Russland-Sanktionen auf dem Kunstmarkt

Vom Ende der Diskretion

Das Prinzip der Verschwiegenheit bei Geschäften mit der Kunst ist bei den Sanktionen gegen Russland nicht hilfreich. Der Kunstmarkt muss umdenken. Ein Kommentar

Von Sebastian Preuss
14.04.2022

Dass die russische Invasion in der Ukraine auch für den Kunstmarkt nicht folgenlos bleiben würde, war von Beginn an klar. Denn sofort rückten die Milliardäre rund um Putin in den Fokus und wurden mit drastischen Sanktionen belegt. Sie können sich in westlichen Ländern kaum noch bewegen, ihre Vermögen werden eingefroren, Besitztümer beschlagnahmt. Unvergessen, wie Roman Abramowitsch – derzeit als Prototyp des kultivierten, kremlnahen Oligarchen ständig in den Medien präsent – im Mai 2008 in zwei Tagen einen Frauenakt von Lucian Freud für 33,6 Millionen Dollar und ein Francis-Bacon-Triptychon für 86,3 Millionen Dollar ersteigerte. Vier Jahre zuvor hatte Wiktor Wekselberg über Sotheby’s die Fabergé-Sammlung von Malcolm Forbes für 100 Millionen Dollar erworben. Aber nicht nur die Auktionshäuser, auch Händler wie Larry Gagosian pflegten beste Beziehungen nach Moskau. Der Kunstboom der letzten 30 Jahre verdankt russischem Geld viel, auch wenn dessen Anteil mittlerweile von den asiatischen Sammlern weit übertroffen wird.

In der EU, in Großbritannien und den USA wurde nach Ausbruch des Kriegs verboten, mit sanktionierten Russen aus dem Putin-Umfeld Geschäfte zu machen. Gerade bei US-Behörden gibt es bei Zuwiderhandlungen kein Pardon. Selbst die Schweiz gab ihre Neutralität auf und schloss sich den Maßnahmen an. Weder in Amerika noch in Europa ist es gestattet, Luxusgüter nach Russland und Belarus zu exportieren, Kunst und Antiquitäten explizit eingeschlossen. Was sonst sollten Sotheby’s, Christie’s und Bonhams tun, als ihre traditionellen Russian Sales in London abzusagen? Während die großen internationalen Häuser darauf pochen, dass sie sich streng an die Sanktionen und deren aktualisierte Namenslisten halten, verkündeten deutsche Häuser wie Ketterer, Grisebach und Metz, dass sie überhaupt keine Geschäfte mehr mit Russen machen wollen.

Fabergé Renaissance Ei
Die Ostereier der Zarenfamilie waren die flamboyanten Meisterstücke von Fabergé. Neun dieser Wunderwerke sind im Fabergé Museum in St. Petersburg zu bestaunen - darunter auch das sogenannte Renaissance-Ei. © The Link of Times Foundation/Fabergé Museum

In heikler Position ist Phillips, denn es gehört zur Moskauer Mercury Group von Leonid Strunin und Leonid Fridlyand. Die Angst im zuletzt immer erfolgreicheren Auktionshaus ist groß, dass westliche Sammler jetzt einen großen Bogen um die Firma in Russenbesitz machen. Diese reagierte offensiv, verurteilte Putins Krieg scharf und spendete die Aufgelder einer Auktion – 5,8 Millionen Pfund – vollständig an das ukrainische Rote Kreuz. Überall in der Kunstwelt rückt man demonstrativ von allem ab, was irgendwie mit russischem Geld zu tun hat. Und auch einige Messen beeilten sich schon, mitzuteilen, dass keine Galerie aus Moskau oder Sankt Petersburg dabei sei und die übrigen Aussteller keine russischen Künstler zeigen würden.

Aufrichtige Kunstliebe sollte man von vornherein keiner Sammlerin, keinem Sammler absprechen. Darum werden die Sanktionen die Menschen, auf die sie zielen, schon treffen. Vor allem diejenigen Oligarchen, die mit ihren Kunstkäufen und ihrer großzügigen Kulturförderung in London und New York zu gesellschaftlicher Stellung gelangten. Sicherlich hat es die kunstsinnigen Großunternehmer Wladimir Potanin und Petr Aven geschmerzt, dass sie als Trustees des Guggenheim Museum und der Londoner Royal Academy of Arts zurücktreten mussten. Eine ganze Klasse von Menschen, die in London, New York oder in der Schweiz ihre zweite Heimat haben, wird dort nun wirtschaftlich und sozial geächtet. Aber bringt es die Betroffenen dazu, wie vielfach gehofft, auf Putin ein- oder gar auf den Sturz des Diktators und Massenmörders hinzuwirken? Nach allem, was man weiß: eher nicht, weil der Einfluss der Oligarchen auf den Kreml offenbar überschätzt wird.

Fabergé Maiglöckchen Ei
Das Maiglöckchen-Ei von Fabergé wurde auf der Weltausstellung 1900 in Paris ausgestellt. © The Link of Times Foundation/Fabergé Museum

Dennoch sind die Sanktionen, bei denen der Kunstmarkt ja ohnehin nur eine Randrolle spielt, richtig und unvermeidlich. Was alle Akteure vor allem tun müssen: darauf achten, dass die Beschränkungen nicht umgangen werden. Die Panamapapiere enthüllten 2017, dass die Putin-Vertrauten Arkadi und Boris Rotenberg, nach der Krimannexion eigentlich sanktioniert, über Umwege ein Magritte-Gemälde für mehrere Millionen Dollar verkauften. Und immer noch bestehen genügend Möglichkeiten, Geschäfte über graue Firmengeflechte zu tätigen. Jedes Auktionshaus, jede Galerie hat es selbst in der Hand, zu prüfen, wer hinter einer nie gehörten Firma auf den Virgin Islands steht, hinter einem Zürcher Anwalt, der ein teures Bild kaufen oder anbieten will. In verdächtigen Fällen die Behörden nicht einzuschalten bedeutet, sich mitschuldig zu machen.

Mit Scheuklappen nur auf die Sanktionslisten zu schauen reicht nicht. Die Schweiz musste vor Jahren ihr streng gehütetes Bankgeheimnis preisgeben, jetzt sollte sie sich mal anschauen, welche Kunstgeschäfte von Russen in den Zollfreilagern getätigt werden. Vielleicht ist es an der Zeit, dass der Kunstmarkt, das intransparenteste aller Wirtschaftssegmente, seine Diskretion wenigstens teilweise aufgibt. Das ist ein Tabu, aber angesichts Russlands Totalangriff auf Freiheit, Recht, Demokratie und Menschlichkeit mussten schon andere Tabus fallen.

Zur Startseite