Antisemitismus in alter Kunst

Abhängen, einordnen, umbenennen?

Vorurteile und Anfeindungen erleben jüdische Menschen nicht nur im Alltag. Auch Kunstwerke transportieren seit Jahrhunderten Judenhass. Wie gehen die Museen mit diesem schwierigen Erbe um?

Von WELTKUNST REDAKTION
26.02.2024

Das Gemälde, das die Aufmerksamkeit des Kunsthistorikers Benno Baumbauer erregt hat, zeigt Jesus‘ Kreuzigung. Ein typisches Motiv für das Mittelalter. Wer genau hinschaut, entdeckt jedoch noch etwas anderes, das ebenfalls typisch für diese Epoche ist: explizit judenfeindliche Darstellungen.

„Es ist in vielerlei Hinsicht ein problematisches Bild“, findet Baumbauer. Trotzdem hat sich der Wissenschaftler ganz bewusst dafür entschieden, das fast 600 Jahre alte Kunstwerk aus dem Depot des Germanischen Nationalmuseums in Nürnberg zu holen und in der Dauerausstellung zu zeigen. 

Auch in alter Kunst ist Antisemitismus zu finden

Der namentlich nicht bekannte Maler stellt die Kreuzigung darauf als ein tumultartiges Gedränge dar. „Es ärgert und schockiert mich immer, wie alt diese Ressentiments sind“, sagt Baumbauer und deutet auf mehrere Details in dem Gemälde. Neben dem Kreuz stecken zwei Männer mit großen Nasen die Köpfe zusammen und verspotten Jesus. Einer von ihnen trägt ein Banner mit einem roten Hut, in vielen Ländern Europas damals ein Stigma für Juden. 

Damit aber nicht genug: Am Fuße des Kreuzes streitet eine Gruppe hässlicher Gestalten um den Mantel des sterbenden Christi. Einer von ihnen trägt ein Gewand mit hebräischen Schriftzeichen und einem gelben Ring, ebenfalls ein Stigma für Juden. 

Einordnen ohne Hassbotschaften zu verbreiten?

Solche Darstellungen können auch heute noch verletzen und Hass verbreiten. Sollten Museen diese überhaupt noch zeigen? Ja, findet Baumbauer. Denn sonst würden blinde Flecken entstehen. „Die Art und Weise, Menschen zu diffamieren und herabzusetzen, funktioniert über die Jahrhunderte gleich. Deshalb müssen Menschen lernen, solche Codes zu lesen.“ 

Doch wie können Museen das vermitteln? Wie können sie Kunstwerke mit diskriminierenden oder rassistischen Darstellungen historisch einordnend zeigen, ohne die Hassbotschaften weiterzutransportieren? Und welche Motive sollten zensiert werden? Mit diesen Fragen beschäftigen sich auch viele andere Museen in Deutschland. 

Der Antisemitismus-Eklat auf der Kunst-Ausstellung documenta fifteen im Jahr 2022 in Kassel habe das Bewusstsein für dieses Thema noch einmal geschärft, sagt Jan-Christian Warnecke vom Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, der Sprecher beim Deutschen Museumsbund für die kulturhistorischen Museen und Kunstmuseen ist. 

Antisemitische Stereotype durchziehen die europäische Kunstgeschichte

Große Häuser wie das Germanische Nationalmuseum mit mehr als 1,3 Millionen Kunst– und Kulturschätzen in der Sammlung stehen dabei vor einer großen Aufgabe. Baumbauer legt den Fokus deshalb auf die Dauerausstellung zum Spätmittelalter, die gerade neu konzipiert wird. 

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