Documenta Fifteen

Die Glorreichen

Der ugandische Regisseur Isaac Nabwana hat für die Documenta einen bluttriefenden Actionfilm gedreht. In der Hauptrolle: ein deutscher Fußballer. Wir waren bei den Dreharbeiten in Kampala

Von Simone Schlindwein
07.09.2022
/ Erschienen in WELTKUNST Nr. 201

Der 2. November 2021 war der Tag, an dem einer der berühmtesten Fußballspieler Deutschlands, Karl-Heinz Rummenigge, in Uganda erschossen wurde. „Hier hat er sich verewigt, bevor er gestorben ist“, sagt Isaac Nabwana und grinst über das ganze Gesicht. Der ugandische Regisseur und Produzent steht in seinem Filmset in einem Armenviertel in der Hauptstadt Kampala und zeigt auf die verputzte Mauer seines Studios, auf der Hunderte Namen und Todesdaten gelistet sind. Neben der mit schwarzem Filzstift gekritzelten, falsch geschriebenen Unterschrift „Rumeniger“ steht das Todesdatum.

„Wir haben hier schon Tausende Menschen umgebracht“, sagt Nabwana und meint es zum Glück nicht ernst. Er zeigt auf einen vollgestellten, dunklen Raum hinter der Mauer. Darin türmen sich Maschinengewehre, Schwerter, Dolche, Macheten und Eimer voll Kunstblut – alles, was man in einem Actionfilm braucht. „Alle Figuren, die in unseren Filmen sterben, listen wir hier auf unserer Wall of Fame.“

Isaac Nabwana ist Ugandas berühmtester Filmproduzent. Seine Actionfilme sind landesweit berühmt für die riskanten Stunts, blutigen Schießereien und beinharten Kampfsportszenen, aber vor allem für seine kreativen Billigproduktionen. Sein Studio liegt am Rande der ugandischen Hauptstadt im Armenviertel Wakaliga, zwischen verdreckten Abwasserrinnen und Müllbergen, im Hinterhof seines privaten Hauses. „Wakaliwood“ stand noch bei unserem Besuch in großen Buchstaben draußen an der Fassade. Erst kürzlich wurde das Studio umbenannt in „Wakaliga Uganda“. Unter den Riesenlettern hängt ein zerrissenes Filmplakat des Streifens „Kung Fu Brothers“. Es zeigt drei ugandischen Schauspieler in Kampfsportposition.

Wakaliga Uganda Documenta
Der Regisseur Isaac Nabwana vor seinem Filmstudio. An der Wand steht noch der alte Name „Wakaliwood“, der den Ort über Uganda hinaus bekannt machte. © Foto: Isaac Kasamani

Im Hinterhof seines kleinen Hauses aus Lehmziegeln und Wellblechdach sind unter einer aufgespannten Zeltplane Scheinwerfer aufgestellt. Eine Handvoll junger Männer verrücken eine Holzwand, die die Fassade eines Hauses darstellen soll. Nabwana, im blauen Polo-T-Shirt mit dem Studiologo, steht in der Mitte des Hofes im Staub und hält einen Laptop in der Hand. Darauf lässt er immer wieder eine Szene seines aktuellen Films „Football Kommando“ abspielen.

Der weiße Schauspieler Max Winkler, der im Film die Rolle des Fußballstars Karl-Heinz Rummenigge übernimmt, kommt in dieser Szene mit einem Motorroller angefahren. Er steigt ab, zieht den Helm ab und wird dann von zwei Ugandern von hinten überwältigt. „Wir müssen die Szene noch einmal nachdrehen“, erklärt Nabwana und drückt auf dem Laptop auf Pause, um sich das Bild genau anzusehen. „Wir müssen immer genau gucken, wer welches T-Shirt anhatte, wer welche Uhr trägt, damit die Anschlüsse stimmen“, sagt er. Wild gestikulierend gibt Nabwana Anweisungen an sein Team, in welchem Winkel sie die Hauswand ausrichten sollen.

Nabwana wirkt konzentriert, aber aufgeregt. Für den 49-jährigen Ugander mit den grauen Bartstoppeln geht es jetzt um den internationalen Durchbruch. In diesem Jahr ist er zur Documenta 15 eingeladen. Dafür hat er in den vergangenen Monaten den Film „Football Kommando“ über den deutschen Fußballer Rummenigge gedreht: Dieser heiratet in Deutschland eine ugandische Frau und schenkt ihr eine Reise in ihr Heimatland. Dort besuchen die beiden die Wakaliga-Uganda-Studios, um den Hochzeitstag auf Film festzuhalten. „Doch dann passieren alle möglichen Überraschungen“, so Nabwana: Rummenigges Sohn wird von der ugandischen Tiger-Mafia gekidnappt, die auch in anderen Filmen immer wieder vorkommt, eine Anspielung auf die korrupten, kriminellen Netzwerke in Uganda. Der Fußballspieler schnappt sich eine Waffe und geht auf Befreiungsmission. Dabei wird er nach viel Action und Abenteuern getötet. 64 krachige Minuten dauert der Streifen, der bei der Ausstellung in der Documenta-Halle in Endlosschleife zu bewundern ist.

Wakaliga Uganda Documenta
Das Filmplakat des Actionfilms über den deutschen Fußballer Karl-Heinz Rummenigge. © Ramon Film Productions

Für den deutschen Max Winkler war die Rummenigge-Rolle eine komplette Überraschung, erzählt er. Der 26-Jährige studiert in Kassel im zwölften Semester Soziologie und engagiert sich in einem alternativen Sportverein, der auch bei der Documenta mitmacht. Im vergangenen Jahr war ein ugandisches Filmteam in Kassel auf seinem Sportplatz aufgeschlagen und suchte noch einen Schauspieler, der gut kicken kann. „Sie fragten mich, ob ich Lust habe, bei einem Low-Budget-Actionfilm in Uganda mitzumachen“, erinnert sich Winkler. „Wenn man mir mit solchen Ideen kommt, dann muss ich nicht zweimal drüber nachdenken.“ So stieg er drei Monate später ins Flugzeug, um in Wakaliga beim Dreh von „Football Kommando“ mitzuwirken. „Es war ein wirklich abgefahrenes Erlebnis.“

Dies war nur möglich, weil die Documenta Winklers Reisekosten übernommen hat. Die indonesischen Kuratorinnen und Kuratoren von Ruangrupa fokussieren auf Künstlergemeinschaften aus der ganzen Welt, die sich nicht durch viel Geld, sondern durch kreatives Netzwerken auszeichnen. Ziel ist es, zu zeigen, wie man international und gemeinsam kreativ werden kann. So gerieten auch Kollektive aus Afrika in den Blick. „Wir bekamen vergangenes Jahr plötzlich einen Anruf aus Indonesien“, erinnert sich Nabwana. „Damals wussten wir noch nicht einmal, was die Documenta ist.“

Die Beteiligung in Kassel habe für ihn einiges verändert, berichtet Nabwana: „Wir haben für diesen Film zum ersten Mal ein Budget, womit wir unser Team bezahlen können“, sagt er stolz. Umgerechnet 2,50 Euro verdienen nun seine Schauspieler pro Tag, plus ein warmes Mittagessen. Bislang gab es nie Geld fürs Team. Nabwanas größte Herausforderung in Ugandas Filmgeschäft, so sagt er, sei der Vertrieb, der letztlich Geld einbringe. „Die lokalen Fernsehsender zeigen lieber amerikanische Actionfilme“, klagt er. „Und die Videotheken hier kaufen uns eine Kopie ab und erstellen dann jede Menge Kopien selbst“, regt er sich auf. „Auf die Copyright-Rechte achtet niemand!“ Deswegen hat Nabwana sein eigenes Vertriebsnetzwerk aufgestellt, worüber auch seine Schauspieler Geld verdienen. Er händigt ihnen einfach den Film aus, und sie können ihn selbst weiterverkaufen und das Geld behalten. „Davon haben wir mehr als von den Piratenkopien.“ Umgerechnet rund 200 Euro hat er bislang pro Film ausgeben können. „Mehr Geld haben wir einfach nicht“, gibt er zu. Der größte Kostenfaktor ist stets: literweise rotes Kunstblut.

Wakaliga Uganda Documenta
Der Requisiteur von Wakaliwood Ramon Films Production, Dauda Bisaso (links), führt die Schauspieler in einem provisorischen Hubschrauber, den er persönlich in den Studios in Kampala gebaut hat, durch die Choreografien. © Foto: Isaac Kasamani

Zwischen Kalaschnikows und Kisten voller Kostüme in einem kleinen, dunklen Raum hockt Dauda Bisaso und schraubt an einem gewaltigen Maschinengewehr. Der 50-jährige ehemalige Mechaniker tüftelt seit 15 Jahren in Nabwanas Studio an den Requisiten. Seinem Einfallsreichtum ist es zu verdanken, dass die Filme fast nichts kosten: „Ich sammle auf dem Schrottplatz nebenan Teile und bastele daraus zusammen, was auch immer wir für den jeweiligen Film gerade brauchen“, sagt er. Dabei zeigt er stolz auf sein Sortiment an Waffen und Kriegsgerät. „Ich wollte als Kind erst Soldat und dann Schauspieler werden“, witzelt Bisaso. „Jetzt kann ich beides hier verwirklichen.“

Er steht auf und winkt, ihm zu folgen. Durch stinkende Pfützen und Hühnermist marschiert er aus dem Hof hinaus auf eine Wiese, auf der einige Hennen zwischen Abfall nach Insekten picken. Hinter dem Hühnerhaus steht auf einem Hügel aus Geröll das Gerüst eines Hubschraubers, Bisasos ganzer Stolz: „Monatelang habe ich ihn aus alten Kühlschränken zusammengeschweißt“, sagt er. „Wir hatten damals vergeblich beim Militär angefragt, mit einem Hubschrauber einen Kriegsfilm drehen zu dürfen“, erinnert er sich. Die Armee weigerte sich. „Da habe ich beschlossen, einfach unseren eigenen zu bauen“.

Seit 2014 steht der rostige Helikopter schon zwischen den schiefen Lehmhütten mit den reflektierenden Wellblechdächern im Stadtviertel Wakaliga. Er ist quasi das Wahrzeichen des Slums und schmückt auch das Studiologo. Wenn gerade keine Dreharbeiten stattfinden, spielen Kinder aus der Nachbarschaft darin. Ab und zu verirren sich weiße Touristen hierher, um neben dem Hubschrauber ein Selfie zu machen. Mittlerweile steht das Filmstudio in Reiseführern als Sehenswürdigkeit.

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In der kuriosen Story um die ugandische Hochzeit des Fußballers Karl-Heinz Rummenigge spielt Max Winkler, Student aus Kassel, mit Enthusiasmus die Hauptrolle. © Foto: Isaac Kasamani

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