Kunstwissen

Endlich spricht die Kunst

Ein Meilenstein im Fall Gurlitt: In Bern und Bonn wird ab November die Sammlung ausgestellt

Von Sebastian Preuss
19.10.2017

Wenn es um Gurlitt ging, dann spielten bislang die Werke eher eine Nebenrolle. Bekannt waren vor allem Liebermanns „Reiter am Strand“, die im Juni 2015 nach der Restitution für den Rekordpreis von 1,55 Millionen Pfund in London versteigert wurden. Zudem der ebenfalls restituierte Matisse, ansonsten konnte man sich die Raubkunst-Verdachtsfälle in schlechten Bildchen auf der Webseite von Lostart anschauen. Das sind rund 1100 Werke von den 1566 Positionen, die das Erbe von Cornelius Gurlitt nach derzeitiger Zählung umfasst. Den gesamten Bestand hat außer der bayerischen Staatsanwaltschaft, den Nachlassverwaltern, den Vertretern des Kunstmuseum Bern, dem Gurlitt nach seinem Tod 2014 den gesamten Besitz hinterlassen hat, und einigen Provenienzforschern bislang niemand sehen können.

Die Neugier ist also groß, wenn ab 2. November im Berner Museum und ab 3. November in der Bundeskunsthalle in Bonn die Doppelausstellung „Bestandsaufnahme Gurlitt“ startet. Rund 450 Werke werden zu sehen sein: 200 in Bern, größtenteils Arbeiten auf Papier, der Schwerpunkt liegt auf Bildern, die von den NS-Behörden 1937 als „entartete Kunst“ beschlagnahmt wurden und zur Vermarktung in die Hände von Hildebrand Gurlitt gelangten. Der Fokus in Bonn liegt auf Raubkunstfällen, auch hier sind die Mehrzahl der 250 Exponate Zeichnungen und Druckgrafiken, zudem gibt es Gemälde und Skulpturen.

Jeder Kunstfreund und Geschichtsinteressierte, überhaupt jeder, den das Schicksal von Cornelius Gurlitt menschlich berührt hat – dieses vereinsamten Sonderlings, dessen ungute Lebensaufgabe es war, das Erbe seines Vaters Hildebrand vor der Öffentlichkeit zu verbergen – kann nun selbst erkunden, über was sich alle Welt so erregte. Man wird ein letztes Mal den Kopf schütteln über die vorschnellen Milliardenschätzungen im November 2013, als die Beschlagnahmung von Gurlitts Sammlung wie eine verspätete Kriegsbombe platzte. Auch über die ebenso unqualifizierte Herabwürdigung, das seien doch alles nur Druckgrafiken des Expressionismus, wenn man die Meisterwerke von Monet, Cézanne, Rodin, Nolde und vielen anderen Künstlern bewundert. Und man wird die Arbeit der Restauratoren in den letzten drei Jahren wertschätzen. Denn gerade die Werke, die als zweite Sensation in Gurlitts Salzburger Haus auftauchten, waren teils in miserablem Zustand.

Jeder kann nun also selbst schauen, kann sich auf die Spuren des Hildebrand Gurlitt begeben, der in Dresden, Zwickau und Hamburg als Kunsthistoriker und Museumsleiter die Moderne propagierte, bis er diffamiert und vertrieben wurde, sich erfolgreich in den Kunsthandel flüchtete, in den Handel mit der „entarteten Kunst“ einstieg und sich schließlich während des Kriegs in den besetzten Gebieten mit dem massenhaften An- und Verkauf von Raubkunst schuldig machte.

 

Unsere Redaktion konnte sich vor einigen Wochen hinter den Kulissen informieren, wie Restauratoren, Kuratoren und Wissenschaftler in Bern, Bonn und Berlin das Gurlitt-Erbe aufarbeiten. Im Detail können Sie das in der aktuellen Ausgabe unseres Schwesterblatts, der WELTKUNST, nachlesen. Hier sei es in der gebotenen Kürze dargelegt: Die Ausstellungen werden alles, was man bislang weiß, materialreich ausbreiten. Endlich ist wohltuende Unaufgeregtheit eingekehrt, und mangelnde Transparenz wollen sich beide Häuser auch nicht nachsagen lassen.

Es wird ausführliche Erläuterungen zu den Provenienzen aller gezeigten Bilder geben. Der Werdegang und die Verstrickungen Hildebrand Gurlitts werden anschaulich gemacht, ebenso Methoden, Probleme und Erkenntnisse der Provenienzforscher. Gerade hier muss vieles zurecht gerückt werden. Wenn bislang nur fünf Raubkunstverdachtsfälle bestätigt werden konnten und davon vier zur Restitution führen, heißt das noch lange nicht, dass schlecht gearbeitet wurde. Im Gegenteil: Die Wissenschaftler der „Taskforce“ und jetzt beim nachfolgenden Projekt „Provenienzrecherche Gurlitt“ haben 1039 Positionen bearbeitet, davon 727 in die Tiefe. Wer einmal eines der bis zu 40-seitigen Dossiers in der Hand hatte, erkennt, wie aufwändig die Forscher recherchiert haben. Es gibt einen riesigen Berg an Spuren der Besitzgeschichten, leider führten aufgrund mangelnder Akten nur wenige zu rechtmäßigen Erben beraubter NS-Opfer. All diese Erkenntnisse fließen jetzt in die beiden Ausstellungen und den Katalog. Urteilen Sie selbst.

Service

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 16/2017

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