Die Schwestern Sabine Rückert und Johanna Haberer wuchsen in einem Pfarrershaushalt auf. Ihre Kindheit war auch durch den Künstler Walter Habdank geprägt. Heute entdecken sie seine biblischen Holzschnitte neu – und sehen das Tröstende darin
Von
06.12.2023
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Erschienen in
Magazin Nr. 221
Unser Elternhaus war ein Pfarrhaus. Wir zwei Schwestern waren als Kinder in biblische Texte eingehüllt. Und wir waren umzingelt von Bildmotiven aus den beiden Testamenten. Unser Haus war angefüllt mit Holzschnitten und Ölgemälden eines zeitgenössischen Künstlers namens Walter Habdank. Der junge Habdank wohnte damals – die Rede ist von den 1950er- und frühen 1960er-Jahren – noch im Haus gegenüber zur Miete, in einer Dachstube unseres ereignislosen Vororts München-Pasing. Regelmäßig kam er zu uns herüber, zum Essen und Trinken. Er war ein echter Künstlertyp mit einem von Farbe gesprenkelten Kittel, pathetischer Gestik und hochgestochener Ausdrucksweise, die uns Kinder einschüchterte und die wir nicht verstanden. Habdank hatte sehr große Hände (mit bis aufs Nagelbett heruntergeschnittenen Fingernägeln), mit denen er seine Gesprächsbeiträge eindrücklich begleitete. Bis heute ist er uns dadurch und durch seine Augen, die er bei Schilderungen oder Meinungsäußerungen weit aufriss, deutlich in Erinnerung.
Er war über viele Jahrzehnte ein enger – vielleicht der beste – Freund unseres Vaters, obwohl er 16 Jahre jünger war als dieser. Der Freundschaft war wohl auch die Tatsache geschuldet, dass unser gesamtes Haus bald von den Werken jenes damals völlig unbekannten und mittellosen Künstlers überquoll. Alle vier Kinder der Familie Rückert hat er in unterschiedlichen Altersstufen porträtiert, manche in Bleistift, andere in Öl oder Acryl. Die Bleistiftzeichnungen hingen über dem Ehebett unserer Eltern. Ansonsten war Habdank in jenen Zeiten der Abkehr von der religiösen Weltwahrnehmung in der vom Nationalsozialismus verwüsteten Kunstszene Deutschlands ein absoluter Anachronist: Er malte religiöse Motive und schuf biblische Bilder. Zum Beispiel einen sehr großen Farbdruck im Jahr 1952 (da war Habdank ein gut 20-jähriger Student), der die Erschaffung der Welt darstellt. Ein fast naives, noch unreifes Wimmelbild, das man in einer Kinderbibel vermuten würde.
Es zeigt einen relativ jungen und beleibten Gottvater mit dickem schwarzem Bart, der in einer Mandorla über einer paradiesischen Schöpfung schwebt – eine Art Ivan Rebroff des Universums. Um ihn surren die Planeten, und unter ihm tummeln sich Wale, Schildkröten, Giraffen und Elefanten. Dieses Bild studierten wir Kinder nacheinander beim Einschlafen – denn es wanderte mit den Jahren durch sämtliche Kinderzimmer. Was hat es wohl mit uns gemacht?, fragen wir Schwestern uns heute. Die personalisierte, rauschebärtige Gottesvorstellung muss den Künstler selbst irgendwann abgestoßen haben, denn er drang mit unserem Vater Ende der Sechzigerjahre nachts heimlich und mit Leitern bewehrt in eine nahe gelegene Kirche ein. Dort entwendeten sie den in die Spitze des Hochaltars eingelassenen himmlischen Großvater eines unbekannten Künstlers (für den einst ein bayerischer Postbote Modell gesessen haben sollte) und ersetzten ihn durch ein Stück von Walter Habdank gemalten wolkenverhangenen Himmel. Keiner hat sich je darüber beschwert. Ob es überhaupt jemand bemerkt hat?