Wenn in Venedig die Biennale eröffnet, sind Walton Fords jüngste Bilder in der Bibliothek des Ateneo Veneto zu sehen. Er hat sich von Tintorettos „Vision des Heiligen Hieronymus“ inspirieren lassen und imaginiert die Legende neu. Ein Atelierbesuch in New York
Von
16.04.2024
/
Erschienen in
Weltkunst Nr. 225
Wir gehen hinüber zur Staffelei. Unter einem blassen Mond kniet der Esel vor einem Löwenschädel. „Je nach Bindemittel“, erklärt der Künstler, „wirken die Pinselstriche matt oder glänzend, das Papier saugt sie auf unterschiedliche Weisen an.“ Beim Aquarell sieht er gewisse Parallelen zur Freskomalerei: „Giotto musste die Farbe auf den frischen, noch feuchten Putz schnell auftragen, dann drangen die Pigmente in die Wand ein.“ Aquarell ist zwar ein anderes Medium, aber „die nasse Farbe auf nassem Papier, das muss auch sehr schnell passieren, alles ist in Bewegung, man malt im Moment. Es ist wie Motorradfahren, es gibt kaum Fehlerspielraum.“ Das handgeschöpfte Papier lässt er sich auf riesigen Rollen aus Großbritannien liefern.
In seiner ersten Ausstellung in der New Yorker Paul Kasmin Gallery 1997 zeigte Walton Ford noch ebenso viele Ölbilder wie Aquarelle, doch mit der Ölmalerei hörte er bald auf. Wasserlösliche Farben eignen sich besser für den vermeintlich sachlichen Stil, der historische naturkundliche Illustrationen prägt. Der französisch-amerikanische Vogelkundler Audubon wird immer wieder als Vergleich herangezogen, aber Walton Ford nennt auch den Briten Edward Lear, Napoleons Naturkundemaler Jacques Barraband und den Schweizer Karl Bodmer, der im 19. Jahrhundert mit Prinz Maximilian zu Wied-Neuwied den amerikanischen Nordwesten erkundete. „Ihre Bilder waren mehr Informationsgrafik als Malerei. Teilweise zeigten sie Tiere, die noch nie zuvor beschrieben wurden. Das war damals mein Projekt, in einem Stil zu malen, der aussieht, als wäre er für eine Tafel in einem Naturkundebuch.“
Mit solchen Werken, im Stil historisch, im Inhalt mysteriös, ist Walton Ford berühmt geworden. Sie wurden im Brooklyn Museum, in der Berliner Nationalgalerie im Hamburger Bahnhof und in der Wiener Albertina präsentiert, außerdem gibt es immer wieder Ausstellungen in der Kasmin Gallery, bei Max Hetzler in Paris und Berlin oder bei Gagosian. Im April beginnt eine Schau seiner Skizzen in der Morgan Library in New York. „Bitter Gulfs“, seine fast drei Meter breite Darstellung eines Albatros von 2004, hat vor zehn Jahren bei Christie’s einen Hammerpreis von 1,2 Millionen Dollar erzielt. Darauf sind, typisch für seine Arbeit in diesen Jahren, die Ränder des Papiers mit Aquarellfarbe angedunkelt, um der Darstellung einen vergilbten, gealterten Anschein zu geben. Die altertümliche Schreibschrift spielt auf die Notizen früher Naturforscher an.
„The Graf Zeppelin“ zeigt einen jungen Gorilla namens Suzie, der 1929 in einem Zeppelin in einer Kabine der ersten Klasse in die USA transportiert wurde, um sein Dasein im Zoo von Cincinnati zu fristen. Ford malte den melancholischen Affen auf einer gestreiften Polsterbank mit Blick über den Atlantik und notierte seine Geschichte in Schreibschriftzeilen darunter. In „Bangalore“, einer Serie von Druckgrafiken, ist ein Blatt einem Eisvogel gewidmet, der einen glänzenden Fischköder voller Angelhaken im Schnabel hält. Immer wieder klingen der absurde, oft tödliche Zusammenprall von Menschen- und Tierwelt oder der Clash verschiedener Zivilisationen an.
Wir stehen vor dem größten Bild im Atelier: Lebensgroß und gelb, „fast schmerzhalft hell“, zeigt es den Löwen mit dem Esel auf einem ausgebleichten Bücherberg, aus dem dornige Gewächse wuchern. Alle Bilder des neuen Zyklus beinhalten Dornen als Hinweis auf die Legende des Heiligen Hieronymus. Die Bergketten im Hintergrund hat der Künstler Fotos der syrischen Wüste nachempfunden, ebenso die antiken Ruinen. „Culpabilis“ heißt das Werk, lateinisch für „schuldig“. Ist es ein Liebesakt, oder frisst der Löwe den Esel gleich? „In der Legende heißt es, sie wären ständige Begleiter gewesen. Der Löwe war wie ein Hirte, er brüllte vor Verzweiflung, als der Esel verschwunden war. Es gab spürbare Emotionen zwischen den beiden.“
Er verweist auf das kleinere Bild daneben. Der Esel schaut auf den Raubtierschädel, als ob er trauert. Das Seil, mit dem er gezäumt ist, windet sich in einem Bogen um den Schädel, verbindet also das tote Tier mit dem lebenden. „Wenn alle Wildtiere auf der Welt ausgerottet sind, wird es immer noch Haustiere geben“, sagt Ford. Nach einer kurzen Pause gibt der Künstler noch eine weitere private Bedeutungsebene preis: „Die Zärtlichkeit in diesen Bildern stammt aus dem echten Leben, es gab eine Liebesbeziehung, die aber nicht funktioniert hat.“
Walton Fords Stil hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Seine Bilder wirken weniger sachlich und historisch, dafür plakativer, malerischer. Er nennt eine Schau bei Gagosian 2017 in Beverly Hills als ausschlaggebend, für die er sich von Hollywood-Motiven leiten ließ. Er holt eine große Monografie aus dem Taschen Verlag hervor – der Verleger Benedikt Taschen ist ein guter Freund – und klappt eine Seite mit der Abbildung des neun Meter breiten Triptychons „La Brea“ auf, ein Panorama von Los Angeles. Wie in einem Horrorfilm erheben sich aus den Teergruben von La Brea schwarztriefende Säbelzahntiger mit glühenden Augen und gefletschten Zähnen.
„Ich wollte die Bildsprache weit öffnen und auf Kinoplakate anspielen, Underground Comics, auf Frank Frazetta“ – der Fantasykünstler ist in Amerika Kult. „Für diese Bilder musste ich mich von allen meinen Vorstellungen von gutem Geschmack verabschieden.“ Auch für die Wüstenlandschaft in „Culpabilis“ schwebte ihm eine Filmszene vor, der Anfang von Stanley Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ mit den Menschenaffen. Ja, sagt er, den Naturkundestil habe er aufgegeben: „Weniger Audubon, mehr Hollywood, mehr Drama.“