Biedermeier

Unser kleines Leben

In der Zeit des Biedermeiers sehnten sich die Menschen nach einer friedlichen, behaglichen Welt und suchten ihr Glück im Privaten. Die Münchner Maler verewigten die Epoche detailreich und mit einem Augenzwinkern

Von Gloria Ehret
22.11.2021
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 191

Aus der Landschaftsmalerei entwickelte sich bald die ebenso bedeutende Sittenmalerei. Peter von Hess ging 1832 im Gefolge Ottos nach Griechenland. Geschickt kombinierte er typische Landschaftsmotive mit Figurenszenen zu Ereignisbildern oder verflocht die Natur mit Kostümstudien zu attraktiven Genreszenen. Er zeigte griechische Landleute am Meer oder Bauern mit Packtieren, bevor er, zurück in München, mit heimischen Szenen in biedermeierlichem Realismus Erfolg hatte. Dabei wurde er nie sentimental oder schnurrig. Typische bayerische Feste wie den Leonhardiritt schilderte er unbefangen und ohne Belehrung

Biedermeier München
So sah vor den Umbauten Ludwigs I. der heutige Odeonsplatz Richtung Ludwigstraße aus: Domenico Quaglio, „Die alte Reitschule mit dem Café Tambosi“, 1822. © Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek

Erfüllt von der Begeisterung für die Ideale der griechischen Antike und die italienische Renaissance, hatte Ludwig schon als Kronprinz verkündet: „Ich will aus München eine Stadt machen, die Teutschland so zur Ehre gereichen soll, dass keiner Teutschland kennt, wenn er nicht München gesehen hat.“ Bis heute prägen die von Ludwig beauftragten Plätze, Straßenzüge, Kirchen und Prachtbauten das architektonische Bild der Stadt.

Was Gottfried Semper 1834 in Berlin mit den Worten „unsere Hauptstädte blühen in allen möglichen Stilarten“ konstatierte, gilt auch für die bayerische Kapitale und die hier entstandene Malerei. Im November 1823 wurde der Münchner Kunstverein gegründet. Eifersüchtig von der Kunstakademie beäugt, wo die Historienmalerei gepflegt wurde, gedieh hier eine bürgerliche Malerei mit naturalistischen Schilderungen der heimischen Landschaft, aber auch städtischen wie bäuerlichen Genredarstellungen und Bildnissen. Zu den Gründungsmitgliedern des Kunstvereins zählten Friedrich Gärtner, Peter von Hess, Josepf Stieler und Domenico Quaglio. Zwar erfuhr der Kunstverein mit seiner „Wirklichkeitskunst“ im Gegensatz zur Akademie keine Unterstützung von Staat und Thron, doch soll der kunstbegeisterte Ludwig I. die dortigen Ausstellungen fast allwöchentlich besucht haben.

Gute Alte Zeit

Allen echten Münchnern schlägt das Herz höher, wenn sie im Stadtmuseum Heinrich Adams wunderbare Veduten mit ihrer Figurenstaffage aus dem alltäglichen Straßenleben vor Augen haben. Ein zentrales Gemälde wird jeweils von kleineren Bildern mit weiteren Stadtmotiven umrahmt, alle in hellen und klaren Farben. Oft sind zwei Kompositionen als Pendants aufeinander bezogen. Seit 1835 stellte Adam diesen beliebten Bildtypus im Kunstverein aus. 1839 verewigte er „Das Alte München“ mit dem Marienplatz in der Mitte, umgeben von Ansichten der Michaels-, Theatiner- und Frauenkirche sowie der Residenz. „Das Neue München“ stellt den Max-Josephs-Platz mit dem Opernhaus ins Zentrum, umgeben von der Glyptothek, dem Odeonsplatz, St. Bonifaz und dem Karolinenplatz mit Obelisk. Im Jahr 1843 malte Adam „Das Alte München“ mit Karlstor, Maxburg, Viktualienmarkt oder dem Tal. Als Pendant dazu konzipierte er „München und Umgebung“ mit einem Blick auf die Isar, umgeben von beliebten Ausflugszielen wie Schloss Biederstein, Ismaning, Possenhofen, Starnberg oder Nymphenburg.

Biedermeier München
Heinrich Adam hielt 1839 in einer ganzen Bilderserie „Das neue München“ fest, hier der Max-Joseph-Platz mit Nationaltheater und Königsbau der Residenz. © Museum Georg Schäfer, Schweinfurt

Solche idealisierten Ansichten verkörperten Wunschvorstellungen nach der „guten alten Zeit“, wie sie in der Biedermeierzeit gerne verklärt wurden. Auch öffentliche Ereignisse wurden zum Thema. Etwa das von Kobell festgehaltene Pferderennen auf der Theresienwiese 1810 anlässlich der Hochzeit von Ludwig und Therese von Sachsen-Hildburghausen. Es war der Ursprung des Oktoberfests. Oder „Die Präsentation der Bavaria in der königlichen Erzgießerei“, 1844 von Wilhelm Gail gemalt. Typisch münchnerisch nahm sich Moritz von Schwind der kolossalen Bronzestatue an, indem er voller Humor zwergenhafte „Gnomen am Zeh der Bavaria“ ins Bild setzte. In den 1840ern war die beseelte Natur Schwinds Hauptthema. Er verwob sie mit Märchenmotiven wie Nixen, dem Riesen Rübezahl, der durch das Waldesdickicht stapft, oder mit „Des Knaben Wunderhorn“, angeregt durch Lieder und Gedichte der Brüder Brentano. Schwind selbst bezeichnete seine romantisch verklärten Bilder als „Gelegenheitsgedichte“ und „lyrische Arbeiten“. Wie breit sich die Münchner Malerei dieses Jahrzehnts auffächerte, sei mit Leo von Klenzes strahlender „Akropolis von Athen“ von 1846 angedeutet.

Unsere Vorstellung vom biedermeierlichen München hat wohl kein Maler so nachhaltig geprägt wie Domenico Quaglio. Auch seine Familie war mit Karl Theodor aus Mannheim gekommen. Seit den 1820er-Jahren eroberte er sich mit seinen detailgenauen, stimmungsvollen Stadtprospekten, erfüllt mit geschäftigem Treiben, einen ersten Rang in der Münchner Kunstgeschichte. Seine akribisch getreuen Veduten vom Viktualienmarkt oder vom Fischmarkt bezaubern bis heute. Domenicos Bruder Lorenzo II Quaglio verdanken wir liebevolle, typisch biedermeierliche Schilderungen des kleinbürgerlichen und ländlichen Milieus. Den Blick aufs volkstümliche Treiben der Münchner richtete Ferdinand Jodl mit Momentaufnahmen aus Weinschenken oder dem beliebten Maderbräu. Denn in der Bierstadt München kamen auch derbe Wirtshausszenen nicht zu kurz. Franz Xaver Nachtmann schildert uns das feuchtfröhliche Beisammensein während des vierwöchigen Maibockausschanks in seinem Bild „Im Münchner Bockkeller“.

Biedermeier München
Franz Xaver Nachtmann verewigte das bierselige Treiben im Wirtshaus, „Im Münchner Bockkeller“, 1830. © Münchner Stadtmuseum

Dass das beliebte Bockbier zur Medizin erklärt wurde und mit Rettich als Frühstücksersatz diente, veranschaulicht ein ganz auf feste und flüssige Nahrung konzentriertes Stillleben von Sebastian Franz von Waxenberger. Der süffige „Nettare Monaco“ wurde damals übrigens bis nach Kairo versandt. Johann Wilhelm Preyer, einer der bedeutendsten Stilllebenmaler des Biedermeiers, malte 1839 ein „Münchner Bockstillleben“. Diese Sonderform erfreute sich sogar in den USA als „Munich Still Life“ großer Beliebtheit. Wie facettenreich ein Maler sein Spektrum auffächern konnte, zeigt Johann Georg Christian Perlberg. Wir kennen ihn als Maler folkloristischer Darstellungen etwa der stadtbekannten „Radi-Weiber“ oder der „Fliegenden Händler im Pschorrbräu“, bevor er König Otto nach Griechenland folgte und sich dort ganz anderen Themen zuwandte.

Spitzwegs Sonderlinge

In München setzten sich die Künstler gern auch selbst in Szene, am liebsten in fröhlicher Gesellschaft etwa in ihrem Stammlokal Stubbenvoll, an dessen Wänden Statuetten der großen Vorgänger Holbein, Dürer und Rubens zu entdecken sind. Unter den rund 40 Dargestellten lassen sich die Genremaler Karl von Enhuber und Heinrich Marr, der Bildhauer Franz Xaver Schwanthaler und der Historienmaler Theodor Dietz, der auf dem Stuhl stehend einen Trinkspruch ausruft, identifizieren.

Kein zweiter Maler wird so sehr mit dem Münchner Biedermeier in Verbindung gebracht wie Carl Spitzweg. Der ausgebildete Apotheker wandte sich erst nach einer Typhuserkrankung als Autodidakt der Malerei zu. Seine meist kleinformatigen Gemälde sind in ihrer „epigrammatischen Knappheit“, wie es ein Kunsthistoriker formuliert hat, in der Sittenmalerei singulär. Zugespitzt aufs Anekdotisch-Humoristische, gipfeln die hintergründigen Charakterstudien im „Armen Poeten“, den er 1837 malte und 1839 noch einmal wiederholte. Voller Humor und psychologischer Durchdringung erfasste Spitzweg eine unheroische Welt von Sonderlingen wie dem „Kaktusfreund“ oder dem „Bücherwurm“. Kleine Juwelen sind die idyllisch-heiteren Szenen in durchsonnter Landschaft.

Biedermeier München
Abendidylle in Pantoffeln, den Blick auf das damals noch ziemlich kleine München: Gustav Seeberger, „Der Turmwächter auf dem Petersturm“, 1843. © Bildarchiv Hausmann/Interfoto

Auch die Porträtmalerei wurde im biedermeierlichen München gepflegt. Drei ganz unterschiedliche Beispiele von Heinrich Maria Hess seien genannt: Typisch für die Epoche erscheint das keusche Brustbild der Fanny Gail mit weißem Kragen und einer Näharbeit in den Händen. Als fast lebensgroßes Ganzfigurenbildnis zeigt Hess die Marchesa Marianna Florenzi in einem römischen Garten sitzend, im Hintergrund Kronprinz Ludwig. Den berühmten Bildhauer Bertel Thorvaldsen stellte er dagegen in altmeisterlicher Dürer-Manier dar; auch hier eröffnet sich ein Ausblick auf Rom.

Als bekanntester Porträtist der Münchner Biedermeierzeit ist Joseph Karl Stieler in die Kunstgeschichte eingegangen. In Mainz gebürtig, kam er 1820 nach Bayern. In Wien bei Füger und in Paris bei Gérard ausgebildet, widmete er sich ausschließlich der Bildnismalerei. Wir kennen König Maximilian I. aus Stielers höfischem Porträt am Schreibtisch: prägnant erfasst im Stil des poetischen Klassizismus und in dekorativem Kolorit.

Bayerns Schönheiten

Bis heute prägt Stielers Goethe-Bildnis unsere Vorstellung des großen Dichters und Denkers. 1828 im Auftrag König Ludwigs I. in Weimar gemalt, hält Goethe einen Brief des Monarchen mit dessen Gedicht in der Hand. Wie groß der Einfluss von Goethes „Italienischer Reise“ übrigens damals in gebildeten Kreisen war, veranschaulicht die Äußerung, dass nur wer das klassische Land betreten habe, auch Goethe ganz verstehe. Im Jahr 1835 verewigte Stieler den Philosophen Friedrich Wilhelm Joseph von Schelling in einem Brustbild. Schelling war von 1827 bis 1841 Generalsekretär der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und Erzieher der Wittelsbacher. Der Kunst gestand er eine eigene autonome Wirklichkeit zu, die Stieler in seinen Bildnissen zum Ausdruck brachte.

Unsterblich wurde Stieler mit seiner „Schönheitengalerie“ für König Ludwig. In diesem „Kunstserail“, zwischen 1827 und 1850 entstanden, vereinte er das damals gültige Schönheitsideal anhand von anmutigen bürgerlichen Mädchen über glamouröse Adelige bis hin zu schillernden Damen zweifelhaften Rufes. Denn unabhängig von Stand und Rang wollte Ludwig I. mit der Porträtgalerie, die heute noch in Schloss Nymphenburg zu bewundern ist, der weiblichen Schönheit in Bayern ein Denkmal setzen.

Biedermeier München
In Carl Spitzwegs „Kaktusliebhaber“, um 1850, geht es auch um Einsamkeit. © Münchner Stadtmuseum

Das Biedermeier, so problematisch und schwer einzugrenzen der Begriff als Epochenbezeichnung ist, huldigte standesübergreifend dem Privatleben. Wer den „Silberarbeiter Joseph Westermayer im Kreis seiner Familie“ mit Ehefrau und sechs Kindern 1847 gemalt hat, ist unbekannt. Der Hausherr, der ein Silbergeschäft bei der Frauenkirche führte, präsentiert sich anlässlich seines 50. Geburtstags stolz inmitten seines Haushalts im pelzverbrämten Rock. Er war einer der 4230 Münchner mit Bürgerrecht, bei insgesamt rund 95 000 Einwohnern. Westermayers Loyalität zum König spiegelt sich in dessen Bildnis, das neben einer Madonnendarstellung an der Wand hängt.

1848, im letzten Regierungsjahr Ludwigs, das gleichzeitig das Ende der Biedermeier-Ära markiert, malte Wilhelm von Kaulbach das programmatische Gemälde „Ludwig I. umgeben von Künstlern und Gelehrten, steigt vom Thron, um die ihm dargebrachten Werke der Plastik und Malerei zu betrachten“. Welch weitreichende Wertschätzung Kunst und Künstler auch künftig in München genossen, veranschaulicht die Tatsache, dass spätere Maler wie Kaulbach, Piloty, Lenbach und Stuck gar als „Malerfürsten“ in die Münchner Kunstgeschichte eingegangen sind.

Was für ein Epochenbild hat uns die Münchner Malerei der Restaurationszeit hinterlassen? Die Maler der Akademie setzten historisch-heroische Themen ins Bild. Die im Kunstverein vertretenen „Fächler“ wandten sich einer bürgerlichen Welt zu, auch wenn manches nur erträumt war. Sie schilderten bieder-idyllische Landschaften oder humoristische Genreszenen. Oft sind die Grenzen fließend. Schattenseiten wie Krieg, Tod, Elend und Armut wurden ausgespart. Es war der Schein einer heilen Welt.

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