Seine Gemälde erzählen von Ferne und Aufbruch – das Reisen spielt in Max Beckmanns Lebenswerk eine überragende Rolle. Dies zeigt nun eine große Schau in der Pinakothek der Moderne in München
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22.11.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 205
Griesgrämig schaut er durch die runde Sonnenbrille. Gehüllt in Anzug und Schlips hat Max Beckmann wieder einmal seine unergründlich abweisende Miene aufgesetzt, während Mathilde „Quappi“ die nackten Arme um ihn schlingt und neckisch seinen Blick sucht. Man meint, die junge Ehefrau förmlich zu hören, wie sie auf den Quadratschädel einredet: Er möge sich doch nicht so zieren und mit den unpassenden Kleidern gleich noch die Zurückhaltung ablegen – am Strand, wo alles beschwingt und fröhlich sein könnte. Das Foto entstand im niederländischen Zandvoort, dort hat das Paar in den 1930er-Jahren regelmäßig seinen Urlaub verbracht, und Beckmann liebte das Meer. Das weiß er hier nur gut zu verbergen.
Man braucht in seinem Œuvre nicht lange zu suchen, um in einem fort auf Buchten und Strände zu stoßen, auf Schiffe und Hafenansichten, Badende und Seefahrer. Für Wasser und Wellen findet er anziehende Töne, manchmal fast dunkles Flaschengrün, dann mediterran-heiteres Türkis und natürlich Azur in allen nur denkbaren Nuancen. Blau ist für Beckmann die Farbe des Verlangens und der Hoffnung, wie auch das Meer ewiger Sehnsuchtsort bleibt und zugleich für Ferne und Aufbruch steht. Aufbruch heißt im Englischen „Departure“. Nicht ohne Grund hat Beckmann sein erstes Triptychon aus der Zeit um 1933 so genannt – nun gibt es einer bemerkenswerten Ausstellung in der Pinakothek der Moderne den Titel.
Das Thema des Reisens liegt auf der Hand. Die Gegenwart ist von Migrationsströmen geprägt, angestoßen durch Krisen, einen global gewordenen Arbeitsmarkt oder dem nach wie vor aktuellen Massentourismus. Und gerade Max Beckmann hat die genussvollen und genauso die düster-existenziellen Seiten der Ortswechsel durchlebt, vom Aufwachsen in Leipzig und Braunschweig bis zur späten Fahrt aus dem Amsterdamer Exil in die Vereinigten Staaten. Dennoch gab es bislang keine Beckmann-Schau, die sich so konsequent auf dieses Unterwegssein mit all seinen biografischen Umständen, den Eindrücken und Einflüssen auf sein Schaffen konzentriert hat.
An den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen ist man freilich auch in einer idealen Ausgangslage. Zum einen bilden 37 Werke Beckmanns den in Europa größten Gemäldebestand, mehr besitzt nur noch das Art Museum in Saint Louis, Missouri. Zum anderen gingen 2015 die Familiennachlässe dank Enkelin Mayen Beckmann als Schenkung ans Haus. „Mit überwiegend unveröffentlichtem Material“, betonen die Kuratoren Oliver Kase und Christiane Zeiller. Konkret sind das Fotoalben von Max und Quappi, private Filme, Tagebücher, Briefe, Skizzenbücher und Unmengen von Ansichtskarten. Das an die Pinakotheken angegliederte Beckmann-Archiv hatte somit eine Schlüsselfunktion beim Erkunden bislang unbekannter Zusammenhänge, die nun einen präziseren, stellenweise auch neuen Blick auf das Werk und die Persönlichkeit erlauben. Und Max Beckmann gehört zu den am besten erforschten Künstlern der Moderne.
Aber wie das eben so ist, Witwen meinen es besonders gut, und der Versuch, aus dem Verblichenen einen Heiligen zu stilisieren, ist nur allzu menschlich. Also wurde aussortiert und gestrichen, von politischen Stellungnahmen und delikaten Äußerungen über Zeitgenossen bis hin zu den leidigen Liebschaften und nächtlichen Bar-Eskapaden. Beckmann war süchtig nach diesen schillernden, am Tag verborgenen Bühnen, wo immer auch die Heimatlosen aufeinandertreffen, die Schattengestalten und die Verlorenen, die Emigranten, Verbannten und die Abenteurer. Wobei der Maler dem mondänen Parkett eindeutig den Vorzug gab. Das bestätigen Notizen wie „Gestern Abend Bols und Austern und eine heiße Nacht“, „Tanz im Hotel Municipal“ oder „Autotour nach Monte Carlo“ – und in der Folge entsprechende Arbeiten wie „Tanz in Baden-Baden“, die „Königinbar“ oder das Städel-Highlight „Selbstbildnis mit Sektglas“, auf dem sich der Künstler gequält lächelnd im Smoking und mit Zigarre darstellt.
„Umgeben von schönen Frauen, Austern und Sekt hat Beckmann mit beträchtlichem Selbstvertrauen den erfolgreichen Bürger in sich entdeckt. Mit Melonenhut und seidenem Schal durchmisst er das irdische Jammertal“, resümiert sein Freund und Sammler Stephan Lackner. Im rauschenden Luxus konnte der Künstler aber auch die eigenen Ängste und Zweifel am Dasein kleintrinken und tief sitzende Traumata vergessen. Die Brutalität des Ersten Weltkriegs, die ihn 1915 einen Nervenzusammenbruch erleiden ließ, hat sich fest ins Gedächtnis eingebrannt. Der Begriff Sekt ist zudem ein deutsches Understatement. Wenn Moussierendes ins Glas floss, dann Champagner und vornehmlich von der Marke Irroy, die sogar mit einem Stillleben bedacht ist.
Überhaupt steigen die Beckmanns in den luxuriösen Grandhotels der angesagten Kur- und Vergnügungsdestinationen an der Riviera, der Nordsee, in Sankt Moritz oder an der Côte d’Azur ab. Auf einer Fotografie posieren Max und Quappi auf dem Balkon des Hotels Westminster in Nizza, und man diniert mindestens fürstlich, das belegten unzählige Rechnungen. Dass die beiden bei ihrer Überfahrt von Rotterdam nach New York im September 1947 jeweils in einer Mehrbettkabine übernachten mussten, während Thomas Mann und Ehefrau Katia auf demselben Dampfer in geräumig-noblen Einzelkabinen residierten, dürfte Beckmann gegrämt haben.
Neben ihrem eher angespannten Austausch besuchten die beiden Männer immerhin das Bordkino – und fanden die Vorführung dürftig. Für die Beckmann-Forschung war das Filmtheater dann auch abgehakt. Dass der Maler vielmehr ein leidenschaftlicher Kinogänger war und sich nur zu gerne auf die bewegte Bilderreise begab, gehört zu den neuen Erkenntnissen, die der Nachlass beschert hat. Über das „Abtauchen“ und „Ausruhn: abends im Kino“ hat übrigens der Schauspieler und Regisseur Hanns Zischler im Ausstellungskatalog einen sehr lesenswerten Beitrag geschrieben. Das mysteriöse Gemälde „Filmtheater“, das 1933 nach einem Besuch der UFA-Studios in Berlin-Babelsberg entstand, bringt also nicht nur ein singuläres Erlebnis, sondern eine unerwartete Passion auf die Leinwand. Die liegt bei genauer Betrachtung dann doch nahe. Zumindest in einer Zeit, in der das Kino ganz neue Nervenkitzel versprach, schon weil der Ton- den Stummfilm ablöste.