Zeitbasierte Medienkunst

„Was macht die Kunst, Julia Stoschek?“

Die Unternehmerin und Sammlerin erklärt, was zeitbasierte Medien sind, warum Videokunst besonders zur Gegenwart passt und welche Künstlerinnen sie jüngst entdeckt hat. Ein Auszug aus dem neuen Podcast 

Von Lisa Zeitz
12.03.2021

Wieviel Werke der Videokunst zählen zur Julia Stoschek Collection?

Wir haben 900 Arbeiten in der Sammlung, davon sind 600 Werke Bewegtbild. Das ist der klare Schwerpunkt der Sammlung, von 1963 bis heute. Wenn man sich die Kunstgeschichte anschaut, haben Künstler seit Jahrtausenden versucht Zeit einzufangen. Wir kennen das von Stillleben der Alten Meister, auf denen Früchte verfaulen, um Vanitas und den Tod zu symbolisieren, oder von Skulpturen, die versuchen einen Moment der Bewegung festzuhalten. 1963 ist die erste portable Kamera von Sony auf den Markt gekommen und auf einmal war es für Künstler viel leichter, mit dem Medium Zeit zu spielen.

Im Vergleich mit den traditionellen Medien, Malerei, Skulptur gibst Du der Videokunst den Vorzug?

Ich liebe die Malerei, auch die Alten Meister, aber mein Herz schlägt für die Medienkunst, denn sie ist sehr politisch, sie ist hochaktuell. Sie bildet Zeitgeschehen ab. Ich finde es toll, dass wir eine junge Künstlergeneration haben, die sehr kritisch Dinge beleuchtet und gesellschaftliche Entwicklungen abbildet. Es ist wahnsinnig spannend, wenn Medienkünstler wie Seismografen Entwicklungen vorwegnehmen. Wir haben in der aktuellen Ausstellung eine Arbeit von Arthur Jafa von 2016, „Love ist he Message and the Message is Death“, da kommt alles vor, was wir jetzt gerade erleben, es gibt Bilder vom Capitol, Bilder von Polizeigewalt gegen Schwarze, einfach alles, es brodelt und es explodiert – und diese Arbeit hat Arthur Jafa 2016 gemacht. Als wir sie installiert haben, war gerade der Sturm aufs Capitol, und wir standen total ergriffen da. Er hat es alles vorweggenommen.

In der aktuellen Ausstellung der Sammlung ist auch die neueste Arbeit von Anne Imhof zu sehen.

Das ist eine Weltpremiere bei uns! Ich kenne Anne seit vielen Jahren und verfolge ihre fantastische Arbeit – ich bin ein Riesen-Anne-Imhof-Fan. Das ist ihre erste eigenständige Video-Arbeit. Wir sehen Eliza Douglas, ihre Liebes- und Lebenspartnerin, die an der Atlantikküste in der Normandie eine Betonplatte auspeitscht. Da gibt es Verbindungen zur griechischen Mythologie, zu Andromeda, zu Xerxes, ein gewalttätiger Akt, aber auch der Sonnenuntergang, dazu schöne Musik, eine sehr besondere Arbeit. Wir haben sie mit der ältesten Arbeit der Sammlung in einem Raum installiert, Karl Wilhelm Diefenbachs Gemälde von 1911. Ich kann alle nur einladen, sich auf die Matratze zu legen, die Anne dort installiert hat, und ihre Arbeit zu genießen.

Julia Stoschek Anne Imhof
Anne Imhof, Untitled (Wave), 2021. Installationsansicht der aktuellen Ausstellung in der Berliner Julia Stoschek Collection. © Alwin Lay

Welche Künstlerinnen und Künstler sind Dir in letzter Zeit aufgefallen?

Meine jüngste Entdeckung ist Kandis Williams, eine afroamerikanische Künstlerin, von der ich sehr begeistert bin. Sie setzt sich mit der Thematik des Voyeurismus auseinander. Wie betrachten wir schwarze Körper? Sie ist dreimal in der Ausstellung vertreten. In der Video-Arbeit Eurydice geht es um eine Performance, die das Scheitern und das Trauern von Orpheus thematisiert.  Sie hat auch eine wunderbare Skulptur mit aufgeklebten Blättern mit Fotografien von schwarzen Frauenkörpern geschaffen, und sie hat eine Bibliothek entwickelt, Cassandra Press, aus der man sich Reader herunterladen kann. Diese junge Künstlerin beeindruckt mich sehr mit ihrem Werk.

Julia Stoschek Kandis Williams
Kandis Williams’ „Eurydice“ von 2018 ist in der Ausstellung „A Fire in My Belly“ in Berlin zu sehen. © Alwin Lay

Außerdem bin ich begeistert von Leila Hekmat, die letztes Jahr eine Ausstellung in der Galerie Bortolozzi hatte. Deren ganze Ausstellung haben wir in unsere Ausstellung übernommen, ein bitterböses und bizzarres Theaterstück, eine Gesellschaftskritik, es geht um eine Mutter und ihre fünf Kinder. Ein Opus Magnum! Die junge Künstlerin hat das Theaterstück kreiert, Puppen und einen Vorhang, eine Freudsche Liege. Es ist auch etwas obszön – eine der wenigen Arbeiten der Ausstellung, in der man wirklich lachen kann. 

Julia Stoschek Leila Hekmat
Leila Hekmat, CROCOPAZZO!, 2020, Mixed-Media-Videoinstallation; Puppen, handgefertigte Kostüme, Vorhang mit digitaler Collage auf Seiden-Rayon-Samt; Tagesbett mit digitaler Collage auf Seiden-Rayon-Samt und gestepptem Rahmen, Video, 80′, Farbe, Ton, Dimensionen variabel. Videostill. © Courtesy of the artist and Galerie Isabella Bortolozzi, Berlin.

Zur Startseite