Peter Raue über „MoMA in Berlin"

„Der schönste Zufall in meinem Leben“

Schlafsäcke vor dem Museum, Warteschlangen bis in die Nacht. Der Hype in Berlin geht auf ihn zurück, 1,2 Millionen wollen die Kunstwerke aus New York sehen. Das wünscht sich Initiator Peter Raue öfter

Von WELTKUNST News
15.02.2024

Ein Spleen zunächst, vielleicht auch eine verrückte Idee. Für Peter Raue allerdings „der schönste Zufall in meinem Leben“. In einer Berliner Kneipe heckt der Kunstsammler, Kulturfreund und Rechtsanwalt den Plan für eine der erfolgreichsten Kunstausstellungen aus. Vor 20 Jahren löst dieser Zufall einen riesigen Hype aus. Am 20. Februar 2004 wird „Das MoMa in Berlin“ eröffnet, bis zum September des Jahres lockt die Ausstellung 1,2 Millionen Menschen an. 

„Komm doch für sieben Monate nach Berlin“

An jenem Sommerabend sitzt Raue mit Glenn Lowry zusammen, auch damals schon Chef des MoMA genannten Museums of Modern Art in New York. „Wir mussten einen streitigen Restitutionsfall lösen.“ Solche Fälle um kulturelle Streitsachen gehören zu Raues Spezialität. Der Anwalt hat den Autor und Theaterregisseur Heiner Müller (1929-1995) ebenso vertreten wie das Berghain, den international gefeierten Berliner Club. Die Rettung der Rieckhallen für den Hamburger Bahnhof, Nationalgalerie der Gegenwart geht teils auch auf seine Kappe.      

Zurück zum Kneipenduo. „Die Gespräche kreisten und kreisten“, schildert Raue. „Plötzlich sagte ich zu ihm: Was machst du eigentlich, wenn dein Haus schließt, während es umgebaut wird?“ Das MoMA steht zu dem Zeitpunkt vor einer umfassenden Sanierung. Lowry will in der Zeit seine Spitzenwerke durch drei verschiedene europäische Städte reisen lassen. „Du bist verrückt! Das schadet den Bildern, das schadet deinem Haus“, reagiert Raue und schlägt vor: „Komm doch für sieben Monate nach Berlin.“

Lowry ist skeptisch: „Das kann dein Verein gar nicht bezahlen.“ Raue ist zu dem Zeitpunkt Vorsitzender der Freunde der Nationalgalerie, ein Zusammenschluss privater Förderer und Kunstfreunde. Seine Antwort: „Lass das meine Sorge sein.“

Millionenbetrag bleibt geheim

„Das war dann, als hätten wir eine Champagnerflasche aufgemacht. Es sprudelte einfach an Ideen und Freude. Wir haben immer weitergesponnen“, schildert Raue die Ausgangslage. Während Lowry in New York sein Kuratorium überzeugt, macht Raue in Berlin die Wege frei. Peter-Klaus Schuster, damals Direktor der Nationalgalerie, und der Freundeskreis sind schnell überzeugt: „Alle waren Feuer und Flamme.“    

Die Sache war beschlossen, einfach so. „Wir haben nie einen schriftlichen Vertrag gemacht. Wir haben auch keine Sekunde über die Summe verhandelt“, sagt Raue. Den Millionenbetrag für das New Yorker Museum verrät er bis heute nicht. 

Nur die allerbesten Kunstwerke

Es gibt historische Verbindungen zwischen MoMA und Neuer Nationalgalerie. MoMA-Gründungsdirektor Alfred Barr bemerkt 1927 während einer Deutschlandreise, dass die zeitgenössische Kunst im aufkommenden Nationalsozialismus keinen Platz mehr hat. Er will in den USA ein Museum gründen, das sich ausschließlich zeitgenössischer Kunst widmet. Der aus Nazi-Deutschland vertriebene Architekt Ludwig Mies van der Rohe (1886-1969) wollte in den USA das MoMA bauen, was nicht klappte. Nun also sollten die MoMA-Schätze in seiner Neuen Nationalgalerie zu sehen sein. Für Raue – und viele andere – „schlechthin die Ikone der modernen Architektur, ein Jahrhundertbauwerk“.

Das MoMA schickt eine Liste, was sie zeigen wollen. Aus Berliner Sicht fehlen darauf wichtige Kunst-Stücke. „Wir brauchen die allerbesten Werke, sonst kommt da keiner“, sagt Raue. Schuster und er fahren nach New York, führen dort „wunderbare erfolgreiche Verhandlungen“. Dabei geht es auch um einzelne Arbeiten. „Ich habe wahnsinnig gekämpft um Broken Obelisk, weil das für mich schlechthin die Skulptur des 20. Jahrhunderts ist“, erzählt Raue. Die Skulptur des US-Künstlers Barnett Newman (1905–1970) kommt nach Berlin, genauso wie das „Denkmal für Balzac“ von Auguste Rodin (1840–1917), das die New Yorker dabeihaben wollen. Mehr als 200 Kunstwerke werden es schließlich, darunter Arbeiten von Beckmann, Cézanne, Duchamp, Lichtenstein, Matisse, Picasso oder Pollock. 

Schlafsäcke und Warteschlangen vor dem Museum

Der private Verein im öffentlichen Museum entwirft eine bahnbrechende Kampagne. „Wir haben eine Million Euro in die Hand genommen, das wäre in einem öffentlichen Museum undenkbar“, erinnert sich Raue. Die Idee: Wenn wegen der einen Million Euro Werbeetat nur 100.000 Leute mehr kommen als ohne die Werbung, ist das Geld wieder drin. Kern der Kampagne ist zunächst ein geheimnisvoller Satz: „Der Star kommt.“ 

Weit über Berlin hinaus provoziert das Fragen und Neugierde, was später als „MoMA-Effekt“ bezeichnet wird. Der Hype nimmt seinen Lauf. Die Neue Nationalgalerie wird bestürmt. Die Menschen harren bis zu acht Stunden in Warteschlangen aus. Vor dem Museum wird campiert, in Schlafsäcken übernachtet, findige Studenten stellen sich als bezahlte Platzhalter an. Dazwischen geben „MoMAnizer“ Auskünfte, verkaufen Kataloge und Andenken. Eine „riesige Einnahmequelle“ ist laut Raue der „wahrscheinlich sensationellste Museumsshop, den ich je in meinem Leben gesehen habe“.  

Zudem sind die Umstände günstig. „Das MoMA in Berlin fiel in eine glückliche, relativ friedliche Zeit, in der alle in der Hoffnung waren, dass das Leben nur noch blühend ist“, sagt Raue. „Und es war Sommer, die Leute konnten vor dem Haus zelten.“ Den Organisatoren sei es nicht um das Ereignis gegangen, sondern um eine bedeutende Ausstellung. „Aber es hat dann so ein spielerisches Moment bekommen und wurde zu einem überraschenden Event.“

Hype bringt sieben Millionen Euro Gewinn

Der für alle Beteiligten unfassbare Erfolg hat Konsequenzen. „Wir hatten die Ausstellung am Ende Tag und Nacht geöffnet“, sagt Raue. „Es wurde ein Hype, die Leute kamen aus allen Ländern.“ Aus den für die Ausstellung budgetierten 10 Millionen werden 15 Millionen Euro Kosten. Die 1,2 Millionen Besucherinnen und Besucher lassen aber auch viel Geld da. „Wir haben sieben Millionen Gewinn gemacht.“ Die Kunstförderer gründen davon eine Stiftung, die für die Nationalgalerie nur Werke von Künstlerinnen und Künstlern unter 40 Jahren kauft.

„Es bleibt die erfolgreichste Kunstausstellung der Nachkriegszeit in Europa“, sagt der heute 83-jährige Raue. Er wünscht sich auch heute mehr solcher Ereignisse in Museen. „Ich denke schon, dass hier und da Blockbuster keine Fehler sind.“ (Gerd Roth, dpa)

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