Ausstellungen

Italienisch für Fortgeschrittene

Italien hat für die Sammlerin Ingvild Goetz schon immer eine wichtige Rolle gespielt. Jetzt sind Kunstwerke und Designobjekte aus dem Museion in Bozen, der Neuen Sammlung in München und ihrem eigenen Besitz in Oberföhring zu sehen. Die Mäzenin über die Ausstellung  „Tutto. Perspektiven italienischer Kunst“ in der Sammlung Goetz

Von Lisa Zeitz
27.11.2019

Sie haben sich schon früh mit Positionen italienischer Künstlerinnen und Künstler auseinandergesetzt. Wo und wie sind sie mit ihnen erstmals in Kontakt gekommen?

Die ersten Kontakte mit den italienischen Künstlern entstanden schon in meiner Zeit als Galeristin, als ich 1973 meine Galerieräume in München eröffnete. Dort präsentierte ich Werke von Giulio Paolini, Vincenzo Agnetti, Carlo Alfano, Mario Merz, Mario Schifano, Jannis Kounellis und anderen italienischen Künstlern in verschiedenen Ausstellungen. Mit Giulio Paolini hatte ich den engsten Kontakt. Von ihm erwarb ich auch das erste Werk eines italienischen Künstlers für meine damals noch recht bescheidene Sammlung. Dabei handelt es sich um die Grafikmappe „Museo“ mit 9 Siebdrucken, die er 1970-1973 geschaffen hatte.

Welche Künstler und Künstlerinnen haben Sie selbst noch kennengelernt? 

Mein erster Sammlungsschwerpunkt nach der Schließung meiner Galerie 1983 war die Arte Povera. Mit Ausnahme von Alighiero Boetti konnte ich alle Künstler dieser Gruppierung noch persönlich kennenlernen. Vor wenigen Jahren habe ich mich der italienischen Kunst noch einmal aus einer anderen Perspektive zugewendet. Bei unserer Kooperationsausstellung „When Now is Minimal“ 2013 in Bozen lernte ich den Sammler Antonio Dalle Nogare kennen, der experimentelle Fotografie der 1960er und 1970er Jahre sammelt und damals in seinem Privatmuseum ausstellte. Diese Werke faszinierten mich so sehr, dass ich begann mich für andere konzeptuelle Positionen der italienischen Kunst zu interessieren, die nicht unter den eng gesteckten Kanon der Arte Povera fallen. Mit Unterstützung der Kuratorin Elena Re habe ich viele aufregende Werke verschiedener experimentell arbeitender Künstler erworben, die ich auch in einer Ausstellung präsentieren wollte. Dazu gehören auch Arbeiten von Künstlerinnen wie Dadamaino und Carla Accardi, die ich leider nicht mehr persönlich kennengelernt habe.

Oft erstaunt die große Experimentierfreudigkeit mit dem Material. Ist für sie die ungewisse Haltbarkeit von Materialien wie Plastik, Schaumstoff oder Folien jemals ein Faktor gewesen, der Sie von einem Kauf abgehalten hat?

Nein, das stand niemals im Vordergrund einer Kaufentscheidung. Natürlich lasse ich die Werke vor dem Erwerb von einer Restauratorin begutachten. Bei manchen haben wir auch die Genehmigung vom Archiv, gewisse Teile zu ersetzen, wie zum Beispiel die Technik im Werk „Ping Pong“ von Alighiero Boetti. Bei manchen anderen Arbeiten ist der Verfall als Prozess aber auch ein Teil des Werkes. Das muss man dann so akzeptieren.

In der Ausstellung treffen Werke aus Ihrer Sammlung auf Kunst aus dem Museion Bozen und auf Design der Neuen Sammlung. So entstehen erstaunliche ästhetische Dialoge. Gibt es eine Gegenüberstellung oder Verbindung, die Sie besonders bewegt?

Der grenzüberschreitende Dialog der verschiedenen Sammlungen ist in jeder Hinsicht eine Bereicherung. So eröffnet das Museion in Bozen eine ganz andere Perspektive auf die italienische Kunst, wie ich sie als Privatsammlerin habe. Das Zusammenspiel mit den Design-Objekten aus der Neuen Sammlung stellt den Bezug zur avantgardistischen Alltagskultur in Italien her. Mich hat die Gegenüberstellung der Agip-Tankstelle mit den Werken von Mario Schifano im großen Ausstellungsraum am meisten fasziniert. Das Markenlogo des Ölkonzerns mit dem feuerspeienden Hund stammt ja von einem Künstler. Die Bilder an den Wänden aus den 1960er Jahren von Autounfällen oder dem angeschnittenen Coca-Cola-Logo zeigen hingegen eine kritische Auseinandersetzung mit der Konsumkultur.

Im Kunstbetrieb kommen Künstlerinnen oft zu kurz. Bei Ihnen dagegen sind auch tolle Künstlerinnen zu entdecken. Welche von Ihnen hat es Ihnen besonders angetan?

Als Sammlerin habe ich nie den Fokus auf Kunst von Frauen gelegt. Das hat sich eher so nebenbei ergeben. Denn viele Künstlerinnen behandeln Themen, Fragestellungen oder arbeiten mit Materialien, von denen ich mich persönlich angesprochen fühle. Dazu gehören Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel, Roni Horn, Mona Hatoum, Cindy Sherman, Ulrike Ottinger, Paulina Olowska / Lucie McKenzie oder Andrea Zittel, denen ich in meinem Museum umfangreiche Einzelausstellungen gewidmet habe. Im letzten Jahrzehnt habe ich Werke von Künstlerinnen gekauft, die auf dem Markt lange Zeit übersehen wurden. Dazu gehören auch die beiden italienischen Künstlerinnen Dadamaino (Eduarda Maino) und Carla Accardi in der aktuellen Ausstellung.

Zwei wichtige Künstler der Ausstellung sind Lucio Fontana und Alighiero Boetti. Was ist Ihr persönlicher Zugang zu diesen beiden ganz unterschiedlichen Perspektiven?

Lucio Fontana hat mit dem Schnitt in die Leinwand die Grenze des traditionellen Tafelbildes überschritten und den umgebenden Raum miteinbezogen. Viele Künstlerinnen und Künstler wie zum Beispiel Dadamaino sind ihm gefolgt und haben diesen Schritt in ihren Werken weiterentwickelt. Alighiero Boetti hat die traditionelle künstlerische Praxis radikal in Frage gestellt, in dem er etwa seine Entwürfe für Bilder von Kunsthandwerkerinnen in Afghanistan sticken ließ. Dabei ging die Zusammenarbeit weit über die Rolle von Auftraggeber und Auftragnehmer hinaus. Denn die Frauen haben wiederum ihre persönlichen Anliegen in arabischer Schrift an den Bildrand gesetzt und so ihre eigenen Inhalte miteingebracht.

Zum Schluss: Welche der Leihgaben aus Bozen oder der Neuen Sammlung würden Sie am liebsten behalten?

Alle.

Ausstellung

Ausstellung

Tutto. Perspektiven italienischer Kunst. Bis 28. März in der Sammlung Goetz in München.

Zur Ausstellung ist ein Katalog (dt/it/eng) im Verlag Hatje Cantz erschienen.

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