Albertinum Dresden

Kunst oder Kampf?

Die „Bruderstaaten“ im Globalen Süden waren ein wichtiges Thema der DDR-Kulturpolitik und wurden zum beliebten Sujet ostdeutscher Künstlerinnen und Künstler. Eine Schau im Albertinum stellt nun mit selten gezeigten Werken wichtige Fragen zum Verhältnis von Kunst und Propaganda

Von Ralph Gerstenberg
06.05.2024
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 226

Knallige Poster von Che Guevara, Fidel Castro und Lenin im Pop-Art-Stil! Die grellbunten Porträts der Revolutionsführer hätte man an den Wänden der Kommune 1 in Westberlin vermutet. Doch sie hängen in der Ausstellung „Revolutionary Romances?“ des Dresdner Abertinums, die „globale Kunstgeschichten in der DDR“ thematisiert. Es sind kubanische Filmplakate aus den Jahren 1968 und 1970, die dem Kupferstich-Kabinett der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden entstammen. Jahrzehntelang wurden sie von niemandem beachtet. Da Offsetdruckwerke in Massenauflagen eigentlich nicht den Sammlungskriterien des Kunstmuseums entsprechen, erielten sie nicht einmal Inventarnummern.

Ein stilistischer Kontrapunkt zu den biederen Auftragsarbeiten der DDR

Doch jetzt ist der Kurator Mathias Wagner sehr froh, mit der ins Auge stechenden Bildsprache der Revolutionsplakate einen stilistischen Kontrapunkt zu den oft eher biederen Auftragsarbeiten mancher DDR-Kunstschaffender setzen zu können. „Die kubanischen Grafikdesigner von damals haben größtenteils in den USA studiert und dadurch ganz andere Einflüsse aufgenommen, sodass das Dogma eines sozialistischen Realismus in Kuba nicht so ausgeprägt war, zumindest nicht in den 1960er-Jahren“, erzählt er.

Sein Porträt wurde zur Ikone: Den Tod des Revolutionsführers Che Guevara 1967 verarbeitete die Kubanerin Elena Serrano im Jahr darauf mit ihrer Lithografie „Dia del Guerrillero Heroico 8 de Octubre“
Sein Porträt wurde zur Ikone: Den Tod des Revolutionsführers Che Guevara 1967 verarbeitete die Kubanerin Elena Serrano im Jahr darauf mit ihrer Lithografie „Dia del Guerrillero Heroico 8 de Octubre“. © Herbert Boswank / SKD, Kupferstich-Kabinett

„Revolutionary Romances?“ widmet sich den Beziehungen zwischen der DDR und Ländern des Globalen Südens, die politisch-ideologisch einen ähnlichen Kurs einschlugen. Dazu zählten neben Kuba, Chile und Vietnam auch Indien, der Irak, Libyen, Mosambik und Myanmar, das damals Birma hieß. „Sozialistischer Internationalismus“ nannte man das oder „Völkerfreundschaft“. Und wie haben sich Kunstschaffende dazu positioniert? Wie reagierten sie auf internationale Entwicklungen und politische Maxime? Um das zu untersuchen, zeigt die Schau mehr als 200 Kunstwerke aus der DDR und den sogenannten „Bruderstaaten“ der Zeit zwischen 1949 und den Neunzigerjahren. Die Ideale und Widersprüche von einst reflektieren und hinterfragen zudem zeitgenössische Positionen und Auftragsarbeiten.

Matthias Rietschel dokumentierte das Leben vietnamesischer Arbeiterinnen in Dresden

So projiziert die 1987 in Vietnam geborene Sung Tieu fast nostalgisch wirkende Super-8-Filmaufnahmen von ihrem ersten Zuhause in der DDR, einer Plattenbausiedlung in Freital bei Dresden, auf eine DDR-typische Raufasertapetenwand. Daneben hängen elf reproduzierte Stasidokumente, die vom streng reglementierten und kontrollierten Leben vietnamesischer Vertragsarbeiterinnen und -arbeiter zeugen. Den Widerspruch zwischen dem Versprechen eines besseren Lebens und der ostdeutschen Realität zeigt auch eine Fotoserie von Matthias Rietschel, die von 1987 bis 1990 entstand. In Schwarz-Weiß mit vielen Grautönen dokumentieren seine Aufnahmen die beengten Wohnverhältnisse und den harten Arbeitsalltag vietnamesischer Arbeiterinnen im VEB Herrenmode Dresden, aber auch Liebesbeziehungen und Freundschaften zwischen Einheimischen und Vietnamesinnen. Schon das Zustandekommen dieser Fotos, eine Auftragsarbeit, ist ungewöhnlich. Denn der private Kontakt zwischen DDR-Bürgern und Vertragsarbeitern, von denen Vietnamesinnen und Vietnamesen die größte Gruppe darstellten, sollte vermieden und gegebenenfalls unterbunden werden.

Matthias Rietschel fotografierte „Vietnamesen in Dresden“, hier „Lys Geburtstag“ (1988)
Matthias Rietschel fotografierte „Vietnamesen in Dresden“, hier „Lys Geburtstag“ (1988). © Stefanie Recsko / Matthias Rietschel / SKD Kunstfonds

Zu den Weltfestspielen 1973 in Ostberlin veränderte die DDR ihr Gesicht. Als Gastgeber zeigte sich der sonst eher provinziell, rigide und farblos wirkende Cordhütchen-Sozialismus Erich Honeckers weltoffen und bunt. Dean Reed, US-Sänger mit DDR-Wohnsitz, schickte sein strahlendes Lachen in die Welt, Jugendliche aus 140 Ländern besuchten bei hochsommerlichen Temperaturen Konzerte, genossen auf Plätzen und in Parks ihr Zusammensein. Etwas von dieser Atmosphäre findet man auf einer Zeichnung von Ronald Paris wieder. Sie zeigt demonstrierende Menschen, die aus verschiedenen Teilen der Welt zusammengekommen sind, um für Frieden und Solidarität einzutreten – ein typisches, immer wiederkehrendes Motiv in der Ausstellung. Das Blatt wurde jedoch im Rahmen der internationalen Grafiktriennale Intergrafik 1973 im Vorraum des Alten Museums präsentiert und war dafür gedacht, dass sich die Besucherinnen und Besucher mit ihrer Unterschrift darauf verewigen konnten. So signierten Einheimische und internationale Gäste die Zeichnung wie zuvor die T-Shirts, Tücher und Stoffbeutel mit dem Weltfestspiel-Logo.

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