Kulturhauptstadt 2024

Schlaflos im Salzkammergut

Drei Ausstellungen im Salzkammergut befassen sich mit der kritischen Aufarbeitung geraubter, verschleppter und restituierter Kunst

Von Christiane Meixner
15.04.2024

Die beiden Götter haben einiges erlebt. Schon vor dem Ankauf des Gemäldes von Anthonis van Dyck 1938 durch die Reichskanzlei Berlin, seine Überstellung in den „Führerbau“ München und die folgende Auslagerung im Altausseer Salzbergwerk war „Jupiter als Satyr bei Antiope“ in London, Paris und Luzern ausgestellt. Unklar bleibt die exakte Route des Bildes durch die Jahrhunderte, über die einstigen Besitzer weiß man kaum etwas, eine „NS-verfolgungsbedingte“ Entziehung während der 1930er-Jahre ist nicht auszuschließen. Seit 1960 hängt das Bild als Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland im Kölner Wallraf-Richartz-Museum, seine Historie wird weiter erforscht.

Ein perfektes Exponat für die Ausstellung „Die Reise der Bilder“ (bis 8. September) im Lentos Museum Linz. Und eine Zumutung für Kuratorin Elisabeth Nowak-Thaller: Je unklarer die Provenienz, desto schwieriger war es, aktuelle Besitzer zu überzeugen, die Werke in Linz zu zeigen. Manches darf nicht ausgeführt werden, in anderen Fällen wurden Rückforderungen befürchtet. Dennoch hat Nowak-Thaller gut 80 Werke von weit über 4000 zusammengetragen: Bilder und Objekte, die für das von Adolf Hitler geplante „Führermuseum“ in Linz wie auch für andere Kunsthäuser des Reiches gedacht waren.

Ferdinand Georg Waldmüller, „Niederösterreichische Bauernhochzeit“ aus dem Jahr 1843.
Ferdinand Georg Waldmüller, „Niederösterreichische Bauernhochzeit“, 1843. © Foto: Belvedere, Wien

Auf einem legendären Foto sitzt der Diktator vor dem Linzer Modell, das ihm 1945 nach Berlin gebracht wurde, und blickt versonnen auf das architektonische Monster. Gefüllt werden sollte es mit jüdischen Sammlern geraubter Kunst, Objekten aus Zwangsverkäufen und solchen Werken, die Hans Posse als Direktor der Dresdner Gemäldegalerie und Hitlers persönlicher Beauftragter anderen Museen abgenommen hatte. Es ging um Meisterwerke von Goya bis Arnold Böcklin, um Bilder von Edvard Munch, Lovis Corinth, Tiepolo und Tizian oder Max Liebermann. 1944 verfügte Hitler angesichts der Bombardements deutscher Städte den Umzug der Museumssammlung in das österreichische Salzbergwerk, und Elisabeth Nowak-Thaller staunt noch heute, wie gut die Kunstwerke die Transporte unter teils unglaublichen Bedingungen überstanden haben. Dass sie nun noch mal reisten und im Lentos mit Interieurs der Installationskünstlerin Henrike Naumann konfrontiert sind, hat ebenso mit der Geschichte des Hauses wie dem Status von Bad Ischl Salzkammergut als Kulturhauptstadt Europas 2024 zu tun.

Basis des heutigen Kunstmuseums in Linz war die Sammlung von Wolfgang Gurlitt. Der Berliner Kunsthändler, ein Cousin von Hildebrand Gurlitt, zeigte die Avantgarde seiner Zeit, handelte mit jüdischem Kunstbesitz – und erwarb 1940 für die Familie, seine Geschäftspartnerin und Geliebte sowie seine namhafte Sammlung eine Villa in Nachbarschaft zum NS-Kunstlager in Bad Aussee. 120 Werke verkaufte er der Stadt und empfahl sich gleich als Gründungsdirektor der künftigen Institution.

Später hat Linz dieses schwierige Erbe kritisch aufgearbeitet und ein gutes Dutzend der Werke restituiert. Gurlitts ebenso bewegtes wie windiges Leben wird in einer Gastausstellung des Lentos Museums bis zum 3. November im Kammerhofmuseum in Bad Aussee rekonstruiert und zeigt beides: den Kunsthändler wie den Profiteur. Die dritte Schau findet vom 27. April bis zum 1. September in Bad Ischl Salzkammergut statt. Zeitgenössische Arbeiten beleuchten „Das Leben der Dinge“ und widmen sich „Kunstwerken und Artefakten zwischen Raub, Verschleppung, Restitution und Rekonstruktion“. Elisabeth Nowak-Thaller hat alle drei Projekte kuratiert. Ihr verdankt die Kulturhauptstadt seinen schmerzhaften, aber doch inhaltlich wichtigen Stachel.

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