Kunstwissen

Der Blick des Experten

Florian Knothe, Direktor der University Museum and Art Gallery an der Universität von Hongkong, erklärt eines seiner Lieblingsstücke: eine mingzeitliche Jardinière mit ballspielenden Löwen

 

Von Florian Knothe
26.02.2018

Große Behälter dieser Art wurden während der Ming-Dynastie in den kaiserlichen Öfen in Jingdenzhen gefertigt. Besonders zahlreich wurden sie mit weiten Durchmessern zur Zeit der Jiajing-Regierung (1522-1566) in Auftrag gegeben. Das fehlerfreie Brennen solch aufwendiger Objekte war kompliziert, und immer wieder gingen große Jardinièren, d.h. Blumengefäße, zu Bruch. Ein Schriftsteller der Mingzeit, Wang Shimao, dokumentierte folgenden Augenzeugenbericht (in Kuitian Waicheng): „Während der Jiajing-Epoche haben meine Vorgesetzten eines Tages besonders große Gefäße in Auftrag gegeben; einige hatten einen Umfang von sechs Fuß. Diese Größe kostete viel Ton und Farbe, und nach dem Brennen erhielten wir nur zwei oder drei brauchbare Exemplare aus jedem Schub von zehn Gefäßen. Die Herstellung verschlang Unmengen von Geld, aber keiner wagte sich, auf die Verschwendung hinzuweisen.”

 

Je größer die Gefäße, desto schwieriger der Brennvorgang

Ein offizieller Bericht zu Jingdezhen Keramiken (Jingdezhen taolu) beschreibt die Herausforderungen beim Brennen in ähnlicher Weise: „Je größer die zu brennenden Gefäße, desto schwieriger der Vorgang. Die enormen Größen und feine Qualität verlangten weitaus mehr feinen Ton, und da viele der Tonarten von minderer Qualität waren, konnten nur die besten Sorten für die aufwendige Fabrikation verwendet werden. Trotz der sorgfältigen Vorbereitung fielen zahlreiche Gefäße in sich zusammen oder erlitten andere Schäden beim Brennen, die sie unbrauchbar machten“. Oft konnten die Arbeitsvorgänge aufgrund des Aufwandes nicht endlos oft wiederholt werden. Um den Schaden zu begrenzen, entwarfen die Tonkünstler Pläne, um außergewöhnlich große Objekte in genau berechneten Einzelteilen zu fertigen, die nach dem Brennen sorgfältig zu einem größeren zusammengesetzt wurden. Abgesehen von den Schwierigkeiten mit den Größen und schweren Tonmassen kam es noch regelmäßig zu Brüchen, wenn die Temperaturen der Öfen nicht richtig abgestimmt werden konnten oder die gebrannten Teile zu schnell abkühlten. Bei dekorierten Objekten wurde die Prozedur dann noch dadurch kompliziert, daß das Kobaltblau erst auf den rohen schon gebrannten Ton aufgetragen wird, und die dann folgende Glasur, die durchsichtig ist und sowohl den blau bemalten als auch den weißen Flächen einen einheitlichen Glanz verleiht, wiederum mit hohen Temperaturen in einem zweiten Ofen fixiert wird.  Die hier besprochen Jardinière hat eine Umfang von etwa 210 Zentimetern (6,9 Fuß) und stellt ein besonders imposantes, in einem Stück gefertigtes, Objekt da, das zweimal heiß gebrannt wurde.

Löwen spielen Ball

Die große Jardinière im Besitz der University Museum and Art Gallery an der Universität von Hongkong ist mit ballspielenden Löwen dekoriert.  Die sechs Schriftzeichen im oberen Bereich der bemalten und glasierten Außenwand geben Hinweise zur Datierung (wörtlich: zur Jianjing Regierung der Ming Dynastie hergestellt), während die traditionelle chinesische Bemalung dem beeindruckenden Gefäß einen ganz besonderen Charakter verleihen. Unterhalb einer klassischen Bordüre mit stilisierten Lotusblüten zeigt der kräftig aufgetragene blaue Dekor zwei Paare spielender Löwen. Sie haben kräftige Pfoten, leuchtende Augen und stecken voller Energie. Die Bälle, mit denen sie spielen, sind von wirbelnden Bändern umgeben, die in Wolkengebilden münden. Die Innenseite des Gefäßes wurde nicht bemalt, denn sie ist bei einer benutzten Jardinière nicht einsehbar. Aufgrund des hohen Gewichts des 82 Zentimeter hohen Objekts ist der Datumsschriftzug nicht auf der Unterseite angebracht, sondern am oberen Rand zu lesen.

Symbole für Nachwuchs und Herrschaft

Im Zusammenhang chinesischer Ikonographie weist die Komposition der vorliegenden Malerei mit vier Löwen auf vier Generationen hin, und somit auf eine Familie mit gesundem Nachwuchs sowie sozialer und wirtschaftlicher Beständigkeit. Die Symbolik der chinesischen Löwen geht ursprünglich auf indische Vorbilder zurück, die mit dem Buddhismus in China bekannt wurden und schon seit der Han Dynastie oft die Tore zu kaiserlichen Palästen und Grabstätten oder die Türen von Häusern hoher Regierungsbeamter bewachten. Seit dieser Zeit flankieren zwei einzelne Löwen einen Eingang und demonstrieren als aufmerksame Wachposten mystische Kraft. Das Spiel mit dem Ball, der immer von der tatkräftigen Pfote kontrolliert wird, ist grundsätzlich den männlichen Löwen zueigen, während weibliche Tiere traditionellerweise Löwenwelpen tragen und beschützen. Die weibliche Rolle beschwört die Mutter als Beschützerin der Familie, während das Vatertier spielend Einfluss und Kontrolle über die Weltkugel einnimmt, die hier – verniedlicht im Gegensatz zum Hüter – winzig in der Löwenpfote erscheint.

Glück für alle Ewigkeit

Im Zusammenhang mit der männlichen Familienlinie und –hierarchie „spielen“ die auf der Jardinière abgebildeten Löwen ihre Rolle als Oberhaupt der eigenen Sippe. Diese Symbolik ist bei mächtigen Familien vielleicht mit einem landesweiten Einfluss im Reich der Mitte gleichzusetzen. Hier geht die Beschützertätigkeit, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie, sicher mit der ursprünglichen Fabelgestalt ähnlichen, glückbringenden ruìshī (瑞獅) und fúshī (福獅) Löwen einher, stellt aber den Familienbezug in den Vordergrund. Diese Annahme kann dadurch bestätigt werden, dass die Bälle regelmäßig mit einem geometrischen Muster dekoriert sind, welches dem chinesischen Schriftzeichen gleicht, das die „Blume des Lebens“ symbolisiert. Die Bälle, mit denen die Löwen auf der Jardinière spielen, sind verhältnismäßig groß und flächig mit blauer Farbe ausgemalt. Sie zeigen ein Beispiel, bei dem das geometrische Muster in der Gestaltung der wirbelnden Bänder um jeden Ball herum gezeichnet ist. Wie bei den immer noch im Gebrauch befindlichen traditionellen Glücksknoten, die zum chinesischen Neujahr zur Hauptdekoration gehören, ist hier das Schriftzeichen für Glück – fú (福) – und Langlebigkeit – shòu (壽) – stilisiert, entzerrt und raumfüllend auf die Oberfläche des Porzellangefäßes aufgetragen. Dass diese Symbole in Wolken übergehen, scheint mehr als nur ein Füllelement zu sein und hebt – mythologisch – die Löwenfamilie und ihre Glücksmetapher in den Himmel empor. Wenn man die gesamte Komposition nun rund um die zylindrische Außenfläche betrachtet und entschlüsselt, werden die vier Löwen regelmäßig von den symbolhaften Bällen verbunden, deren vereinte Bedeutung zu einem endlosen, weit über die vier Generationen hinausreichenden Familiengeschlecht weist, das sich, wenn man kontinuierlich der Rundung der Jardinière folgt, schier endlos verlängert.

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