Vor 150 Jahren wurde mit dem Impressionismus eine neue Kunst geboren. Heute für viele der Inbegriff von Schönheit, galt diese Malerei einst als skandalös. Ausstellungen in Paris und Köln blicken nun auf die Anfänge
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15.03.2024
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 224
Die Ausstellung in Paris und Washington, das ist besonders interessant, kontrastiert die neue Avantgarde-Kunst mit Werken, die zeitgleich in den Pariser Salons ausgestellt wurden. Die Salons waren der große Maßstab, eine Krönung der Künstler; genau dagegen wollten sich Monet und Co. auflehnen. Außerdem verdeutlicht die Schau, dass die erste Impressionistenausstellung gut 30 Künstlerinnen und Künstler vereinte, die man – ganz im Gegensatz zu der eingangs genannten Weltstar-Reihe – heute nicht mehr so kennt. Oder wer hat noch die ziemlich tollen, fast monochromen Landschaften eines Stanislas Lépine vor Augen? Und überhaupt, was heißt denn Impressionismus? Erstens war der Begriff, nicht von dem Kritiker Louis Leroy stammend, aber doch wohl von ihm popularisiert, anfangs auch als Beleidigung gemeint, er machte nämlich aus der spontanen Stärke der neuen Malerei, ihrer Unmittelbarkeit, ihrem Eindruck des Studienhaften, eine Verfehlung und zielte dabei vor allem auf Monets „Impression, Sonnenaufgang“ (1872): „Eindruck – Impression, was sonst! […] Eine Tapete im Embryonalstadium ist weiter gediehen als dieses Seestück!“ Zweitens wollten sich auch im positiven Sinne viele der Ausgestellten nicht als Impressionisten bezeichnet wissen, und bei anderen hatte und hat es kaum Sinn, siehe Cézanne.
Doch die Geschichte von Namen und Begriffen ist oft unerbittlich. Steht man heute vor Monets berühmtem Gemälde, im Original „Impression, soleil levant“, kürzlich noch im Potsdamer Museum Barberini zu bestaunen, und versinkt in die Betrachtung der atmosphärischen Malweise, folgt dem Pinsel Strich für Strich, dann fällt es schwer, genau zu bleiben und nicht einfach immer von „den“ Impressionisten zu sprechen. Wie er das Licht aufgreift, die Farben über das Wasser verteilt, wie skizzenhaft und doch so wahrhaftig die Hafenszene ist, ja genau, ein dem Leben kongenial abgelauschter Eindruck! Doch ist Monet auch Radikalist, Modernist und unbedingt ein Realist, der erstmals die Wahrheit des Lichts gemalt hat. Mehr noch, findet Julian Barnes, er ist der Meister des Auslassens – der Schriftsteller liefert eine beeindruckende Aufzählung dessen, was Monet nicht gemalt hat, was einer der Gründe sei, warum er stets so zeitlos und modern wirke. Er bildete keine historischen oder religiösen Motive ab, biblisches und mythisches Vorwissen nicht erforderlich; niemals kam ihm eine Szene aus der Literatur unter, deren Geschichte man kennen musste; keines seiner Bilder war nur durch eine Referenz zu einem früheren Werk verständlich; bei seinen Porträts musste man die Abgebildeten nicht kennen, durfte Königsfamilienamen und Industriekönige getrost vergessen. Vor allem aber: „You don’t need to know the history of art to appreciate a Monet picture.“
Dennoch, so singulär Monet auch war, gibt es nur wenige kunsthistorische Stil-, Gruppen- oder Epochenbezeichnungen, die so gut haften. Impression, so lernte man noch an der Uni, ist äußerer Eindruck; Expression ist innerer Ausdruck. Man kann das tausendmal auf den Kopf stellen, und es kommt doch wieder auf die Beine … Wobei es allen, die nicht an kunsthistorischen Doktortiteln oder Masterarbeiten werkeln, ohnehin egal sein kann, wie man was zu benennen hat – solange die Ausstellungen dafür sorgen, dass auch die unbekannteren Künstlerinnen und Künstler wahrgenommen werden. Eben nicht nur Monet, sondern auch Gonzalès. Oder, wie jetzt im Kölner Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud zu sehen, das tragisch früh und ausgerechnet im Kampf gegen die Deutschen verstorbene Genie Frédéric Bazille – gleich neben Eugène Boudin. Ganz richtig, Boudin kennt man als Ur-Impressionisten, der schon pleinair und atmosphärisch modern malte, als die späteren Avantgardistinnen und Avantgardisten noch die Schulbank drückten.
Die „Revolution in der Kunst“, so der ebenfalls auf 1874 bezogene Teiltitel der am 15. März startenden Kölner Schau, entbirgt meistens doch keinen Stil, der von heute auf morgen wie aus dem Nichts entsteht, sondern zeigt eher die aufregende Entfaltung einer Evolution. Sie beginnt als stilles Flüstern zwischen Künstlerinnen und Künstlern, als kaum wahrnehmbare Abweichung der Farbwahl, des Pinselstrichs, als mutiger Akt, der aber, weil zu früh, erst mal folgenlos bleibt – siehe den Niederländer Johan Barthold Jong- kind, den Monet sehr liebte. Jongkinds „Der Hafen von Antwerpen“ kann man im Sommer des Jubiläumsjahres in Giverny in der Ausstellung „Der Impressionismus und das Meer“ studieren, eine von gut 30 mit dem Pariser Jubiläum assoziierten Shows in Frankreich. In Jongkinds farblich schillernder Lichtspiegelung auf dem Wasser blitzt bereits 1855 der Duktus der späteren Lichtmaler auf. Und der Avantgardist Wassily Kandinsky, um noch einen größeren Sprung zu machen, erblickte gar in dem 1774, also genau hundert Jahre vor der ersten Impressionismus-Show geborenen Ma- lergenie Caspar David Friedrich den Ursprung alles Neuen: Friedrich – der Beginn der abstrakten Kunst!