Wer hätte gedacht, dass es noch eine Skulptur von der Hand des berühmtesten Barockkünstlers überhaupt zu entdecken gibt? Gian Lorenzo Berninis verschollener Totenschädel für Papst Alexander VII. beglückt die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden
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28.05.2021
Von Lebensgröße zu sprechen, sei ja bei einem Totenschädel ein bisschen seltsam, sagt die Kuratorin Claudia Kryza-Gersch, als sie von dem Dresdner Sensationsfund berichtet. Eine unglaubliche Aura habe das Werk. Die Skulptur aus Carrara-Marmor ist realistisch bis in die Feinheiten der Zahnlücken und der Nähte an der Schädeldecke, und sogar hohl wie ein echter Schädel. Wahrscheinlich liegt es auch an ihrer täuschend echten Erscheinung, dass sie seit Jahrhunderten unerkannt in Dresden schlummerte und erst kürzlich in Schloss Pillnitz entdeckt wurde. „Aus Marmor gemeißelt, ein Mirakel“, schwärmt die Kuratorin bei der digitalen Pressekonferenz kurz vor der Eröffnung der Ausstellung „Bernini, der Papst und der Tod“ in der Gemäldegalerie im Semperbau, wo der spektakuläre Schädel in einer kleinen Kabinettschau bis 5. September präsentiert wird.
Die Freundschaft von Alexander VII. Chigi und dem ungefähr gleichaltrigen Bildhauer, Maler und Architekten Gian Lorenzo Bernini ist ein bekanntes Kapitel Kunstgeschichte – man denke nur an das barocke Programm von St. Peter und Berninis Kolonnaden auf dem Petersplatz, die Gläubige aus aller Welt mit offenen Armen willkommen heißen. Gleich nach seiner Wahl zum Papst im Jahr 1655 beauftragte Alexander VII. seinen Freund mit einem Totenschädel, ein Meditationsobjekt, „um ihn an die Fragilität der menschlichen Existenz zu erinnern.“ Guido Ubaldo Abbatinis Gemälde des Papstes mit dem Totenkopf von 1655/1656 ist jetzt auch Teil der Ausstellung. Es war die Zeit der Pest, und Alexander VII. ließ sogar, um auch nachts den Tod nicht zu vergessen, einen bleiernen Sarkophag unter sein Bett stellen.
Den Schädel und seine berühmte Antikensammlung vererbte er seinem Lieblingsneffen Flavio Chigi, dessen Familie drei Generationen später 164 antike Skulpturen und vier zeitgenössische Werke an August den Starken verkaufte, darunter auch „Una celebre testa di Morto, opera del Cav[alie]r Bernini“ („Ein berühmter Totenkopf, Werk des Ritters Bernini“). Doch da sich mit der Chigi-Sammlung in Dresden im Lauf des 18., 19. und 20. Jahrhunderts hauptsächlich Archäologen beschäftigten, die sich für die Werke des 17. Jahrhunderts kaum interessierten, kam es, dass der Schädel bis vor kurzem unerkannt in Schloss Pillnitz verblieb.
Claudia Kryza-Gersch hat sich in den vergangenen Monaten in die reichhaltigen Chigi-Inventare vertieft, die sie online studieren konnte, und viele andere Quellen konsultiert. „Ich lebe in Rom im 17. Jahrhundert!“, sagt sie, und habe so von Corona nicht viel mitbekommen. Ihr Glück könne sie kaum fassen – und die Dresdner Gemäldegalerie, die sowieso schon zu den größten Schatzhäusern der Welt zählt, ist nun auch zweifelsfrei im Besitz einer Bernini-Skulptur.