Kunstwissen

Anahita Sadighi: Der Fund meines Lebens

Die Berliner Kunsthändlerin Anahita Sadighi entdeckte ein chinesisches Totengewand aus Jade. Uns verriet sie die Geschichte des Stücks

Von Kunst und Auktionen Redaktion
20.11.2017

Anahita Sadighi, was war Ihre bislang überraschendste Entdeckung?

Eine spannende Frage! Als Kunsthändlerin und Kunsthistorikerin kommt man oft in Berührung mit interessanten und überraschenden Funden aus vergangener Zeit. Die für mich bislang bedeutendste Entdeckung war ein chinesisches Totengewand aus Jade der westlichen Han-Dynastie (206 v. Chr. – 8 n. Chr.).

Was macht den Fund so wertvoll?

Solch ein Artefakt ist äußerst selten, weltweit gibt es nur wenig vergleichbare Stücke, wie das des Nationalmuseums in Peking und das des Xuzhou Museums. Zur Zeit kann man ein Exemplar in der Ausstellung „China und Ägypten. Wiegen der Welt“ im Neuen Museum in Berlin bewundern (Leihgabe des Xuzhou Museums).

Welchen historischen / materiellen Wert besitzt das Stück?

Jadegewänder bestehen aus zahlreichen feinen rechteckigen Jade-Plättchen, die mittel beweglicher Silber- Gold- oder Seidenösen durch kleine Öffnungen verbunden werden.
Ähnlich wie die Ägypter glaubten auch die alten Chinesen an ein Weiterleben nach dem Tod. Als Stein der Unsterblichkeit, dem man heilende Kraft nachsagt, diente Jade dazu, die Körper der Verstorbenen für das Jenseits vorzubereiten und zu konservieren. Die Anfertigung war äußerst zeitaufwendig und natürlich auch kostspielig und durfte nur von der kaiserlichen Elite finanziert werden.
Jade hatte als seltener Edelstein künstlerische Bedeutung und darüber hinaus galt der Stein als mächtiges Symbol mit ideellem Wert in Religion, Literatur, Philosophie und sogar Politik. Für mich stellt dieses Fundstück ein faszinierendes Kultobjekt dar, welches die magischen Vorstellungen von Diesseits und Jenseits verkörpert.

Wo und wie haben Sie das Objekt entdeckt?

Dieses Objekt habe ich zum ersten Mal als Kind im Alter von ungefähr 6 Jahren gesehen. Damals war meine Familie Gast auf dem Weingut von dem bekannten Sammler und Architekten Ignazio Vok in Italien. Er zeigte auch dieses Stück aus seinen Sammlungen meinem Vater, der sich besonders für Ostasiatische Kunst interessierte. Ich durfte dabei sein und erinnere mich gut, dass mir das Gewand unheimlich vorkam. Gleichzeitig jedoch war ich fasziniert von dieser großen grün-schimmernden Puppe, über die mein Vater mir später noch spannende Geschichten zu erzählen wusste.    

War es ein absoluter Zufallsfund oder haben Sie konkrete Indizien verfolgt?

Seinerzeit hat mein Vater dieses Objekt erworben. Durch die jahrzehntelange Freundschaft unserer Familien ergab sich das gegenseitige Vertrauen und die Möglichkeit dieses Kunstwerk in unsere Sammlung aufzunehmen. 

Wie lange war der Schatz verschollen?

Immerhin hat es alle Wirren und Kriege über 2000 Jahre überlebt!

Wissen Sie, wie er an den Fundort gelangt ist?

Nein, darüber kann man heute nur spekulieren. Ich nehme an, es gelang um die Jahrhundertwende vor dem Ersten Weltkrieg auf diplomatischem Wege nach Europa, war vielleicht als Gastgeschenk gedacht.

Können Sie Angaben zur Provenienz machen?

Dieses Objekt wurde von Ignazio Voks Vater nach dem Zweiten Weltkrieg Jahren in Europa erworben und nach seinem Tod weiter an seinen Sohn vererbt.

Was ist mit dem Stück danach passiert?

Das Stück blieb im Familienbesitz.

Und wo befindet es sich heute?

Das Objekt befindet sich nun in unserem Familienbesitz.

Anahita Sadighi: „Mein Interesse an asiatischer Kunst und archäologischen Ausgrabungen wurde durch diese Entdeckung geweckt und nachhaltig geprägt.“

Hat sich durch die Entdeckung etwas für Sie verändert?

Mein Interesse an asiatischer Kunst und archäologischen Ausgrabungen wurde durch diese Entdeckung geweckt und nachhaltig geprägt. Es sind bedeutungsvolle Ereignisse und Begegnungen solcher Art, welche neben anderen Faktoren die Grundsteine und die Voraussetzungen für meine Tätigkeit als Kunsthändlerin geschaffen haben.

Was würden Sie gerne einmal finden?

Da fällt mir viel ein! Zum Beispiel der Schatz von Dareios III (381-330 v. Chr.) – dem letzten großen Perserkönig des Achämenidenreichs. Hinter diesem legendären Schatz war bereits Alexander der Große hinterher, hahaha.

Suchen Sie aktuell etwas Bestimmtes?

Momentan bin ich auf der Suche nach außergewöhnlichen glasierten Keramiken aus der Song-Epoche (960-1279).

Wie wird man überhaupt zur Spürnase?

Als Kind bin ich bereits früh mit der Welt des kreativen Schaffens in Berührung gekommen. Mein Vater H. S. Neiriz – Künstler, Kunsthistoriker und Kunsthändler – bewahrte die besten Objekte seiner Sammlung immer Zuhause. Bei uns sah es also aus wie im Museum (auch heute noch…). Ein idealer Spielplatz für Kinder mit ausgeprägter Neugier und wilder Fantasie. Besonders für die archäologischen Sachen habe ich mich interessiert, habe mit diesen gespielt und sie oft gemalt. Dementsprechend war Indiana Jones einer meiner Helden. Ich hatte das Glück mit vielen besonderen Fundstücken aufzuwachsen. Mit der Zeit verliebt man sich immer mehr in diese Dinge und entwickelt schließlich ein Gefühl für die charakteristischen Merkmale und Geheimnisse von verschiedenen Kunstwerken.

Was zeichnet eine Spürnase aus?

Intuition, Neugier, eine schnelle Auffassungsgabe und Selbstbewusstsein! Unabdingbar ist die mit der Tätigkeit einhergehende Recherchearbeit. Abgerundet werden diese Talente durch gut ausgeprägte und geschulte Sinnesempfindungen (Sehen, Fühlen, Riechen, Tasten), welche unverzichtbar sind für die wichtige Authentizitäts-Begutachtung von echten Kunstwerken.

Kann man zum Entdecker werden oder muss man ein Entdecker sein?

Natürlich kann man zum Entdecker werden. Als nicht zu unterschätzender Faktoren für Erfolg seien jedoch vor allem auch Glück und Zufall genannt. Selbst Amerika wurde durch Zufall entdeckt! Hinzu kommen empirische Erfahrungen, welche die Erfolgschancen des Entdeckers bestimmen. Mit der Zeit bekommt man letztendlich ein Gefühl dafür, welchen Anzeichen und Geschichten es nachzugehen sich lohnt, um Schätze zu finden. Dabei spielen Geduld, Mut und Initiative eine wichtige Rolle.

Service

Informationen

Seit 2015 handelt Anahita Sadighi in ihrer Berliner Galerie „Anahita – Arts of Asia“ mit antiker Kunst des Vorderen Orients und des Asiatischen Kulturraums. Im Rahmen des Ausstellungsprogramms lädt sie regelmäßig zu Literaturabenden ein.

Dieser Beitrag erschien in

Kunst und Auktionen Nr. 19/2017

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