Bild des Tages

Shoppen im Gotteshaus

In seinem Projekt „Heilige Geschäfte“ bringt der Aktionskünstler Christian Jankowski Kirche und Kommerz zusammen. Und bietet damit ziemlich viel Denkstoff

Von Sebastian Preuss
01.11.2023

Kunst und Kirche, das ist ein spannungsreiches Thema, seit die christlichen Instanzen durch die Aufklärung, die Französische Revolution und die globale Industrialisierung  ihre Rolle als zentrale Auftraggeber verloren haben. In den zweihundert Jahren seit der Umbruchszeit um 1800 ist die Welt immer säkularer geworden, und heute gibt es kaum noch relevante Künstler, die sich bereitwillig in den Dienst der Kirche stellen oder auch nur religiöse Themen in ihren Werken verhandeln wollen. Christian Jankowski, für seine hintergründigen konzeptuellen Aktionen bekannt, hat das Verhältnis von Kunst und Kirche nun in einem spektakulären Projekt in einer Weise ausgelotet, dass ich zunächst an eine absurde Fiktion dachte. Aber Jankowski liebt es, große Räder zu drehen und unmöglich erscheinende Dinge in die Tat umzusetzen.

„Heilige Geschäfte“ heißt sein Lübecker Projekt, das er zusammen mit der dortigen Overbeck-Gesellschaft realisiert. Dafür überzeugte er vier protestantische Gemeinden in der Stadt – darunter auch die der großen gotischen Kirchen St. Petri und St. Jakobi –, die Gotteshäuser für zwei Wochen in Geschäfte zu verwandeln. So mutierte die Jakobi-Kirche mit ihren hohen Gewölben zu einer ziemlich schicken Wohnlandschaft mit den skandinavischen Möbeln von Bolia, hat in St. Petri ein bekanntes Lübecker Geschäft brandneue Mobiltelefone und andere Produkte der Unterhaltungselektronik ausgebreitet. In zwei anderen Kirchen kann man jetzt Lebensmittel eines örtlichen Biomarkts oder Kleidung kaufen.

Aufgegebene, profanierte Kirchen wurden ja schon für alles Mögliche umgewidment, aber in Jankowskis Setting läuft der Gemeindebetrieb real weiter, finden Taufen und Gottesdienste statt oder setzen sich Gläubige zum Gebet nieder. Kult und Kommerz, Kontemplation und Konsum, Glaube und Geld: Jankowski bringt zwei Sphären zusammen, die üblicherweise voneinander getrennt sind. „Soziale Collagen“ nennt er seine Aktionen. Natürlich will er auch provozieren, und es mangelte in den Kirchengemeinden nicht an kritischen Stimmen. Aber die Pastorin Imke Akkermann-Dorn und ihre drei Kollegen ergriffen die Gelegenheit, Offenheit zu demonstrieren und Menschen zu begrüßen, die sonst nicht kommen würden. Das Angebot, ganz profan zu shoppen, zugleich die Aura der Gotteshäuser zu erfahren, wird bereitwillig angenommen. Und während der Gottesdienst in diesem ungewohnten Setting haben die Pfarrer genügend Stoff für ihre Predigten.

Die Kirchen haben heute immer größere Schwierigkeiten, die Menschen noch zu erreichen. Da baut ihnen Jankowski mit seinem Projekt eine Brücke zu denen, die sich schon längst von der Religion verabschiedet haben. Umgekehrt ebnet er Menschen, die der Kirche gegenüber fremdeln, den Weg zu Erlebnissen, die womöglich etwas Spirituelles oder wenigstens ein besonderes Erlebnis bescheren. Aber Jankowski ist kein Missionar. Er will „Bilder generieren, die aufrütteln“, wie er am Telefon sagt. Zugleich geht es ihm darum, etwas zu schaffen, das sich einprägt. Voller Begeisterung, wie die Menschen am Eröffnungstag noch lange miteinander über seine Aktion diskutierten. Und nicht wenige dann noch zwei Biogurken oder einen Pullover mit nach Hause nahmen.

Das Projekt ist nach allen Seiten offen. Man wundert sich, denkt lange darüber nach, es bleibt etwas haften. Hier kommen Kunst und Leben einmal ganz unmittelbar zusammen. Da ist Jankowski etwas wirklich Eindrückliches gelungen.

Übrigens: Das Lübecker Projekt „Heilige Geschäfte“ läuft noch bis 5. November.

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