Musikvideos

Beyoncé hängt mit Bosch ab

Eine Ausstellung im ehemaligen Eisenwerk Völklinger Hütte feiert das Musikvideo als kurzweilige Kunstform

Von Tim Ackermann
15.09.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 203

Zu später Stunde nach Torschluss im Louvre: Leise Glockentöne wehen durch die Gänge, als die vergoldeten Ornamente der barocken Deckenbemalung in Discofarben wie Neonviolett und Blau zu leuchten beginnen. Dann ein Zoom auf die Mona Lisa und die zwei Musiker, die sich vor der Sicherheitsabsperrung lässig postiert haben – die Sängerin Beyoncé und der Rapper Jay-Z. Schnitt zur Nike von Samothrake, zu deren Marmorfüßen eine Gruppe von schwarzen Tänzerinnen bei den ersten Beats die Hände in die Höhe reckt.

Mit „Apeshit“ gelang dem amerikanischen Musikerpaar, das hier unter seinem Familiennamen The Carters auftrat, im Jahr 2018 das kulturelle Äquivalent einer Mount-Everest-Besteigung: Das von Regisseur Ricky Saiz gedrehte Video zum Song führte die afroamerikanische Selbstermächtigungsbewegung, die in den vergangenen Jahrzehnten Musikindustrie und Museen entscheidend verändert hat, auf ihren Gipfel. Beyoncé und Jay-Z verdeutlichten in ihrem Louvre-Gastspiel, dass sie nur noch Ikonen der Malerei und Siegesgöttinen neben sich akzeptieren. Gleichzeitig drehten sie die Zapfleitung der kulturellen Appropriation um und nutzten die Kunstgeschichte des weißen Europa als Improvisationsvorlage und fotogenen Hintergrund für die eigenen kreativen Kostümentwürfe und wildes Hüftgeschüttel. Jacques Louis Davids Krönungshistoriengemälde „Le Sacre de Napoléon“? Irgendwie auch nur eine Luxustapete.

Ronald Sheick Heavy Bailes Noturno 150 Völklinger Hütte
Ronald Sheick schüttelt die Zöpfe in „Noturno 150“, einem Video des brasilianischen Kollektivs Heavy Baile. © Waxploitation Records

„Apeshit“ ist ziemlich früh in der Ausstellung „The World of Music Video“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte zu sehen. So wird auch von Anfang an klar, wie wichtig die vermeintlich so elitäre Kunst als Träger von Bedeutung und symbolischem Kapital für die populäre Form des Musikfilms letztlich doch ist. An vielen Stellen der Schau, die sich über die alte Gebläsehalle des ehemaligen Eisenwerks verteilt, finden sich Clips mit Referenzen an die Kunstgeschichte: Beispielsweise wurden für Bucketheads Video zum zweiminütigen Metal-Instrumental „Spokes for the Wheel of Torment“ (2004) Höllenszenen aus Hieronymus Boschs Triptychon „Der Garten der Lüste“ verhackstückt. Und die Rocker der Red Hot Chili Peppers stellen im Clip zu „Can’t Stop“ (2003) die „One Minute Sculptures“ von Erwin Wurm nach. Das brasilianische Musikerkollektiv Heavy Baile wiederum montiert bei „Noturno 150“ (2020) einen Tänzer über die Google-Ausstellungsansicht des New Yorker Metropolitan Museum of Art in Landschaften von Panini bis Pissarro. Als coronakonforme Variante des „Apeshit“-Tricks.

Die Kunst übertritt die Grenze von der Inspiration zum Akteur, wenn Künstlerinnen und Künstler selbst zur Kamera greifen: Wer hat noch im Kopf, dass der geniale Medienklaviaturspieler Andy Warhol 1984 für die Band The Cars den Clip zu ihrem Hit „Hello Again“ drehte, bei dem in der unzensierten Version Spielzeugautos nackte Frauenbrüste umkurven und er selbst den glamourösen Barkeeper hinter einer Theke mimt? Auch Yoko Ono war erst Konzeptkünstlerin, bevor sie den Beatle John Lennon kennenlernte. Ihr institutionskritischer Song „Hell in Paradise“ (1985) ist Agitprop im Dancefloor-Tempo und schrammte nur knapp an den amerikanischen Top Ten vorbei. Das Video des Regisseurs Zbigniew Rybczyński, bei dem Ono im Anzug mit einer Riesenglocke durch Manhattan tanzt, produzierte die Künstlerin selbst.

Auch die südafrikanischen TechnoRapper von Die Antwoord haben biografische Wurzeln im Kunstkontext und konnten sich 2012 für ihre Nummer „I Fink U Freeky“ den Blick des Fotografen Roger Ballen sichern. Der Amerikaner wurde berühmt, weil er in Südafrika schrägere Vertreter einer unterprivilegierten weißen Schicht relativ ungeschönt, aber doch würdevoll ablichtete. Offensichtlich war seine Komparsenkartei so groß, dass er seine Ästhetik ohne Abstriche auch im Bewegtbild fortsetzen konnte.

Die Überlegung, ob es sich bei Musikvideos um Kunst handelt, muss heute also niemand mehr anstellen. Interessanter ist die Frage, weshalb man ein Museum besuchen sollte, um sich Clips anzusehen, die man auch im Internet finden kann. Die Antwort darauf liefert die Ausstellung selbst: Generaldirektor Ralf Beil hat die Gebläsehalle zu einem abwechslungsreichen Parcours umgebaut, der mehr als 80 Videos Raum bietet. Zwischen den alten Schwungrädern hängen bis zu sieben Meter breite Leinwände. Das Riesenformat erinnert an Videokunstinstallationen und schärft den Blick für Details. Der Ton erreicht das Ohr über Funkkopfhörer, auf bereitgestellten Smartphones lassen sich Infos zu den Werken abrufen. Langsam sondiert das Publikum das Terrain: Für das düstere „Voodoo in My Blood“ (2016) von Massive Attack steigt man in den Keller. Und für Daft Punks „Around the World“, 1997 gedreht von Michel Gondry, geht es eine Treppe zu einer Plattform hinauf – ganz wie im Video selbst, das mit seinem quietschbunten Robotertänzerreigen ein perfektes Minikunstwerk im Geiste Oskar Schlemmers ist.

Fritz Donnelly Peach Kings Musikvideo Ausstellung
Der Putzmann kurz vor dem Rauswurf: Fritz Donnelly feudelt sich durch das „Dirty Secret“ (2018) der Peach Kings. © The Peach Kings

So vollzieht der Besucherkörper in jeder Faser nach, was seit Len Lyes Kurzfilm „Rainbow Dance“ (1936) die Grundlage des kunstvollen Musikvideos ist: die Choreografie, der performative Tanz. Klar, dass viele der gezeigten Beispiele den lustvollen Bewegungsdrang zum Zentrum der Handlung machen. Manchmal geschieht das affirmativ, wie bei Britney Spears’ Schulmädchen-Gehüpfe in „…Baby One More Time“ (1998). Andere wie The Chemical Brothers thematisieren kritisch den Leistungsdruck in der Unterhaltungsindustrie: Zu den Beats von „Elektrobank“ (1997, Regie: Spike Jonze) tritt Sofia Coppola als ehrgeizige Bodenturnerin auf. Besonders schön sind die Ironisierungen von Choreografien. So erzählt das Video „Dirty Secret“ (2018) von den Peach Kings die herzzerreißende Geschichte eines Reinigungsangestellten, der für seinen Engtanz mit einem Wischmopp erst gefeuert und danach zum Internet-Hit wird. Phil Collins von Genesis hingegen beklagte 1992 in der weichgezeichneten Ästhetik eines Jeans-Werbespots: „I Can’t Dance“. Das Lied ist heute kaum noch im Radio zu hören. Aber das Video mit dem hüftsteifen Gang der drei Genesis-Bandmitglieder und dem vorwitzigen Leguan bleibt für immer im Gedächtnis.

Service

Ausstellung

„The World of Music Video“,

bis 16. Oktober,

Weltkulturerbe Völklinger Hütte, Völklingen

voelklinger-huette.org

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