Die Schwestern Sabine Rückert und Johanna Haberer wuchsen in einem Pfarrershaushalt auf. Ihre Kindheit war auch durch den Künstler Walter Habdank geprägt. Heute entdecken sie seine biblischen Holzschnitte neu – und sehen das Tröstende darin
Von
06.12.2023
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Erschienen in
Magazin Nr. 221
Auch die Habdank-Bilder in unserem Elternhaus wechselten, mit den Jahren wurden sie eindrucksvoller und später – als der Künstler Erfolg hatte – auch vielfarbiger. Er wuchs. Und wir wuchsen mit ihm. Seine biblischen Drucke an den Wänden begleiteten uns: der Vater, der den verlorenen Sohn in die Arme schließt; der alte Tempelpriester Simeon, der den neugeborenen Jesus mit seinen riesigen Händen umfasst; Noah, der nach der Sintflut die Taube begrüßt, die ihm das Abfließen der Wasser und damit das Überleben ankündigt; Kreuzesabnahmen, Marienbilder, Krankenheilungen, Maria Magdalena am Grabe Jesu … Und immer: die großen Hände, die großen Augen. Aber auch Imaginationen metaphysischer Sehnsucht oder verzweifelter Vergeblichkeit fertigte Walter Habdank an: fahrendes Volk ohne Heimat, Sterngucker, Menschen in Erwartung, der Strafgefangene in der Tretmühle, ein alter Mann und das Meer. Solche Bilder gaben Urzustände und Urgefühle des Menschen wieder, ohne an konkrete Personen oder Geschichten gebunden zu sein. Wie auch die Psalmen des Alten Testaments oder Evergreens aus der Schlagerparade ja vor allem elementare Gefühle aus den Tiefen des menschlichenn Herzens wiedergeben. Man hat Habdank deshalb oft einen Post-Existenzialisten genannt.
55 Jahre lang hat er gemalt. Er hatte drei Söhne, einer davon wurde ebenfalls Maler und nannte sich „Rabe“. Im Jahr 2007 schrieb dieser über die künstlerische Vielfalt seines Vaters: „Lithografien, Holzschnitte, Siebdrucke, Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde in Öl, Acryl und Mischtechnik. Eine umfassende Gesamtschau seines Werks zumel steigt; Petrus, der Jesus verleugnet und in Tränen ausbricht, als der Hahn dreimal kräht, und der ratlose römische Statthalter Pilatus, dessen Frage „Was ist Wahrheit?“ nur vom Blick des gefolterten Jesus beantwortet wird.“
Das ist es, was wir jetzt – älter geworden – mit neuen Augen wiederentdecken: die große Trostbedürftigkeit der Welt. Sie spiegelt sich in den wichtigsten Werken unseres alten, längst verstorbenen Hausfreundes. Diese allgegenwärtige Angewiesenheit auf Barmherzigkeit, die so ganz dem zeitgeistigen Selbstbild des autonomen Siegermenschen entgegensteht – sie hat uns in der Unterströmung unserer Seele immer begleitet, und je älter wir werden, desto mehr werden wir ihrer gewahr.
Doch letztlich stand für Walter Habdank die Resignation nicht im Mittelpunkt – die Hoffnung auf das Kommende, das Ausschauhaltende interessierte ihn. Auch verlockende, leicht bekleidete Frauen fanden in diesem Zusammenhang umfangreich Platz auf seiner Leinwand (merkwürdigerweise glichen alle seiner eigenen Frau Friedgard, einer markanten Erscheinung von strenger Schönheit). Menschen, die aufblicken und ausblicken, Gesichte haben – weit über das Sichtbare hinaus –, Träume oder einen anderen Blick auf die Welt. Das schon erwähnte Bild des Noah, der so dringlich auf die Taube wartet und sie schließlich in Empfang nimmt, hatte Habdank in der Zeit seines Sterbens am Krankenbett aufgehängt. Seine Bilder wollten Gegenwart – geschaffen aus der Perspektive der Ewigkeit.
So jedenfalls hat er es uns selbst gesagt. Das heißt: von der Warte der Zukunft aus das eigene Leben betrachten, die Gegenwart schon im abgeklärten, geheilten Rückblick imaginieren. Deshalb sind die vielen Holzschnitte, in denen Seher und Sterngucker und Hochsitze und Ferngucker und Fernrohre eine Rolle spielen, keine Fantasien der Zukunft, sondern Darstellungen des Futur zwei. Das Futur zwei ist eine Sprachgestalt, die heute nicht mehr oft benutzt wird, uns aber als menschliche Lebewesen ausmacht. Wir können auf uns selbst zurückblicken und Kraft aus der Zukunft schöpfen: Ich werde gelebt haben. Ich werde gehofft haben. Ich werde glücklich gewesen sein. Ich werde den Schmerz erlebt und den Tod überwunden haben.
UNTER PFARRERSTÖCHTERN
Gemeinsam machen Sabine Rückert und Johannna Haberer seit vier Jahren den Podcast „Unter Pfarrerstöchtern“, der die Bibelgeschichten von der Erschaffung der Welt bis zur Apokalypse erzählt.