Grete Ring

Die unterschätzte Galeristin

Sie übernahm den Kunstsalon Cassirer und entlarvte Van-Gogh-Fälschungen: Eine Ausstellung der Liebermann-Villa in Berlin entdeckt Grete Ring wieder

Von Christiane Meixner
11.12.2023
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 221

Verwunschen und krumm, im Wald verborgen und mit einer gefährlichen Bewohnerin – so stellt man sich ein Hexenhaus vor. Grete Ring hätte diese Fantasie sicher amüsiert. Ihr Bungalow aus roten Klinkern war eine klare Angelegenheit im Bauhaus-Stil, mit luftig vielen Türen und einer Dachterrasse, die von einer weißen Reling gesäumt wurde. Dennoch nannte sie ihre Sommerfrische in Sacrow „Hexenhaus“, und wenn Ring in die Metropolen des Kunsthandels flog, sprach sie gern von einem „Ritt auf dem Besen“. Sie war tatsächlich ein bisschen gefährlich.

Denn Margarete Ottilie Ida Ring, im Januar 1887 in Berlin in eine wohlhabende jüdische Familie geboren, wollte auf keinen Fall ein geordnetes Leben führen. Die konventionellen weiblichen Rollen kamen für sie nicht infrage, lieber lebte sie unverheiratet und autonom. Als Inbegriff der modernen Frau jenseits gesellschaftlicher Normen, die damit natürlich infrage gestellt wurden. Ring studierte Kunstgeschichte, Archäologie und Philosophie, promovierte 1912 als eine der ersten Frauen im Fach Kunstgeschichte an der Universität München bei Heinrich Wölfflin und wurde als Kunsthändlerin sehr erfolgreich. Dass die Ausstellung über ihr Leben und Wirken in der Berliner Liebermann-Villa am Wannsee dennoch mehr Kabinett als große Retrospektive geworden ist, hat mit der damaligen Epoche zu tun: Teils wurde Ring als Akteurin einer überwiegend männlichen Kunstszene in der Geschichte nicht berücksichtigt. Teils sorgten aber auch ihre Flucht vor den Nationalsozialisten 1938, der deutsche Blitzkrieg gegen London und die daraus resultierenden Wohnungswechsel dafür, dass ihr biografisches Erbe lange im Unklaren blieb. Dabei müsste sie allein in jeder Erzählung über Paul Cassirer vorkommen.

Grete Ring Liebermann Villa
Oskar Kokoschkas „Bildnis Grete Ring“, um 1923 entstanden. © VG Bild-Kunst, Bonn 2023/ Liebermann Villa

Ab 1918 arbeitete Grete Ring in dessen Berliner Kunsthandlung, die einen legendären Ruf als erste Adresse für deutschen und französischen Impressionismus genoss. Auch wurden Werke von Max Slevogt, Lovis Corinth oder Oskar Kokoschka gehandelt, der Ring Anfang der Zwanzigerjahre in einem Aquarell porträtierte. Und es gab Bilder von Max Liebermann. Die Kunstwissenschaftlerin brachte ihre Expertise ein, bewertete Einlieferungen und unterstützte Cassirer bei der Edition der Auktionskataloge. Zwei Jahre später erwähnte das Fachmagazin Der Cicerone, Dr. Grete Ring habe „einen leitenden Posten übernommen“. Sie wurde Mitinhaberin, genau wie der Kunsthändler Walter Feilchenfeldt, und als sich Cassirer 1926 aus Verzweiflung über das Ende seiner Ehe erschoss, übernahmen die beiden seinen Kunstsalon. Den Namen Cassirer behielten sie bei – er war längst zu einer Marke für die künstlerische Avantgarde geworden.

Ein Gemälde wie „Die Auktion der Sammlung Huldschinsky“ von 1928 zeigt das Duo bei der Arbeit. Der Kunstsalon Cassirer versteigerte die Sammlung gemeinsam mit Hugo Helbing, maßgeblich für die Einlieferung der hochkarätigen Werke war aber wohl die lange freundschaftliche Verbindung zwischen Oscar Huldschinsky und Rings Familie. Die Auktion wurde international verfolgt, deshalb mietete man den Marmorsaal im Hotel Esplanade. Slevogt hält die Veranstaltung mit schnellem Strich fest, ihren festlichen Rahmen ebenso wie das aufgeregte Publikum. Am Pult steht auktionierend Helbing, rechts sitzt Feilchenfeldt, links hebt sich Grete Ring vor dem prächtigen roten Vorhang des Saals ab, allerdings nur schemenhaft.

Es ist das Verdienst der Max-Liebermann-Gesellschaft, ihr in der Ausstellung nun eine festere Kontur zu geben. Die von Lucy Wasensteiner und Viktoria Krieger kuratierte Schau „Grete Ring. Kunsthändlerin der Moderne“ speist sich aus Fotografien ebenso wie aus ihrer dem Ashmolean Museum in Oxford vermachten Sammlung mit exquisiten Zeichnungen von Eugène Delacroix, Adolph von Menzel oder Edgar Degas. Rings eigene Veröffentlichungen, darunter das Standardwerk „A Century of French Painting 1400–1500“ von 1949, sind präsent, ihren Briefwechsel mit Max J. Friedländer als Direktor der Gemäldegalerie Berlin interpretiert der Autor Simon Elson im umfassenden Ausstellungskatalog.

Grete Ring Villa Liebermann
Grete Ring und Max J. Friedländer während einer Auktion 1931. © Bela Belassa/ Villa Liebermann

Zahlreiche Dokumente verdanken sich dem Umstand, dass Käthe Liebermann eine Cousine von Grete Ring war. Die Tochter von Max und Martha Liebermann fotografierte Grete und umgekehrt, erhalten sind familiäre Porträts und Korrespondenzen, die das Bild runden. Es manifestiert sich der Eindruck einer klugen, gebildeten, witzigen wie auch exzentrischen Frau mit einem beeindruckenden Netzwerk – und einem Königspudel namens Stomian, der sie bis nach London ins Exil begleitete. Ihren Bungalow gestaltet Grete Ring sorgfältig mit Stühlen von Ludwig Mies van der Rohe, Kelims und moderner Keramik, während Zeitgenossen ihre Kleidung als etwas nachlässig beschrieben. Aber vielleicht pfiff sie auch hier einfach auf jede Konvention.

Peinlich genau war Ring, sobald es um Kunst ging, neben Handel und Auktion fanden im Kunstsalon Cassirer immer wieder spektakuläre Ausstellungen statt. 1928 kamen über 90 Werke von van Gogh aus privaten Sammlungen zusammen, sechs Bilder stammten aus dem Besitz eines Otto Wacker. Ihre Expertisen schienen überzeugend, doch als das Konvolut in der Viktoriastraße 35 eintraf, fiel Ring bald die mittelmäßige Qualität der Motive auf. Später schrieb sie in einem Kunstmagazin, Wackers Werke hätten „vor dem schimmernden Hintergrund der echten Bilder hilf- und gnadenlos wie Baumwollflicken auf einem Brokatgewand“ gewirkt.

Der Kunstsalon rief die Polizei, es stellte sich heraus, dass Wackers Bruder Leonhard die Bilder gemalt hatte und Otto kein Kunsthändler, sondern Tänzer war. Fotos des anschließenden Prozesses sind im Landesarchiv Berlin erhalten und als Reproduktionen in der Ausstellung zu sehen; genau wie zwei der gefälschten Van-Gogh-Bilder, die tatsächlich sehr blass aussehen.

Letztes Highlight in Berlin war Rings und Feilchenfeldts dreiteilige Ausstellung „Lebendige Deutsche Kunst“, eine Kooperation mit Alfred Flechtheim, die in der weltkunst von 1932 beworben wurde. Im Jahr danach ging Feilchenfeldt mit seiner Frau Marianne Breslauer nach Amsterdam, während Ring den Kunstsalon zu halten versuchte, bis ihr das Naziregime allen Handel und jede Veröffentlichung verbot. 1938 zog sie mit 51 Jahren nach London. Auch dort war sie bald als Kunsthändlerin und -wissenschaftlerin anerkannt, zu den Ausstellungen kamen ebenso Emigranten wie wichtige britische Sammler und Kritiker. 1947 nahm Grete Ring die britische Staatsbürgerschaft an, vier Jahre später erkrankte sie an Leukämie. Es folgten zwei Aufenthalte in einem Krankenhaus in Zürich, wo das Ehepaar Feilchenfeldt inzwischen lebte. Im Sommer 1952 starb Grete Ring, diese großartige Kennerin und Kämpferin für die Moderne, dort im Kreis ihrer engsten Freunde. 

Service

AUSSTELLUNG

„Grete Ring. Kunsthändlerin der Moderne“,

Liebermann-Villa am Wannsee, Berlin,

bis 22. Januar

liebermann-villa.de

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