Kunstwissen

Buchkunst: Pfingsten in mittelalterlichen Bildern

An Pfingsten empfingen die Apostel den Heiligen Geist und wurden in die Welt ausgesandt, um den Menschen in allen Sprachen die Botschaft Jesu zu verkünden. In der Buchmalerei des Mittelalters ist das Geschehen ein prominentes Thema. Faksimiles bieten die Möglichkeit, zu Hause in den kostbaren Büchern zu blättern

Von Sebastian Preuss
28.05.2020

Am Pfingsttag empfingen die Apostel in Jerusalem den Heiligen Geist und die wundersame Gabe, in fremden Sprachen, die sie gar nicht gelernt hatten, über Jesus und sein Wirken zu sprechen. Sieben Wochen nach Christi Tod und Auferstehung an Ostern, zehn Tage nach seiner Himmelfahrt, fanden die Jünger und andere anwesende Anhänger des Jesus von Nazareth zu einer gemeinsamen Botschaft, die alle zwölf Apostel durch die Ausgießung des Heiligen Geistes erfüllte und die sie fortan in ihren Predigten, Briefen und den Texten des Neuen Testaments verkündeten. Nun schwärmten sie in die Welt aus, um überall die Menschen mit der neuen Religion vertraut zu machen. Es war der Beginn der Mission, ja überhaupt der Beginn der Institution der christlichen Kirche.

Pfingsten in mittelalterlichen Bildhandschriften

In der Kunst wurde das Geschehen dieses wichtigen Feiertags immer wieder dargestellt. Oft bildet es den Abschluss von Bildzyklen zum Leben Jesu, seiner Passion und seinem Aufstieg in die Göttlichkeit. Gerade in mittelalterlichen Bilderhandschriften gibt es viele großartige Umsetzungen der biblischen Überlieferung, so wie sie in der Apostelgeschichte des Lukas (Kapitel 2) geschildert wird: „Und es geschah schnell ein Brausen vom Himmel eines gewaltigen Windes und erfüllte das ganze Haus, da sie saßen. Und es erschienen Zungen, zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeglichen unter ihnen; und sie wurden all voll des heiligen Geistes und fingen an zu predigen mit anderen Zungen, nach dem der Geist ihnen gab auszusprechen.“

Das Pfingstwunder im Bedford-Stundenbuch in der British Library in London, entstanden 1423–30 in Frankreich, eine Seite aus der Faksimile-Edition im Faksimile Verlag (Foto: Faksimile Verlag)
Das Pfingstwunder im Bedford-Stundenbuch in der British Library in London, entstanden 1423–30 in Frankreich, eine Seite aus der Faksimile-Edition im Faksimile Verlag (Foto: Faksimile Verlag)

Im Mainzer Evangeliar ist es genauso gezeigt, wie es Lukas beschreibt: die zungenförmigen Flammen auf den Köpfen der Apostel kommunizieren mit feurigen Strahlen am Himmel, sie verbildlichen die Präsenz der göttlichen Botschaft und die Aufforderung, die neue Religion in die Welt zu tragen. In der Mitte der Apostel sitzt Maria, die als wichtiges Mitglied der Urgemeinde in Pfingstbildern oft präsent ist. Die Frauen und Männer in der Bogenarchitektur am unteren Bildrand stehen für die Anhänger Jesu, die in den Wochen nach dessen Tod meist mit den Aposteln zusammen waren.

Frühgotische Buchmalerei in Deutschland

Die Bilderhandschrift, entstanden um 1230/50 in Mainz oder in einem klösterlichen Skriptorium irgendwo im Einflussbereich des mächtigen Mainzer Erzbischofs, gehört zu den bedeutendsten Beispielen der frühgotischen Buchmalerei in Deutschland. Alles ist hier höchst eindrucksvoll: der klare architektonische Aufbau der Komposition, die feine Modellierung der Gesichter, die kunstvolle Drappierung der Haare, aber auch die scharfkantigen Gewandfalten, die ein exaltiertes Eigenleben entwickeln. Dieser „Zackenstil“ taucht in dieser Zeit immer wieder auf und wird oft mit dem Einfluss byzantinischer Handschriften erklärt, die seit der Eroberung Konstantinopels 1204 durch die Kreuzfahrer im römisch-deutschen Reich zirkulierten.

Pfingstwunder im Stundenbuch der Isabella von Kastilien, Gent oder Brügge, um 1500, Cleveland Museum of Art, aus der Faksimile-Edition des Faksimile Verlags (Foto: Faksimile Verlag)
Pfingstwunder im Stundenbuch der Isabella von Kastilien, Gent oder Brügge, um 1500, Cleveland Museum of Art, aus der Faksimile-Edition des Faksimile Verlags (Foto: Faksimile Verlag)

Die Miniaturen in mittelalterlichen Handschriften sind äußerst empfindlich und daher selten in Ausstellungen zu sehen. In abgedunkelten Räumen kann dort immer nur eine Doppelseite gezeigt werden, und auch Experten dürfen die kostbaren Bücher in den Bibliotheken nur in Ausnahmefällen öffnen. Um diese bedeutenden Kunstwerke trotzdem der Forschung und Liebhabern der Buchmalerei in ihrer ganzen Fülle erlebbar zu machen, erstellen spezialisierte Verlage täuschend echte Faksimile-Ausgaben – in höchst aufwendigen Reproduktionsverfahren samt Blattvergoldung, künstlicher Patina, nachgeahmten Pergamentseiten und Imitationen der Prachteinbände. Faksimiles sind in der Regel streng auf wenige hundert Exemplare limitiert; meist gehört ein ausführlicher wissenschaftlicher Kommentarband dazu.

Jesus, die Apostel und die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten, Mainzer Evangeliar, um 1230/50, Faksimile-Edition im Faksimile Verlag (Foto: Faksimile Verlag)
Jesus, die Apostel und die Ausgießung des Heiligen Geistes an Pfingsten, Mainzer Evangeliar, um 1230/50, heute in der Hofbibliothek Aschaffenburg, aus der Faksimile-Edition im Faksimile Verlag (Foto: Faksimile Verlag)

Das hat seinen Preis, so kostet das im Faksimile Verlag erschienene Mainzer Evangeliar 8900 Euro. Dafür erwirbt man den Luxus, uneingeschränkt wie einst nur die Könige, Fürsten, Bischöfe und Äbte im Bilderschatz einer berühmten Handschrift zu blättern. Der Faksimile Verlag und der Verlag Müller & Schindler, beide auf diesem Feld aktiv und heute gemeinsam von der Verlegerin Charlotte Kramer geführt, haben jetzt einige der schönsten Pfingstbilder aus ihren Faksimile-Editionen herausgesucht. Darunter ist die Darstellung im Stundenbuch des Herzogs von Bedford, um 1423–30 entstanden und mit mehr als 1250 Miniaturen die reichste Handschrift dieses Typs. Das Faksimile kostete 11.900 Euro, ist aber im Verlag mittlerweile vergriffen. Bei spezialisierten Händlern dieses Segments, etwa Ziereis in Regensburg, wird man womöglich noch einzelne Exemplare finden.

Üppige Bildwelten aus Paris

Der Pariser Buchmaler, meist Bedford-Meister genannt, bettet die von einer gotischen Architektur gerahmten Szene in eine üppige Bildwelt aus Pflanzen und biblischen Szenen ein. Maria ist bei ihm die Zentralfigur in der eng gedrängten Schar der Apostel und anderen Anhänger Jesu. Die Taube inmitten der herabfahrenden Strahlen bezeugt, wie Jesus selbst bei seiner Taufe von der göttlichen Erkenntnis erfüllt wurde: „Und der heilige Geist fuhr hernieder in leiblicher Gestalt auf ihn wie eine Taube und eine Stimme kam aus dem Himmel, die sprach: Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.“ So beschreibt es Lukas im zweiten Kapitel seines Evangeliums.

Pfingstbild im Stundenbuch des Étienne Chevalier, gemalt von Jean Fouquet, 1448–57, im Besitz des Musée Condé in Chantilly, eine Seite aus der Faksimile-Edition des Verlags Müller & Schindler (Foto: Verlag Müller & Schindler)
Pfingstbild im Stundenbuch des Étienne Chevalier, gemalt von Jean Fouquet, 1448–57, im Besitz des Musée Condé in Chantilly, eine Seite aus der Faksimile-Edition des Verlags Müller & Schindler (Foto: Verlag Müller & Schindler)

Eine herrliche Darstellung des Pfingstwunders schuf Jean Fouquet zwischen 1448 und 1457 im Stundenbuch des französischen Schatzmeisters Étienne Chevalier, für den er auch das Diptychon von Melun (mit der tollsten nackten Brust des Mittelalters) malte. Fouquet verschmolz die Pariser Spätgotik, den niederländischen Realismus Jan van Eycks und Rogier van der Weydens mit seinen Erfahrungen im Italien der Frührenaissance zu einer eigenen Stilsprache voller Leben und raffinierter Raumerschließung.

Die Apostel schweben bei der Empfängnis des Heiligen Geistes bereits in Richtung Himmel, wo Jesus als Weltenherrscher von der betenden Maria, Johannes dem Täufer und Engelsscharen flankiert wird. Unten auf der Erde warten die ehrfürchtig knienden Menschen auf die göttlichen Strahlen. Das Pfingstwunder mit seinen strahlenden Farben und der sinnlichen Schilderung des Geschehens ist nur ein Vorgeschmack. Für knapp 5000 Euro lässt sich eines der schönsten Stundenbücher überhaupt erwerben – natürlich nicht im Original, aber in der bestmöglichen Reproduktion. Näher kann man dem Mittelalter zu Hause nicht kommen.

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