwickelt Apps wie „Bye Bye Camera“ für das sogenannte posthumane Zeitalter, die Personen aus der Fotografie entfernt, oder „Computer Goggles“ (2020), durch die man die Welt aus ungewohnter Perspektive betrachtet: aus der Sicht einer Maschine.

Wer sich 2018 im MoMA Damjanskis „MoMAR Gallery app“ auf dem Smartphone installierte, sah den fünften Stock des Museums plötzlich mit anderen Augen. Ein Teil der berühmten Werke war abgehängt und durch Bilder unbekannter Künstler ersetzt, Dripping-Gemälde von Jackson Pollock von fremder Hand verändert. Damjanski begreift dies als Guerilla-Taktik, sein Interesse gilt Themen wie Partizipation und Macht. Letztere dekliniert er konsequent bis zur Umkehr der Verhältnisse zwischen KI und Mensch: In der Performance „Humans Not Invited“, die 2020 in der Zürcher Galerie Roehrs & Boetsch stattfand, mussten Besucher draußen bleiben. Nur Bots konnten sich online Zugang verschaffen. Ein Bild wie „Mountain View Point“ mag nach zeitgenössischer Abstraktion aussehen. Tatsächlich basiert seine Ästhetik wie alles, was den inzwischen in New York lebenden Künstler beschäftigt, auf reinen Algorithmen.

Mythologische Wesen werden digital verwandelt

Mit der Künstlerin Ana Maria Caballero, Jahrgang 1981, arbeitet Office Impart fest zusammen. Deren Ausstellung „Being Borges“ war jüngst in den Räumen der Galerie zu sehen. Caballeros Werk wurzelt in der Sprache, ihre Bilder speisen sich aus der Literatur – und aus KI. Ihrem klugen Projekt legte sie das „Buch der imaginären Wesen“ von Luis Borges and Margarita Guerrero zugrunde, ein poetisches Kompendium imaginärer Wesen aus der Mythologie. Es wimmelt von Drachen, Sphinxen und Sirenen. Zwölf solcher fantastischen Kreaturen wählte die Künstlerin aus. Anschließend generierte sie daraus Fotografien: einmal nach dem spanischen Original, dann in der englischen Übersetzung von 1970 und schließlich auf der Basis ihres eigenen Gedichts.

In den gläsernen Köpfen „I Magma“ der finnischen Künstlerin Jenna Sutela brodelt Wachs und formt „tiefträumende“ Rechensysteme, die das menschliche Gehirn nachahmen. Künstliche Intelligenz liest aus der flüssigen Materie Orakel. © Åsa Lundén
In den gläsernen Köpfen „I Magma“ der finnischen Künstlerin Jenna Sutela brodelt Wachs und formt „tiefträumende“ Rechensysteme, die das menschliche Gehirn nachahmen. Künstliche Intelligenz liest aus der flüssigen Materie Orakel. © Åsa Lundén

Die Unterschiede sind evident. Obwohl Borges die englische Übersetzung begleitete und autorisierte, entsteht mit jeder Erzählung ein anderes Bild des Regenvogels Shang Yang. Mal ist er riesig, dann klein wie ein Kind oder wie in Caballeros Interpretation ein Mischwesen aus menschlichem und mythologischem Körper. Hier reagiert KI auf die Interferenzen der Sprachen und macht ihre kulturellen Unterschiede sichtbar.

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