Im idyllischen Weimar schafft Ulrike Theusner ihre weltweit gefragten Bilder. Per Fahrrad waren wir mit ihr in der Stadt unterwegs, zu Brunnen, Arabesken und Goethes Gartenhaus
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11.09.2025
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 244
Der 50 Hektar große Park an der Ilm ist mit dem Fahrrad nur ein paar Minuten entfernt. Goethe war 1776 in das Gartenhaus eingezogen, das uns die Richtung vorgibt. Wenige Jahre später ließ er die Felsentreppe anlegen, das Luisenkloster wurde zum Borkenhäuschen umgebaut, und bis 1828 entstand ein einmaliger Landschaftspark. Der Holunder blüht, der Duft frisch gemähter Wiesen liegt in der Luft, und die Vögel zwitschern so herzig, dass wir am liebsten einstimmen würden. So war es wohl auch zu Goethes Zeiten. Nicht ganz: Uns kommt ein Gärtner entgegen, der mit seiner Fernbedienung einen Rasenmäher in den Maßen eines Kleinwagens lenkt.
Wir halten am Römischen Haus, das in den 1790er-Jahren am südwestlichen Steilufer der Ilm unter künstlerischer Leitung Goethes als Sommerhaus für Herzog Carl August entstand. Es ist das erste rein klassizistische Bauwerk in Weimar. Die Innenausstattung mit ihrer Wandmalerei bekommen wir heute nicht zu sehen – dienstags geschlossen–, aber es ist gerade sowieso am schönsten unter freiem Himmel. Da der Bau am Steilhang steht, ist er zum Tal hin zweigeschossig. Unten wirken die gedrungenen dorischen Säulen herrlich archaisch. Von dem römisch anmutenden Becken ergibt sich – natürlich kein Zufall – eine malerische Blickachse zu Goethes Gartenhaus. Im Wasser haben sich grüne Algen gebildet, zwischen denen eine Münze golden schimmert. Theusner krempelt ihren Ärmel hoch und greift danach, aber es ist doch nur ein kupfernes Centstück. „Hoffentlich habe ich jetzt niemandem den Wunsch verdorben“, sagt sie und wirft es wieder ins Wasser.
Auf dem Weg zu Goethes Gartenhaus weist sie auf eine Stelle hin, wo Leute gerne nackt in der Ilm baden. „Das haben Goethe und Carl August auch gemacht!“ Hinter seinem Haus, das sein erster eigener Wohnsitz in Weimar war und heute ein zauberhaftes Museum ist, blühen im Garten dunkelrote Rosen, die blaue Jungfer im Grünen, rosa Mohn und gerade noch die letzten weißen Pfingstrosen. Theusner zeigt mir einen alten Baum, auf dem sie schon als Kind herumgeklettert ist, und sie macht ein Foto von einer klassizistischen Gartenbank, „für einen Freund, der Bänke sammelt“. Eine große Steinkugel lagert auf einem Sockel. Das sei „der Stein des guten Glücks“, sagt sie. Goethe hat ihn als Altar für die griechische Schicksalsgöttin Agathe Tyche aufgestellt.
Sie will mir noch weitere Perlen zeigen, und so nehmen wir den Corona-Schröter-Weg, auf dem Fahrradfahren durch den Park erlaubt ist, nach Norden zur Sphinxgrotte. Davor sprudelt in einem steingefassten Gewässer, Ochsenauge genannt, eine eiskalte Quelle. Wir ziehen die Schuhe aus und waten japsend eine Runde über die Kiesel. „Dreimal hinein und barfuß über die Wiese, dann wird man uralt, das wusste auch Goethe“, ist Theusner überzeugt, aber mir ist es zu kalt. Zu ihren weiteren Lieblingsstellen im Park zählt das Denkmal für William Shakespeare: „richtig sexy“. Sie geht nah heran, um den Totenkopf zu seinen Füßen zu inspizieren. Jemand hat künstliche Blumen darauf abgelegt. Shakespeares Werke hat Wieland ins Deutsche übersetzt, Goethe brachte sie als Weimarer Theaterdirektor zur Aufführung.
Zum Abschluss des Tages ist das vier Kilometer weiter südlich gelegene Schloss Belvedere mit seiner Orangerie unser Ziel. Auf dem Weg zeigt Theusner mir die alte „Schaukelbrücke“ über die Ilm, die ihrem Namen alle Ehre macht, und wir kommen am Stadion vorbei, wo sie als Jugendliche Hochsprung geübt hat. Weiter bergauf halten wir an der Belvederer Allee leicht verschwitzt am Haus Hohe Pappeln, das der belgische Jugendstilkünstler und Architekt Henry van de Velde Anfang des 20. Jahrhunderts für sich erbauen ließ.
Jetzt ist es nicht mehr weit bis zum barocken Lustschloss Belvedere mit seinen prunkvollen Räumen. Allein wegen der Außenbereiche des Ensembles mit Orangerie, Irrgarten und einem weiten Blick von der Anhöhe lohnt sich der Ausflug. Aus einem Seitengebäude des Schlosses, das von der Franz-Liszt-Musikhochschule genutzt wird, tönt die Stimme eines Tenors durch die offenen Fenster. Ein paar Schritte weiter quaken Frösche im Schwanenteich.
Im Orangeriehof ist eine ganze Parade von Pflanzkübeln mit Palmen, Bitterorangen, Agaven und Feigen aufgereiht und verbreitet südliches Flair. Auch sie erinnern an Goethe und Carl August. Beide waren leidenschaftliche Botaniker und kultivierten hier in der Orangerie Tausende Pflanzen aus aller Welt, sogar Kaffeebäume. Wir saugen die Eindrücke auf und schwingen uns wieder auf die Räder. Dann lassen wir die Belvederer Allee und den ganzen Tag an uns vorbeirauschen, die abendliche Sommerluft, den Duft von Holunder und Heu. Ich habe Glück, es fängt erst an zu regnen, als ich schon fast wieder am Bahnhof bin.
„Passagiere der Nacht“
bis 25. Oktober 2025
Führungen der Künstlerin durch die Ausstellung:
Freitag, 12. September, 17 Uhr
Samstag, 13. September, 14 Uhr