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Vor dem Sturm: Heinrich Heidersbergers Kubabilder

Der Fotograf Heinrich Heidersberger reiste 1954 auf einem Kreuzfahrtschiff von New York nach Kuba. Seine Aufnahmen aus dem vorrevolutionären Kuba sind jetzt erstmals in Havanna zu sehen

Von Simone Sondermann
28.07.2017

Im Sommer 1953 greift ein junger Revolutionär mit seinen Gefolgsleuten die Moncada-Kaserne im Osten Kubas an, um einen Volksaufstand gegen die verhasste Militärdiktatur zu initiieren. Das Unternehmen scheitert. Der Revolutionär entgeht mit Glück der Todesstrafe, doch er muss ins Gefängnis. Fidel Castros Zeit ist noch nicht gekommen.

Ein Jahr später geht ein Deutscher in Southampton an Bord eines Kreuzfahrtschiffes, das ihn über New York bis nach Havanna und dann weiter nach Südamerika bringt. Er ist nicht zum Vergnügen auf dem Schiff, sondern arbeitet als Bordfotograf. Er dokumentiert das fröhliche Treiben der amerikanischen Touristen, die sich die Reise in die Karibik mit Spielen und allerlei Späßen versüßen, bevor sie sich in Havanna in den Trubel einer Stadt voller Spielkasinos und exotischem Flair stürzen.

Drei Welten prallen aufeinander: Kuba unter der Militärdiktatur, wo schon ein erstes Donnergrollen der Revolution zu vernehmen ist, amerikanische middle class people auf der Suche nach dem großen Vergnügen und ein Deutscher, gerade mal neun Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg. Was für eine Konstellation.

Vom Bordfotograf zum MoMA-Künstler

Heinrich Heidersberger hat zu dieser Zeit schon ein bewegtes Leben hinter sich. Er wurde 1906 in Ingolstadt geboren, verbrachte seine Jugendjahre in Linz, lebte in den Dreißigerjahren in Paris und Kopenhagen, bevor er kurz vor Kriegsausbruch nach Deutschland zurückkehrte. Dort leitete er dann die Bildstelle der »Reichswerke Hermann Göring« in Salzgitter, einer monumentalen Fabrik, in der Tausende Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge eingesetzt wurden. Nach dem Krieg knüfte er schnell gute Kontakte zu den englischen Alliierten, porträtierte Soldaten, erhielt erste Aufträge aus der Werbung und eröffnete ein eigenes Fotostudio in Braunschweig.

Den Job als Bordfotograf auf der »MS Atlantic« vermittelt ihm 1954 ein italienischer Bekannter aus der Zeit im Stahlwerk in Salzgitter, ein ehemaliger Zwangsarbeiter, erzählt Benjamin Heidersberger, der Sohn des Fotografen. Ergebnis der Reise ist ein Konvolut von einigen Hundert Schwarz-Weiß- Negativen und zahlreichen Farbdias. Viele Dias, die Heidersberger an Bord und bei Landgängen aufgenommen hat, sind heute nicht mehr greifbar, denn sie standen an Bord gleich zum Verkauf – schöne Erinnerungen für einen Dollar das Stück, die Heidersberger im improvisierten Labor unter Deck entwickelte und abends projizierte. Die erhaltenen Bilder, und das sind immer noch viele, sind zu einem Stück Zeitgeschichte geworden, aufgenommen von einem Fotografen, der später vor allem in der Architekturfotografie Herausragendes leisten wird. Seine Bilder der Alvar-Aalto-Bauten in Wolfsburg wurden international beachtet, seine Rhythmogramme sind in der Study Collection des New Yorker MoMA zu finden.

Heidersbergers Aufnahmen vom Bordleben, den Geschicklichkeitsspielen im Pool, den herausgeputzten Frauen am Abend, dem stilvollen Relaxen an Deck wirken heute wie Prototypen der optimistischen amerikanischen Kultur der Fifties auf ihrem Siegeszug durch die Welt. Auch Kuba erscheint auf den Bildern oft wie ein einziger Hort des Vergnügens. Der Diktator Fulgencio Batista war im Zweiten Weltkrieg Verbündeter der USA und unterhielt bis zu seiner Vertreibung 1958 sehr gute Beziehung zum großen Nachbarn. Und zur Mafia, die Havanna zu einem Vorläufer von Las Vegas machte und riesige Summen mit dem Glücksspiel verdiente. Doch zum Glück interessierte sich Heidersberger auch für die andere Seite Kubas, ließ sich hineintreiben in den Alltag einer Insel mit großer sozialer Ungleichheit, hatte ein Auge für die Anmut und Würde der dunkelhäutigen Kubanerinnen mit ihren einfachen Schuhen und bunten Kleidern.

Quo vadis, Kuba?

Vier Jahre nach der Kreuzfahrt der „MS Atlantic« triumphieren die revolutionären Truppen von Fidel Castro und Che Guevara im Guerillakampf: Am Silvesterabend 1958 werden Batista und seine Familie aus dem Land gejagt, zusammen mit zahlreichen US-Amerikanern. Francis Ford Coppola hat diesen wunderbar bizarren Moment im zweiten Teil seiner Trilogie »Der Pate« verewigt, denn auch für die Mafia war das große Geschäft auf Kuba nun vorbei. Bald werden kaum mehr Kreuzfahrtschiffe Havanna ansteuern, vor allem keine amerikanischen. Fidel Castros Herrschaft wird fast 50 Jahre andauern.

Und heute? Nach Jahrzehnten der Isolation der Karibikinsel kam im März vergangenen Jahres Barack Obama zum historischen Besuch nach Kuba, im Mai 2016 hat Karl Lagerfeld eine Chanel-Kollektion dort präsentiert. Donald Trump hat Obamas Kuba-Abkommen zurückgenommen, die Beziehungen liegen wieder weitgehend auf Eis. Alle Welt fragt sich derzeit, wie es weitergeht mit einem der letzten kommunistischen Länder dieser Erde. Wird die Geschichte zurückgedreht? Kommen nach einem halben Jahrhundert Pause nun die Spielkasinos zurück, die Coca-Cola-Werbung, eröffnet bald McDonald’s eine Filiale? Benjamin Heidersberger, der mit dem Kurator Bernd Rodrian den Nachlass seines 2006 verstorbenen Vaters betreut, stellt die Fotografien von der »MS Atlantic« derzeit in der Fototeca de Cuba in Havanna aus. Ein lang gehegter Wunsch hat sich damit erfüllt. Heinrich Heidersbergers Aufnahmen sind ein Blick zurück und vielleicht nach vorn. Quo vadis, Kuba?

Service

Abbildung oben

Heinrich Heidersberger, Havanna, 1954 (Copyright: Institut Heidersberger)

Ausstellung

„MS Atlantic“, Fototeca de Cuba, Havanna, bis 4. August

Eine Version dieses Beitrags erschien in:

WELTKUNST Nr. 118/2016

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