Auktionen

Spitzwegs späte Gerechtigkeit

Die Coronakrise bringt auch das Auktionsgeschäft durcheinander. Carl Spitzwegs „Fiat Justitia“ sollte schon Ende März zum Aufruf kommen. Nun ist das restituierte Gemälde für einen Hammerpreis von 550.000 Euro bei Neumeister versteigert worden

Von Sabine Spindler
28.02.2020

Mit acht Werken von Carl Spitzweg bei der Märzauktion offenbart Neumeister seine Marktführerschaft für diesen Maler des 19. Jahrhunderts. Darunter ist das berühmte Gemälde „Justitia“. Die Göttin der Gerechtigkeit hat schon bessere Zeiten erlebt: Die Skulptur posiert wie eine umdekorierte Germania auf dem Treppenabsatz zu einem morbiden Palast und ist in einem desolaten, wackeligen Zustand. Die Augenbinde, Zeichen der Neu­tralität, ist nach oben gerutscht. Eine der Waagschalen fehlt ganz. Und irgendjemand hatte sie anscheinend schon einmal vom Sockel gestoßen, wie die Bruchstelle am Saumrand des Gewandes verrät. Gemalt im Jahr 1857, als Deutschlands liberale Träume aus der Revolution von 1848 längst an einer rigiden Gesetzgebung zerschellt waren, hat Spitzweg hier so unverblümt wie nie gezeigt, dass auch in ihm die Schärfe eines Daumier oder Doré steckt. Das Gemälde, das als Toplos der Auktion am 6. Mai versteigert wird, gilt allen Kennern als politischstes Werk des wohl spöttischsten deutschen Malers des 19. Jahrhunderts.

Carl Spitzweg, „Justitia“, 1857, Abbildung: Christian Mitko/NEUMEISTER
Carl Spitzweg, „Justitia“, 1857, Abbildung: Christian Mitko/NEUMEISTER

Aufarbeitung und Restitution

Politisch ist „Justitia“ nicht nur wegen ihres Bildinhaltes. Die Provenienz zeigt, wie viel nicht aufgearbeitete Nazivergangenheit in der Kunstsammlung der Bundesrepublik Deutschland steckt. Als Gleichnis für die Brüchigkeit von Rechtsstaatlichkeit und Gerechtigkeit hing das Werk seit 1961 in der Villa Hammerschmidt in Bonn und repräsentierte den Geist des Bundespräsidialamtes. Dass sich dahinter eine Geschichte von Naziverfolgung, Vernichtung und Nachkriegsignoranz verbarg, ahnten weder Heinrich Lübke noch Roman Herzog. Erst im Jahr 2006 füllte die Historikerin Monika Tatzkow die geschichtliche Gedächtnislücke: Spitzwegs „Justitia“ gehörte in den 1930er-Jahren dem jüdischen Kaufmann Leo Bendel und seiner Frau Else. Als 1935 Juden auf Druck des Naziregimes aus leitenden Positionen gedrängt wurden, wurde auch dem Generalvertreter der Tabakfirma Ermeler gekündigt. Um die Emigration von Berlin nach Wien zu finanzieren, veräußerte er seine Kunstsammlung. Die „Justitia“ kaufte 1937 die Münchner Galerie Heinemann für 16 000 Reichsmark. Für 25 000 Reichsmark erwarb ein Jahr danach die Kunsthändlerin Maria Almas-Dietrich das Bild für Hitlers „Führermuseum“ in Linz. Bendel wurde nach dem „Anschluss“ Österreichs von Wien aus deportiert und starb 1940 im Alter von 72 Jahren im KZ Buchenwald. Seine katholische Witwe lebte bis 1957 unter ärmlichsten Verhältnissen in Wien. Dort wegen ihres deutschen Passes als Opfer nicht anerkannt, fehlten ihr in Deutschland für eine Entschädigung die Nachweise.

Um ihre Ausreise aus Deutschland zu ermöglichen, verkauften Leo und Else Bendel (hier kurz nach der Ankunft in Wien) Hausrat und Kunstsammlung – darunter auch Carl Spitzwegs „Justitia
Um ihre Ausreise aus Deutschland zu ermöglichen, verkauften Leo und Else Bendel (hier kurz nach der Ankunft in Wien) Hausrat und Kunstsammlung – darunter auch Carl Spitzwegs „Justitia". Kurz nach dem „Anschluss" wurde Leo deportiert und im KZ Buchenwald ermordet. Die Restitution des Gemäldes an die Erben erfolgte erst 2019, Abbildung: Privatarchiv Karl-Werner Quarg/Elisabeth Sanmann Verlag

„Justitia“ gelangte 1945 in den Central Collecting Point in München, 1949 wurde sie Teil des Bundesfinanzvermögens. Nach diesen erschütternden Erkenntnissen hängte das Bundespräsidialamt das Bild ab. 2007 teilte das Bundesfinanzinisterium mit, das Bild an die Erben Leo und Else Bendels zurückzugeben. Zwölf weitere Jahre warteten die Nachkommen von Elses Schwester Margarete auf den Akt der Gerechtigkeit. Erst im November 2019 wurde das Bild tatsächlich restituiert. Die Sammlung Oetker in Bielefeld, die aus Bendels Besitz Spitzwegs „Hexenmeister“ besaß, reagierte schneller als der Staat und übergab das Bild schon früher an die rechtmäßigen Erben.

Neumeister setzt traditionell auf alte Kunst

Wie der Markt dieses ungewöhnliche Spitzweg-Werk, das nun in doppelter Weise politisch aufgeladen ist und weder den gängigen Vorstellungen von pittoresken Idyllen noch von vorimpressionistischen Landschaften entspricht, annehmen wird, ist ungewiss: Preis auf Anfrage. „Natürlich wünschte ich mir einen siebenstelligen Betrag“, so Rainer Schuster, Gemäldeexperte des Hauses, „aber ich gehe von einem schönen sechsstelligen Ergebnis aus.“ Die Dramaturgie der Auktion ist jedenfalls ausgefeilt. „Justitia“ wird erst am Ende, nach 400 Losen aufgerufen. Darunter wird die zwischen 1750 und 1775 ausgeformte Meissener Porzellangruppe „Stierhatz“ von Johann Joachim Kändler (Taxe 3800 Euro) sein sowie die Skulptur einer Salzburger thronenden Maria mit Kind, um 1430, die auf 20 000 Euro geschätzt ist.

Umgang mit ungeklärten Provenienzen am Auktionhaus

Katrin Stoll, geschäftsführende Gesellschafterin von Neumeister, sieht sich gern als Traditionalistin unter den Versteigerern. Während andere auf Nachkriegsmoderne wie etwa Zero setzen, macht sie sich weiter stark für die alte Kunst. Dass ein so bedeutendes Gemälde wie die „Justitia“ in ihrem Hause eingeliefert wird, ist kein Zufall. „Ich sehe es als eine Symbiose aus Anerkennung um Neumeisters Engagement für die Malerei des 19. Jahrhunderts, aber auch für unseren konsequenten Umgang mit NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut“, erklärt sie im Gespräch. Was Provenienzen betrifft, ist sie strikt. Seit Jahren bewahrt sie ein Gemälde Frans Franckens in ihrem Magazin auf – bis zur Klärung der Eigentumsverhältnisse in den Jahren 1933 bis 1945 soll es dort bleiben. In Sachen Spitzweg ist Neumeister bis heute Rekordhalter: Unübertroffen ist der Hammerpreis von 2,4 Millionen D-Mark, den „Der ewige Hochzeiter“ im Jahr 2000 erzielte. Unter anderem kommen von Spitzweg jetzt das Gemälde „Am Marterl“ zum Aufruf, das seine Könnerschaft im Komponieren lichtdurchfluteter Landschaften widerspiegelt, sowie eine „Waldlandschaft“. Ihre moderaten Taxen liegen bei 20 000 bis 25 000 Euro. Bis vor Kurzem hingen sie noch als Dauerleihgabe im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg. Die Provenienz ist ein Gütesiegel. 

Service

Auktion

Alte Kunst
Neumeister, München
6. Mai

Dieser Beitrag erschien in

WELTKUNST Nr. 168/2020

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