Bild des Tages

Ironische Raster

Roy Lichtenstein ist neben Andy Warhol wohl der bedeutenste Künstler der Pop-Art. Sein Stil bewahrt die Kunst der Comics. Heute wäre er 100 Jahre alt geworden

Von Christiane Meixner
27.10.2023

Der Erfinder des monumentalen Rasters und der Comicblasen in der Kunst hat die Ikonografie der Bilder für alle lesbar gemacht. Liebe, Leid und (Todes-)Kampf – das sind die großen Erzählungen seit der Antike. Lichtenstein, der heute seinen 100. Geburtstag feiern würde, schildert die teils komplexen Dramen, die sich daran entzünden, mit den Mitteln des Pop. Weinende Blondinen, perfekt gestylte Supermänner und sexuell konnotierte Raketen, die gen Himmel rasen. Hat er das wirklich so gemeint?

Als Lichtenstein, gebürtiger New Yorker, ein Kunststudium beginnen wollte, ließ er sich von seinen Eltern zum Abschluss eines Lehrdiploms überreden. Sicherheit ging vor Kreativität, in den 1950er-Jahren arbeitete er als grafischer Zeichner, gestaltete Weißblechdosen und gab Kunstunterricht. Seine eigenen Werke ahmten Expressionistisches wie auch Kubistisches nach. Die Ausstellungen waren mäßig erfolgreich.

Erst als der Künstler die Gegenwart inhalierte, alles Zeitgenössische der US-amerikanischen Kultur in sich aufsog und seine Erfahrungen als Grafiker mit seinen künstlerischen Ambitionen kombinierte, kam der Erfolg. Lichtenstein eignete sich die Methoden der Simplifizierung und Reproduktion an, die Punkte in seinen Gemälden ahmen die Raster des damals aufkommenden Siebdrucks nach, den etwa Andy Warhol nutzte, um seine Kunst ins Unendliche zu vervielfältigen.

Lichtenstein, der heute wie Warhol als ein Pionier der Pop-Art gilt, blieb beim Original, ließ es jedoch wie reproduziert aussehen. Die Themen bringt er direkt auf den Punkt, viel Spielraum für Assoziatives bleibt nicht in dem frühen Gemälde „Thinking of him“ von 1963. Keine Zwischentöne, aber dank der Verfremdung durch das sichtbare Raster bleibt der Künstler auf Distanz. Die Tränen der vergeblichen Liebe berühren einen nicht, sondern wirken medial inszeniert.

Es ist also doch Ironie im Spiel, wenn Lichtenstein, dessen Bilder heute in jedem großen Museum hängen, die Botschaften simplifiziert. Seine Kunst misst den Puls der Gesellschaft in jener Zeit. Wie aktuell das immer noch ist, vermittelt die große Retrospektive in der Wiener Albertina ab März 2024, die Roy Lichtensteins Jubiläum feiert und in der auch „Thinking of him“ aus der Sammlung der Yale University zu sehen ist.

Die andere Ironie: Bilder wie dieses kann man längst im Internet bestellen, beliebig groß als Kunstdruck oder als rares Ausstellungsplakat von 1987. Es scheint, als wäre Roy Lichtensteins Strategie der scheinbaren Reproduktion von der echten Lust auf Reproduktionen längst überholt worden.

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