Seine Gemälde erzählen von Ferne und Aufbruch – das Reisen spielt in Max Beckmanns Lebenswerk eine überragende Rolle. Dies zeigt nun eine große Schau in der Pinakothek der Moderne in München
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22.11.2022
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Erschienen in
WELTKUNST Nr. 205
Es war der Schauspieler Heinrich George, der den UFA-Besuch möglich gemacht hatte, denn Beckmann wollte unbedingt Marlene Dietrich bei den Dreharbeiten zusehen. Dazu kam es dann nicht mehr, beim Gang durch die Ateliers müssen ihn allerdings die Kulissen einer Winterlandschaft nachhaltig inspiriert haben. Die schneebedeckten Tannen tauchen im „Filmtheater“, einer der Leihgaben aus dem Saint Louis Art Museum, wieder auf. Zwischen den Bäumen agiert eine Figur, im Vordergrund finden sich Requisiten und eine Kamera, die von einer Hand aus dem Off bedient wird.
Beckmann hat sich für das Nebeneinander verschiedener Wirklichkeitsebenen interessiert, das steigert selbst so dicht gedrängte Kompositionen wie etwa das „Stillleben mit Fernrohr“ von 1927. So zu tun, als spielten weder die zeitliche noch die örtliche Verankerung eine Rolle, sollte zum markanten Stilmittel seiner Kunst werden. Die Triptychen, die der Künstler in dieser Phase zu malen beginnt, sind dafür ein opulentes, komplexes Beispiel. Im 1932 angelegten Dreiteiler „Departure“, der seinen Ruhm in den USA durch den Ankauf des Museum of Modern Art begründen sollte, verschränkt er außerdem Mythos und Wirklichkeit. Das Auftrumpfen der Nationalsozialisten, die ihn schon Jahre vor der Machtergreifung diffamieren, löst im längst etablierten Beckmann größtes Unbehagen aus, begleitet vom Wunsch, der unheilvollen Situation zu entkommen. Nach der fristlosen Entlassung aus seiner Professur an der Frankfurter Städelschule im April 1933 wechselt er nach Berlin, und als dort nur wenige Wochen später der eigens für ihn eingerichtete Beckmann-Saal im Kronprinzenpalais geschlossen wird, zieht er sich zurück vom öffentlichen Leben.
Die Seitentafeln von „Departure“ offenbaren sadistische Szenarien des Fesselns und der Folter auf engstem Raum. Für die Opfer gibt es kein Entrinnen vor diesen blindwütenden Peinigern in Matrosenhemd und Pagenuniform. Wenn man so will, sind das vorweggenommene Tatsachen. Ganz anders dagegen das feierlich anmutende Mittelbild, das fünf statische Figuren in einem Boot auf ruhiger See zeigt. Königskrone und Kriegerhelm deuten auf märchenhaft Mythisches, zu dem Beckmann erklärt: „König und Königin haben sich selbst von den Qualen des Daseins befreit … Die Königin trägt den größten Schatz – die Freiheit – als Kind auf ihrem Schoß. Die Freiheit ist das Einzige, worauf es ankommt. Sie ist der Aufbruch, der Neuanfang.“
Der Künstler hat jeden politischen Gehalt des Triptychons bestritten, und doch kann man die Außentafeln kaum betrachten, ohne an die rasant zunehmende Gewaltbereitschaft gegen jeden zu denken, der nicht ins Konzept der Nationalsozialisten gepasst hat. Rund 190 Arbeiten Beckmanns werden aus deutschen Museen konfisziert, zwölf Gemälde und noch einmal so viele grafische Werke 1937 in der Feme-Ausstellung „Entartete Kunst“ vorgeführt. Hitlers Hetzrede gegen die Moderne ist für Beckmann das letzte überdeutliche Signal, seine Heimat zu verlassen. Aus dem angesehenen Professor, Flaneur und Bonvivant wird ein gedemütigter Exilant, für den Amsterdam eine erste sichere Zwischenstation darstellt.
Sein exklusives Netzwerk gestattet Beckmann zunächst ein sehr passables Leben. Doch der Maler verbittert mehr und mehr, und als die deutschen Streitkräfte im Mai 1940 die Niederlande besetzen, sieht er sich eingesperrt in seinem Atelier. Dieser überschaubare Kosmos in einem Tabakspeicher „füllt sich aufs Neue mit Figuren aus alter und neuer Zeit“, auch das findet Niederschlag in seiner Arbeit. Ganz fantasievoller Künstler tritt er dann aber die Flucht nach vorn an und geht nun auf imaginäre Reisen, malt die Côte d’Azur und all die anderen Sehnsuchtsorte in einer Kombination aus Erinnerung und dem, was er an Postkarten vor sich hat.
Das Ergebnis ist besser als die Realität – vom wuchtigen „Meer mit großer Wolke“ bis zum „Schwimmbad Cap Martin“ aus der Hamburger Kunsthalle und der farbrauschenden „Riviera-Landschaft mit Felsen“. All das ist meilenweit von den Kanälen der Amstel entfernt. Und doch kennzeichnet gerade diese Bilder eine eigentümliche Intensität, ein verzweifeltes Sich-Hochhangeln an einer traumgeschönten Vergangenheit.
Zwischen 1937 und 1947 entstehen 75 Landschaften, Rettungsanker könnte man sagen, und dass diese Odyssee weiterer Etappen bedarf, liegt in der Natur eines Rastlosen, der als Halbwüchsiger angeblich auf einem Amazonasdampfer anheuern wollte. Der Krieg ist schon zwei Jahre vorbei, als die Beckmanns – er mittlerweile 63 – nach „entsetzlichen Paß- und Zollgeschichten“ endlich in die Neue Welt aufbrechen können. Und tatsächlich erwartet den Künstler ein „Successleben“, wie er es im Tagebuch notiert. Er wird in Ausstellungen bejubelt und ist als Lehrer in Saint Louis, Colorado und Kalifornien gefragt, obwohl zur gleichen Zeit die gegenstandslose Malerei populär wird. Vor allem aber reist er quer durch die Staaten und ist hingerissen etwa vom Zauber der Rocky Mountains, die er 1949 in der „Boulder-Felslandschaft“ extrem verdichtet.
Das Paar lässt sich in New York nieder, und Beckmann wirft sich in die Arbeit. Sie bleibt sein Elixier, egal wie sehr ihn die Großstadt wieder in ihren Bann schlägt. Im Herbst 1950 macht er sich an die „Argonauten“, sein neuntes Triptychon, in dem es um Malerei und Musik geht. Den Mittelteil dominieren die antiken Helden Jason und Orpheus, zu denen ein Greis auf einer Leiter hinaufsteigt. Über Wochen schuftet er wie besessen, um Quappi schließlich zu verkünden: „Jetzt mache ich keinen Pinselstrich mehr daran. Endlich habe ich’s geschafft.“ Am nächsten Tag, dem 27. Dezember, geht er spazieren und bricht am Central Park zusammen. Für den fieberhaft neugierigen Wanderer war der Tod die „letzte große Sensation“ des Lebens.
„Max Beckmann. Departure“,
Pinakothek der Moderne, München
25. November bis 12. März 2023