Kunstwissen

Roland Topor: Faszination fürs Absurde

Roland Topor, unermüdlicher Zeichner und Illustrator, blickte in die Abgründe des menschlichen Seins. Der Bildband „Panoptikum“ im Steidl Verlag entfaltet sein Werk

Von Peter Dittmar
24.05.2020

„Glücklich sein heißt, ohne Schrecken seiner selbst innewerden können“, hat Walter Benjamin einmal notiert. Roland Topor hätte in diesen Satz gewiss ein Wort ausgewechselt und eines gestrichen: „Glücklich sein heißt, mit Schrecken seiner selbst innewerden.“ Denn Topor, 1938 in Paris – mit polnischem Migrationshintergrund – geboren und im April 1997 dort gestorben, war ein vielseitiger Künstler, der in alle möglichen Rollen schlüpfte und doch stets unverwechselbar blieb. 

Ein umtriebiger Künstler

Bereits 1963 notierte das kleine Lexikon Wer zeichnet wie? des frisch gegründeten und sich auf Karikaturisten und Cartoonisten konzentrierenden Diogenes Verlages über ihn: „fiel zeichnend durchs Abitur und mit der Schraffur-Manier seiner Zeichnungen (nach Art der Holzschnitte aus dem 19. Jahrhundert) auf.“ Als mildernden Umstand fügte es jedoch noch hinzu: „ist kein Masochist, sondern verheiratet mit einer Frau, die durchaus kein Scheusal ist, die seine manchmal grausigen Bilder mag, aber nicht ernst nimmt.“ Damit war treffend umrissen, was und wer Topor ist, gleichgültig ob er zeichnete, lithographierte oder in Linol schnitt, ob er Geschichten, kleine Dramen oder die „Memoiren eines alten Arschlochs“ schrieb, Zeichentrickfilme entwarf, in Filmen schauspielerte oder Theateraufführungen ausstattete. Die Welt und alle ihre Akteure schrumpft er zu Kunstfiguren in einem Panoptikum. Panoptikum heißt deswegen auch der Sammelband, der parallel zu der Topor-Ausstellung im Museum Folkwang in Essen erschien.

Topor lässt sich nicht einordnen

Und schon fühlt man sich bemüßigt, eine Schublade zu suchen, in die er passt. „Karikaturist“ ist zu wenig, weil er nicht lustig ist und das Zeitgeschehen allenfalls gelegentlich am Rande aufscheint. Manche meinen, er sei ein Surrealist, der die Wirklichkeiten überzeichne. Aber von dem deutelnden Drumherum, das die Surrealisten kultivierten, hielt Topor nichts. Andere wollen ihn unter „Schwarzer Humor“ ablegen, da er hohnlachend mit Entsetzen Scherze treibt. Doch da spielt mehr mit als ein Witz, der schockieren will. Deshalb wird ihm „Sarkasmus“ nachgesagt. Nicht zuletzt als (unbewusste?) Rache eines Traumatisierten, der als Jude die Besetzung Frankreichs nur untergetaucht überleben konnte. Oder „Misogynie“, die mit seiner Erotomanie kollidiere, weshalb immer wieder nackte Frauen zwergenhafte, bucklige debile Männer bedrängen und ihnen das Fürchten lehren. 

Roland Topor, Panoptikum, Edition Folkwang / Steidl / Diogenes, 2018, Abbildung: Steidl
Roland Topor, Panoptikum, Edition Folkwang / Steidl / Diogenes, 2018, Abbildung: Steidl

Das alles ist absurd, erinnert an die Grotesken, die die Ränder mittelalterlicher Codices bevölkern, so dass man nicht weiß, ob sie erheitern, nachdenklich stimmen oder nur eine Fläche, die sonst leer geblieben wäre, ausfüllen. Topors Panoptikum versammelt Bilder, die anziehen und abstoßen, die sich selbst genug sind und doch – wie bei Alice hinter den Spiegeln – mit irrealen Realitäten kokettieren. Phantasmagorien zwar, auch Bilder, die weder bilden, noch abbilden. Denn scheinbar altmodisch und zugleich außerhalb jeder Zeit lehren sie, „sich mit Schrecken seiner selbst inne zu werden.“

Service

BUCHTIPP

Roland Topor, „Panoptikum“

Edition Folkwang / Steidl / Diogenes, 2018
224 Seiten, 25 Euro

Dieser Beitrag erschien in

KUNST UND AUKTIONEN Nr. 1/2020

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