Kunstdiebstahl

Vermisst! Neun ungelöste Fälle

Eine Polizeirazzia im Fall des Kunstraubs im Dresdner Grünen Gewölbe weckt Hoffnungen auf die Wiederbeschaffung der gestohlenen Juwelen. Diese sind nicht die einzigen Werke, nach denen seit Langem gefahndet wird

Von Simone Sondermann
17.11.2020
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 176

A Thief’s Best Friend

Der Gesamtwert der entwendeten Schmuckstücke beläuft sich laut BKA auf 5 Millionen Euro. Ideell lässt sich der Verlust ebenso wenig ermessen wie der Imageschaden der Dresdner Museen. Der Einbruch ins Grüne Gewölbe im November 2019 ist einer der spektakulärsten Kunstdiebstähle des vergangenen Jahrzehnts. Innerhalb weniger Minuten stiegen die Diebe ins Gebäude ein, zerschlugen eine Vitrine und rafften Colliers, Orden, die Hutagraffe der Diamantrosengarnitur von 1782–89 und weitere Teile der Juwelengarnituren Augusts des Starken zusammen. Sicherheitsleute beobachteten am Monitor die Tat, konnten aber nicht einschreiten. Neueste Spuren führen nach Berlin, nun gab es drei festnahmen nach einer Polizeirazzia in Neukölln.

Hutagraffe der Diamantrosengarnitur Juwelen Grünes Gewölbe Kunstdiebstahl
Die Hutagraffe der Diamantrosengarnitur von 1782–89 aus dem geraubten Juwelenschatz im Dresdner Grünen Gewölbe. © Jürgen Karpinski/Grünes Gewölbe, Staatliche Kunstsammlungen Dresden

Stürmische Zeiten in Boston

Die Räuber kamen in den frühen Morgenstunden des 18. März 1990 als Polizisten verkleidet ins Isabella Stewart Gardner Museum, um einer angeblichen Beschwerde wegen Ruhestörung nachzugehen. Dann überwältigten sie die Nachtwächter und raubten Kunst, die das FBI auf rund 500 Millionen Dollar schätzt – die teuerste Beute aller Zeiten: unter anderem Vermeers „Konzert“, Rembrandts einziges Seestück, „Christus im Sturm auf dem See Genezareth“, sowie Werke von Manet und Degas. Noch heute hängen leere Rahmen im Bostoner Museum. Die Auswahl der Diebe gibt Rätsel auf: Warum wurde Tizians „Raub der Europa“ verschont?

Trauriges Diebstahl-Triple

Sie sehen so fröhlich aus, die beiden Kinder auf Frans Hals’ „Zwei lachende Jungen mit Bierkrug“ aus dem Jahr 1626. Wenn sie wüssten, welch absurde Reise ihnen bevorsteht, wäre ihnen das Lachen vermutlich vergangen. Ende August dieses Jahres brachen Unbekannte um 3 Uhr morgens durch die Hintertür ins Museum Hofje van Aerden im niederländischen Leerdam ein und stahlen das einnehmende Genrebild des barocken Meisters aus dem Goldenen Zeitalter. Das Verrückte an der Geschichte: Es war nicht das erste Mal. Bereits ist Jahr 1988 war das Werk aus dem selben Museum entwendet worden. Nach drei Jahren war es wieder da, nur um 2011 ein zweites Mal gestohlen zu werden. Der Einbruch diesen Sommer macht die Triple-Irrfahrt der Jungs nun komplett.

Frans Hals’ „Zwei lachende Jungen mit Bierkrug“ aus dem Jahr 1626 Kunstdiebstahl
Frans Hals’ „Zwei lachende Jungen mit Bierkrug“ aus dem Jahr 1626 wurde gleich dreimal aus dem Museum im niederländischen Leerdam gestohlen. © Peter Horree/Alamy/mauritius images

Spitzwegs besonders armer Poet

Im Jahr 1976 stahl der politische Aktionskünstler Ulay eines der Lieblingsbilder der Deutschen aus der Berliner Nationalgalerie – und gab es nach wenigen Stunden zurück. Dreizehn Jahre später hatten zwei Männer weniger ideelle Absichten: Als Rollstuhlfahrer und Betreuer getarnt rissen sie Carl Spitzwegs „Der arme Poet“ und ein weiteres Gemälde bei einer Ausstellung in Schloss Charlottenburg von der Wand und verschwanden damit. Von Spitzwegs „Poet“ gibt es vier Versionen, eine Ölstudie, ein Gemälde von 1837 und zwei Fassungen von 1839, von denen eine der Münchner Neuen Pinakothek gehört. Die Berliner Version gilt seit gut 30 Jahren als vermisst.

Fast unterm Hammer

Es sieht nicht aus wie ein klassischer Renoir. Dennoch zog die lichte Ölstudie einer bretonischen Landschaft vom 1895, „Golfe, mer, falaises vertes“, die Aufmerksamkeit der drei Männer auf sich, die an einem Nachmittag im November 2018 das Wiener Auktionshaus Dorotheum betraten. Dort war der Renoir zur Vorbesichtigung der kommenden Versteigerung ausgestellt. Zielgerichtet nahmen sie das 27 mal 40 Zentimeter kleine Bild aus dem Rahmen, packten es in eine Einkaufstasche und verließen das Gebäude. Zwei der Täter sind mittlerweile verhaftet und verurteilt, einer von ihnen schon wieder auf freiem Fuß. Nach dem zarten Gemälde wird weiter gefahndet.

Pierre-Auguste Renoirs „Golfe, mer, falaises vertes“ Dorotheum Kunstdiebstahl
Pierre-Auguste Renoirs „Golfe, mer, falaises vertes“ wurde 2018 aus dem Wiener Auktionshaus Dorotheum entwendet. © Roberto Gobbo/Dorotheum

Die Taube von Paris

Man nennt ihn den „Spiderman“: Der Kletterspezialist und Kunstdieb Vjéran Tomic wird 2017 für seinen größten Coup zu acht Jahren Haft verurteilt. Am 20. Mai 2010 brach er ins Pariser Museum für Moderne Kunst ein und stahl mithilfe von Komplizen Meisterwerke von Picasso, Braque, Modigliani, Léger und Matisse. Die Diebe hatten leichtes Spiel, die Alarmanlage war außer Betrieb. Die Stadt Paris gibt den Gesamtwert der Gemälde mit 100 Millionen Euro an, das wertvollste unter ihnen ist Picassos „Taube mit grünen Erbsen“ von 1911. Das Diebesgut ist verschwunden, Ermittler gehen von einer Auftragstat aus.

Ihnen war Bellinis Madonna nicht heilig

Diebstähle aus Kirchen haben leider Tradition, vor allem in Italien – man denke nur an die berühmte Caravaggio-Entführung in Palermo 1969, bei dem die Mafia die Hände im Spiel hatte. Auf der Liste der zehn meistgesuchten Kunstwerke von Art Recovery International steht auch Giovanni Bellinis anmutiges Temperagemälde „Madonna mit Kind“. In der Nacht des 1. März 1993 wurde es aus der venezianischen Kirche Madonna dell’Orto entwendet. Es ist bereits das dritte Mal, dass die Gottesmutter gestohlen wurde. Kunstdiebstahlexperte Chris Marinello glaubt, dass sich das Gemälde noch in der Nähe des Tatorts befindet, doch noch fehlen konkrete Anhaltspunkte.

Giovanni Bellinis Temperagemälde „Madonna mit Kind“ Kirche Madonna dell’Orto Kunstdiebstahl
Giovanni Bellinis Temperagemälde „Madonna mit Kind“ gilt seit dem Einbruch in die venezianische Kirche Madonna dell’Orto im Jahr 1993 als vermisst. © NMUIM/Alamy/mauritius image

Zu spätes Geständnis beim Genter Altar

Viele Besucher der Kathedrale St. Bavo in Gent merken gar nicht, dass der 1432 vollendete Altar der Brüder van Eyck nicht komplett ist. Die Szene der „Gerechten Richter“ ist seit 1939 nur eine gute Kopie. Am Morgen des 11. April 1934 waren zwei Tafeln des weltberühmten Kunstwerks verschwunden. Bald meldete sich der Erpresser mit einer Millionenforderung und lenkte die Ermittler zur „Johannes“-Tafel, im Brüsseler Nordbahnhof. Dann verhinderte die Politik die Geldübergabe. Sieben Monate später gestand Arsène Goedertier auf dem Totenbett die Tat, doch die Tafel der „Gerechten Richter“ wurde nie gefunden.

Van Goghs Lockdown-Fall

Wer eine Notlage ausnutzt, ist moralisch besonders tief gesunken. Das gilt für die Diebe von van Goghs „Frühlingsgarten. Der Pfarrgarten von Nuenen“ von 1884, die das Werk Ende März 2020 während des Lockdowns aus dem Museum Singer Laren bei Amsterdam stahlen. Offiziell fehlt noch jede Spur von dem Gemälde, eine Leihgabe aus dem Groninger Museum, aber dem Kunstdetektiv Arthur Brand wurden Fotos zugespielt. Er ist der Sache wohl auf der Spur.

Vincent van Goghs „Frühlingsgarten. Der Pfarrgarten von Nuenen“ Groninger Museum Kunstdiebstahl
Vincent van Goghs „Frühlingsgarten. Der Pfarrgarten von Nuenen“ von 1884 wurde während des Lockdowns im Frühjahr aus dem Museum Singer Laren bei Amsterdam gestohlen. © Marten de Leeuw/Groninger Museum, Leihgabe der Gemeinde Groningen

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