Vor 150 Jahren wurde mit dem Impressionismus eine neue Kunst geboren. Heute für viele der Inbegriff von Schönheit, galt diese Malerei einst als skandalös. Ausstellungen in Paris und Köln blicken nun auf die Anfänge
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15.03.2024
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 224
Aber um Berlin geht es hier nicht, dort kam der Impressionismus via Max Liebermann und Cassirer-Kunstgalerie erst später an, auch wenn Tschudis Manet-Ankauf 1896 der erste eines Museums überhaupt für diesen Maler war. Doch weiterhin sahen viele Deutsche, viele Preußen die Franzosen noch als Erbfeinde an, 1871 zwar frisch besiegt, doch stets gefährlich!
Um die Geburtsstunde am 15. April 1874 in der französischen Hauptstadt kümmert sich nun also eine für den Impressionismus ebenfalls hochkompetente Institution, das Pariser Musée d’Orsay, ab März gemeinsam mit der Washingtoner National Gallery of Art, wo die Schau im September hinwandert. Die vier Kuratorinnen – in Paris Sylvie Patry und Anne Robbins, in Washington Mary Morton und Kimberly Jones – lassen uns genau hinschauen: auf gut 130 Kunstwerke, darunter echte Augenöffner wie die bereits genannten Gemälde „Mohnfeld“ oder „Die Eisenbahn“, aber auch Edgar Degas’ „Tanzstunde“ (um 1870) aus der grandiosen Tänzerinnenserie, eine mehr als 200 Werke umfassende Meditation in Bewegungen und Farben. Kurz vor der ersten Impressionistenausstellung besuchte Edmond de Goncourt, der nach dem Tod seines Bruders Jules 1870 übrig gebliebene der zwei großen Gesellschaftskritiker und Klatschbasen, das Atelier von Degas. Der wunderliche Maler habe sich „ins Moderne verliebt und innerhalb des Modernen sein Auge auf die Wäscherinnen und Tänzerinnen geworfen“, erkennt Edmond.
Die Goncourt’schen Tagebuchaufzeichnungen zu allem und jedem, diese unerhörte Kommentierungslust des ganz Aktuellen, verkörpert die neue Zeit wunderbar. Denn was da mitten in Paris entstand, an den historischen Orten der Demokratierevolutionen von 1789 und 1848, war nicht mehr und nicht weniger als die Geburt des Avantgarde-Gedankens schlechthin, die Entstehung eines bürgerlichen Systems für zeitgenössische Kunst, das von den 1870er-Jahren an schrittweise den gesamten Kontinent eroberte.
Manche sagen sogar, dass sich hier bereits das teils problematische monetäre Spannungsfeld des zeitgenössischen Kunstmarktes bildete – so jüngst der Schriftsteller Julian Barnes, Träger des Booker Prize und seit Jahrzehnten ein Liebhaber und Kenner vor allem französischer Kunst. In der letzten Ausgabe der London Review of Books von 2023 gibt er noch einmal zu bedenken, dass sich mit der Etablierung impressionistischer Malerinnen und Maler gleichzeitig ein neuer Kunsthandelstypus, eine neue Kritik und neue Ausstellungskonzepte durchsetzten. Die jungen Franzosen wurden zunehmend auch nach New York und London verkauft, in dem von nun an typischen „nexus“ aus Künstler, Händler, Kritiker und Kurator „plus shock value and a rising market“. Wobei Monet, der am besten verdienende Impressionist, seine teils bis zu vier unterschiedlichen Händler fröhlich gegeneinander ausspielte. Dass jedenfalls die Washingtoner Nationalgalerie ein exzellenter Partner der Pariser Ausstellung sein kann, liegt eben auch an den frühen amerikanischen Käufern des Impressionismus. Die schönsten Franzosen kommen aus den USA, so ähnlich hieß ja mal hierzulande eine große Impressionistenschau …
Käufer hin oder her, der Markt konnte und kann der neuen Malerei den Schneid nicht abkaufen. Auch er war und ist nur ein Aspekt von vielen in dieser für die Kunst doch eher glücklichen Stunde 1874, zumal endlich Frauen, und zwar nicht nur als abgebildete Tänzerinnen oder nackte Schönheiten, eine größere Rolle zu spielen begannen, siehe Berthe Morisots hochmodern studienhaftes „Die Lektüre“ (1873), ihr hingehauchtes „Der Hafen von Lorient“ (1869) – oder „Eine Loge im Italienischen Theater“ (um 1874) von Eva Gonzalès, ein farbkräftiges, strahlendes Gemälde, das zu den weniger bekannten Arbeiten gehört. Wie man deutlich sieht, war Gonzalès eine Schülerin Manets – beide verstarben 1883 fast gleichzeitig, sie nach der Geburt ihres Sohns im Kindsbett, er an den Folgen einer Syphilis-Infektion.