Götz Alys „Das Prachtboot“

Mord und Raub in Ozeanien

Der Historiker Götz Aly zeigt, wie die deutschen Kolonialherren in der Südsee ganze Inselbevölkerungen vernichteten und Tausende ihrer Kunstwerke abtransportierten. Im Mittelpunkt des erschütternden Buchs: das berühmte Luf-Boot im Berliner Humboldt Forum

Von Sebastian Preuss
14.05.2021

Luf ist mit sechs Quadratkilometern die größte der Hermit-Insel und Teil des Bismarck-Archipels im Südpazifik. Von 1884 bis 1918 gehörte das ganze Gebiet zur Kolonie Deutsch-Neuguinea, aber schon zuvor waren Händler und Kriegsschiffe aus dem Kaiserreich in der Südsee unterwegs, um ein System der wirtschaftlichen Ausbeutung des Gebiets aufzubauen. Dazu gehörten sogenannte Strafexpeditionen – oft als Rache, wenn sich die indigene Bevölkerung gegen die Eindringlinge und die Beraubung ihrer Lebensgrundlage gewehrt hatten. So erging es auch der Insel Luf, auf der um 1850 noch rund 400 Menschen selbstbestimmt und in Wohlstand lebten.

Die Bewohner von Luf lebten von der fruchtbaren Natur und vom Meer, waren hervorragende Seeleute und Bootsbauer, zuweilen auch aggressive Krieger. Und sie schufen aus dem Tropenholz aufwendig dekorierte Häuser, Alltagsgegenstände und vor allem hochseetaugliche Boote. Schon vor Tausenden von Jahren hatten Menschen in der Südsee die Fähigkeit erworben, auf dem Pazifik weite Strecken zurückzulegen und dabei auch gegen den Wind zu segeln.

Der Urgroßonkel war dabei

Das berühmteste Zeugnis dieser hochentwickelten Schifffahrtskunst ist das Luf-Boot des Ethnologischen Museums in Berlin. Der Zweimaster, um 1890 ohne einen einzigen Nagel erbaut, ist 15 Meter lang, bot Platz für 50 Menschen, auf der Plattform eines Auslegers konnte Fracht transportiert werden. Das reich verzierte Luf-Boot war die Hauptattraktion in der populären Bootshalle im Dahlemer Museum. Auch im Humboldt Forum, wo im Herbst hinter den rekonstruierten Schlossfassaden die Obergeschosse mit den außereurpäischen Sammlungen eröffnen werden, sollen die ozeanischen Boote in einem großen Saal die Besucher faszinieren.

Luf-Boot Humboldt Forum Ethnologisches Museum Berlin
Das hochseetüchtige Schiff aus Luf ist 15 Meter lang. Im Jahr 1904 kam es ins Berliner Völkerkundemuseum, heute Ethnologisches Museum. Im Museumskomplex Dahlem war die Halle mit den Südseebooten eine populärer Besuchermagnet. Das soll sie auch im Humboldt-Forum werden. © Andreas Praefcke / Wikimedia Commons

Nun aber steht das Luf-Boot unter Raubverdacht, ja fast die gesamte ozeanische Sammlung, die zum größten Teil aus den ehemals deutschen Südsee-Kolonien stammte. Der Historiker Götz Aly ist einer der scharfsinnigsten und produktivsten Erforscher der NS-Zeit. Immer wieder hat er die Deutschen mit den Verstrickungen ihrer Familien und Vorfahren in die Verbrechen des Hitlerregimes konfrontiert. Das Bismarck-Archipel unter der deutschen Herrschaft geriet in seinen Fokus, weil sein Urgroßonkel in den 1880er-Jahren als Militärpastor der Kriegsmarine „an der kolonialen Unterwerfung jener Inselgruppen“ mitwirkte – ein Eiland wurde damals sogar nach Aly benannt. In seinem dieser Tage erschienenen Buch „Das Prachtboot“ leuchtet Götz Aly die brutale Unterwerfung und vielfach auch Vernichtung der Insulaner durch die Kolonialherren von Deutsch-Neuguinea aus. Dabei wurden Tausende von Kunstobjekten geraubt, mit List entwendet oder weit unter Wert gegen Glasperlen und schlechtem Kautabak eingetauscht.

Vernichtung der Lebensgrundlage

Im fesselnden Erzählstil und voller Empörung über die jahrzehntelange Ignoranz des Museums gegenüber den Tatsachen erzählt Aly, wie zur Jahreswende 1882/83 eine zehntägige Strafexpedition durch das Kanonenboot Hyäne und die Korvette Carola mit 300 Mann Besatzung die Insel Luf heimsuchte. Eduard Herrnsheim, der mit seiner Handelsgesellschaft Herrnsheim & Co vor allem Kopra (getrocknetes Kokosnuss-Fruchfleisch) exportierte und sich überall im deutschen Kolonialgebiet der Südsee ausbreitete, erwirkte die Aktion bei der Admiralität, weil die Ureinwohner auf einer Nachbarinsel seine Niederlassung und eines seiner Schiffe zerstört und dabei alle Deutschen getötet hatten.

Reichskanzler Bismarck forderte „glänzendste Sühne für die begangenen Verbrechen“, und so bombadierten die Marinesoldaten Luf, brannten mehrere Dörfer nieder, fällten Kokospalmen und zertrümmerten die Kanus. Wertvolle Gegenstände wurden mitgenommen, die Lebensgrundlage der Menschen war vernichtet. Womöglich überlebten nur 50 bis 60 Bewohner von Luf die Zerstörungswut der Deutschen. Später dezimierten Deportationen auf andere Inseln zur Zwangsarbeit auf Plantagen, aber auch Malaria, Syphilis und andere von den Europäern importierte Krankheiten die Bevölkerung. Ähnlich erging es vielen Inseln.

Luf-Boot Humboldt Forum Ethnologisches Museum Berlin
Das Luf-Boot ist nicht nur eine technische Meisterleistung, sondern auch reich verziert. © Wikimedia Commons

Als Max Thiel, Geschäftsführer von Herrsheim &  Co, im Herbst 1902 nach Luf kam, war ein neues Prachtboot entstanden, aber die wenigen Dorfbewohner nutzten es nicht mehr. Thiel erkannte den Wert des Boots und ließ es zum Firmensitz auf Matupi bringen. Von dort wurde es 1903 für 6000 Mark an das Berliner Völkerkundemuseum verkauft. Eduard Herrnsheim, der Chef des Unternehmens, schrieb später in seinen Lebenserinnerungen, es sei „in meine Hände gekommen“. Von einem rechtmäßigen Erwerb durch Thiel, wir er bis heute vom Museum und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz dargestellt wird, ist darin keine Rede. „Über den Kauf eines ganz besonderen Objekts spricht man präziser“, schreibt Aly und schließt aus verschiedenen Zeitzeugenberichten und analogen Fälle auf eine „Enteignung“ des Boots durch Thiel. Allerdings ist der Diebstahl ebensowenig zweifelsfrei dokumentiert wie ein fairer Kauf.

Doch Aly breitet ein größeres Bild aus, in das er die Geschichte des Luf-Boots einbettet. Die Händler, Missionare, Schiffskapitäne, Marinesoldaten, Ärzte  oder frühen Forscher der sich damals erst entwickelnden Ethnologie sammelten auf den Südseeinseln viele tausend kostbare Objekte. Sie alle wussten, dass die alten Kulturen im Aussterben begriffen waren – woran sie selbst tatkräftig mit Strafexpeditionen und Ausbeutung mitgewirkt hatten – und entwickelten enormen Drang, so viele der einzigartigen Artefakte wie möglich mitzunehmen.

Ganze Sammlungen sind belastet

Zu Hause im Reich gab es durchaus Museumskustoden und Ethnologen, die den Untergang und die brutale Vernichtung der indigenen Südsee-Bevölkerung beklagten, zweilen auch mit scharfen Worten (wie Felix von Luschan im Berliner Völkerkundemuseum) den Hochmut der Europäer gegenüber den „Wilden“ anprangerten. Zugleich aber stachelten sie den Sammeleifer der Kriegsmarine und der Kolonialunternehmer wie Herrnsheim nach Kräften an.

Ein anständiger Erwerb war dabei offenbar die absolute Ausnahme. Die in den Objektkarteien des Museums vermerkten Provenienzen wie „Herrnsheim“, „Hyäne“ oder „Carola“ deuten viel eher auf Strafaktionen, also Totschlag, Raub oder Übervorteilung. Aly hegt keinen Zweifel daran, dass der allergrößte Teil der rund 65.000 Objekte Südsee-Objekte in Berlin auf solche Weise zwischen 1880 und 1914 nach Preußen „verschleppt“ wurden. „Ein Monument der Schande“, so sein Verdikt. Mit scharfen Worten kritisiert Aly die verharmlosenden Provenienz-Angaben durch die Verantwortlichen im Ethnologischen Museum und vor allem Hermann Parzinger, den Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.

Luf-Boot Humboldt Forum
Das Boot von der Südseeinsel Luf, um 1890 erbaut, hat zwei Segel und einen Ausleger. Bis zu 50 Menschen hatten darauf Platz © Wikimedia Commons

Es ist ein erschütterndes Buch, in dem man mehr über den brutalen Alltag des Kolonialismus lernt als in jedem Manifest der Postcolonial Studies mit den üblich komplizierten, oft wolkig formulierten Theoriekonstrukten. Wenn das die allgemeine Realität ist, in der wir uns mit afrikanischer, ozeanischer oder präkolumbischer Kunst bewegen, dann ist es zutiefst niederschmetternd. Nicht nur für das Humboldt Forum, überhaupt für alle ethnologischen Museen in der westlichen Welt.

Aber Aly konstatiert nicht pauschal ihr Scheitern (wie jetzt immer häufiger zu hören), sondern blickt bei aller harschen Kritik an den Versäumnissen der letzten Jahrzehnte nach vorn. Er fordert eine schonungslose Aufklärung des Publikums über die Geschichte der Museumsobjekte und das Schicksal ihrer einstigen Besitzer. Und er plädiert dafür, dass Deutschland sich künftig als Treuhänder, nicht mehr als rechtmäßiger Eigentümer des Luf-Bootes und so vieler anderer ozeanischer Kostbarkeiten begreift.

Dazu gehört natürlich, mit Papua-Neuguinea, in dessen Staatsgrenzen die ehemals deutschen Kolonalialgebiete heute liegen, zu verhandeln, wie es jetzt weitergehen soll. Sicher gibt es gerechte und faire Lösungen, mit denen beide Seiten zufrieden sein können. Wenn Restitutionen gefordert werden, dann wird man sich ihnen nicht verweigern können. Kulturstaatsministerin Monika Grütters, die so gerne ihren Willen zur Dekolonisierung bekundet, sollte sich so bald wie möglich auf den Weg in die Südsee machen.

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Das Buch

Götz Aly: „Das Prachtboot. Wie Deutsche die Kunstschätze der Südsee raubten“

S. Fischer Verlag, 240 Seiten, 21 Euro

 

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