Kunstwissen

Neu im Netz: Die Weltkunst 1927 bis 1944

Das haben sich Kunstfreunde, Wissenschaftler und Marktexperten seit Langem gewünscht: Die frühen Ausgaben der WELTKUNST sind online frei verfügbar. Auf Tausenden von Seiten tut sich das Kunstgeschehen eines ganzen Zeitalters auf. Und Provenienzforscher finden hier viele Anhaltspunkte bei der Recherche zu NS-Raubkunst.  Ein Besuch im Digitalisierungslabor der Universität Heidelberg

Von Sebastian Preuss
23.10.2019

Parallel dazu bereitete man viele andere Bestände der UB für die Lektüre am Bildschirm auf. Man muss sich über die Startseite der Universitätsbibliothek (ub.uni-heidelberg.de) nur einmal durch die Bereiche „Digitale Bibliothek“ oder „Fachbezogene Informationen“ (dort „Kunst“) klicken, um zu ermessen, was hier in den letzten zwei Jahrzehnten geleistet wurde und man nun von zu Hause aus nutzen kann. 

Konsequente Digitalisierung als Reaktion auf aktuelle Entwicklungen

Längst gehört die Heidelberger UB zu den führenden Einrichtungen, wenn es um elektronische Wissensbestände und Forschungsförderung geht. Veit Probst, der Direktor des Hauses, erklärt, warum dies kein Zufall ist: „Wir haben früh erkannt, welche Perspektiven die Digitaliserung für wissenschaftliche Bibliotheken mit sich brachte. Am Anfang waren viele Kollegen in anderen Häusern skeptisch. Jetzt können wir uns vor Kooperationsanfragen kaum retten.“ 

Herr der Bücher: Veit Probst, der Direktor der Universitäts­bibliothek verfolgt seit zwanzig Jahren eine konsequente Digitalisierungspolitik. Open Access, freier Zugang für alle, lautet die Devise im Haus, Foto: Peter Wolff für WELTKUNST
Herr der Bücher: Veit Probst, der Direktor der Universitäts­bibliothek verfolgt seit zwanzig Jahren eine konsequente Digitalisierungspolitik. Open Access, freier Zugang für alle, lautet die Devise im Haus, Foto: Peter Wolff für WELTKUNST

Probst erzählt, wie er Institutsbibliotheken zusammenlegte, die ganze Organisation der UB umstruktierte, um Mitarbeiter für die neuen Aufgaben der Digitalisierung zu gewinnen. Daneben ging es aber nur mit langjähriger Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und anderen Förderern, etwa der Manfred Lautenschläger Stiftung, die große Teile des Palatina-Projekts finanzierte. Es gebe keine Alternative zu diesem konsequenten Weg, sagt Probst, schon die Zahlen sprechen für sich: Die konventionellen Buchausleihen sanken von 2 Millionen im Jahr 2010 auf 1,2 Millionen 2018, während die Downloads aus den elektronischen Angeboten der UB auf über 18 Millionen Artikel und Buchkapitel angestiegen sind. Mit einigem Stolz verweist der Direktor darauf, dass bei Literatursuche bei Google die Heidelberger UB immer sehr weit oben rangiert. „Wir haben eine grundsätzliche Service-Orientierung, das ist unser Ehrgeiz“, betont Probst, und hört man ihm und Effinger zu, dann ist zu spüren, mit welchem Elan sie diesen Heidelberger Geist des innovativen Bibliothekswesens vorantreiben. Davon profitieren jetzt auch die Leser der frühen Weltkunst.

Der Scanner stand ein paar Jahre im Vatikan, wo Mitarbeiter der Heidelberger Universitätsbibliothek die Palatina-Handschriften digitalisierten, Foto: Peter Wolff für WELTKUNST
Der Scanner stand ein paar Jahre im Vatikan, wo Mitarbeiter der Heidelberger Universitätsbibliothek die Palatina-Handschriften digitalisierten, Foto: Peter Wolff für WELTKUNST

Hier kann digital geblättert werden

Über den Heidelberger UB (ub.uni-heidelberg.de) oder einen direkten Link (www.ub.uni-heidelberg.de/fachinfo/kunst/zeitschriften/weltkunst.html) gelangt man problemlos zu den Ausgaben. Wer einmal mit dem Stöbern beginnt, dem tut sich ein ganzes Universum auf. Auf einmal ist man mitten in den Zwanzigerjahren, etwa am 15. Oktober 1927, als „Die Kunstauktion“, wie die Kunstmarktzeitung bis zu ihrer Umbenennung in Weltkunst 1930 hieß, erstmals erschien. In einem programmatischen Editorial erklärt der Gründer und Herausgeber Walter Bondy, dass ihm ein „Börsenblatt“ des deutschen und internationalen Kunstmarkts mit möglichst genauer, unbestechlicher Berichterstattung vorschwebe. Diesen Anspruch haben Bondy und seine Redaktionskollegen eingelöst, da ist sich Patrick Golenia sicher. „Mit ihrer transparenten Informationspolitik hat die Weltkunst den deutschen Kunsthandel in den späten Zwanzigern maßgeblich mit aufgebaut“. Vor allem, weil sie den internationalen Vergleich herstellte, das gab es zuvor nicht“, erklärt der Berliner Kunsthistoriker, der an einer Dissertation über die Vorkriegszeit der Zeitschrift arbeitet.

Die Rolle der Weltkunst in der NS-Zeit

Unter dem Arbeitstitel „Die Weltkunst: Spiegelbild oder Instrument?“ geht Golenia neben der Entwicklung in der späten Weimarer Republik vor allem der Frage nach, wie sehr sich die Zeitschrift in der NS-Zeit zum willigen Helfer des Systems machte. Gleichgeschaltet und der Reichspressekammer unterstellt war sie wie alle Presseorgane. Zwar finden sich selten martialische Propaganda-Artikel und spürt man meist den Willen, möglichst sachlich zu berichten. „Der Ton ist durchweg maßvoll, und es ist viel zwischen den Zeilen mitgeteilt worden“, urteilt Golenia. Doch war die Weltkunst – ob sie wollte oder nicht – mit ihren akribischen Vorschauen auf Auktionen bis hin zum Abdruck von Ergebnislisten tief verstrickt in den Handel mit Raubgut aus jüdischem Besitz. Bis in die letzten Kriegsjahre stößt man in den Anzeigen und Vorberichten auf zahllose Versteigerungen aus ungenannten privaten Sammlungen und bürgerlichen Wohnungsauflösungen, ein Großteil davon hat mit dem Rassenwahn, mit Entrechtung, Vertreibung und Ermordung zu tun.

Ein wichtiges Instrument der Provenienzforschung

In Restitutionsfällen, wo es keine anderen Dokumente gibt, ist die Weltkunst eine wichtige, oft sogar die einzige Quelle, um die Wege von Kunstwerken zu verfolgen. Darum ist die Zeitschrift, die wöchentlich mit bis zu vierzehn Seiten erschien, so wichtig für Provenienzforscher. Ein hilfreiches Instrument ist dabei die Volltextsuche, mit der man die digitalen Ausgaben nach jedem gewünschten Begriff oder Namen durchforsten kann; sogar die Anzeigen werden erfasst. Eine unerschöpfliche Fülle von Informationen aus allen nur denkbaren Bereich der Kunst bietet die Seite „Nachrichten von Überall“. Ziemlich witzig sind zuweilen die Glossen, etwa vom Schriftsteller Kurt Kusenberg unter dem Pseudonym „Simplex“. Noch am 26. Februar 1933, fast vier Wochen nach Hitlers Machtergreifung, berichtet er von einem Maskenball des „nach Berlin emigrierten“ Bauhauses: „Der optische Eindruck mochte befriedigen. Man bemerkte unter den Masken einen Gerhart Hauptmann, drei Hitler und einen täuschen ähnlichen Mies van der Rohe; es kann sich allerdings möglicherweise dabei um den Leiter des Bauhauses in persona gehandelt haben.“ So lässt sich am Computerbildschirm ein ganzes Zeitalter durchwandern, dass uns immer noch sehr betrifft.

Jede gescannte Magazinseite wird gleich am Bildschirm überprüft, Foto: Peter Wolff für WELTKUNST
Jede gescannte Magazinseite wird gleich am Bildschirm überprüft, Foto: Peter Wolff für WELTKUNST

Zudem ergänzt die elektronische Weltkunst jetzt in trefflicher Weise „German Sales“, ein gewaltiges, gerade erst abgeschlossenes Gemeinschaftsprojekt der UB Heidelberg, der Berliner Kunstbibliothek und des Getty Research Institute in Los Angeles. In neunjähriger Arbeit wurden fast 9300 deutschsprachige Auktionskataloge von 1901 bis 1945 in detektivischer Arbeit bibliografiert und in mehr als 50 Institutionen aufgespürt, danach digitalisiert und ausgewertet: 650.000 Seiten online, Getty hat daraus die Daten für 830.000 Kunstwerke gezogen. Es ist ein einzigartiges Instrument für die Provenienzforschung und die Suche nach Raubkunst – genau das, was die Forscher benötigt haben. Insgesamt gab es seit 2011 schon 10,5 Millionen Seitenzugriffe.

Ende und Neubeginn

Die Weltkunst-Redaktion in der Berliner Kurfürstenstraße, die auch einen öffentlichen Lesesaal unterhielt, wurde 1943 ausgebombt und die Arbeit nach Nauen westlich vor der Stadt verlegt. Am 15. September 1944 war dann endgültig Schluss und die Weltkunst verabschiedete sich von ihren Lesern: „Im Zuge der durch den totalen Krieg bedingten Konzentrationsmaßnahmen auf dem Gebiete der Presse stellt unsere Zeitschrift mit dem 30. September 1944 das Erscheinen für die Dauer des Krieges ein. Es werden dabei weitere Kräfte für die Wehrmacht und für die Rüstung frei.“ Im Jahr 1949 fing die Familie Breuer, die das Blatt 1934 von Walter Bondy übernommen hatte, in München wieder neu an. Seither erschien die Weltkunst ununterbrochen. So kann sie auf eine bald hundertjährige Kontinuität zurückblicken, die in der deutschen Presse nur selten anzutreffen ist. Schon wünschen sich Kunsthistoriker, Sammler und viele Martexperten eine Digitalisierung der Nachkriegsbände. Auch für uns in der Redaktion ist das ein Ziel. 

Blick in das Belle- Époque-Treppenhaus der 1905 eröffneten Universitätsbibliothek Heidelberg, Foto: Peter Wolff für WELTKUNST
Blick in das Belle- Époque-Treppenhaus der 1905 eröffneten Universitätsbibliothek Heidelberg, Foto: Peter Wolff für WELTKUNST

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