Kunstwissen

Karneval der Paradiesvögel

Ein neues Buch aus dem Distanz Verlag zeigt die jüngsten Werke von Olaf Hajek – wir haben den Künstler in seinem Berliner Atelier besucht

Von Lisa Zeitz
14.08.2017

Dürfen wir hereinkommen? Hinter dem Schaufenster einer kleinen Straße in Berlins Mitte findet sich ein Zauberreich. Wenn man Glück hat, kann man hinter der Reflektion der Glasscheibe einen Blick auf Olaf Hajeks Zeichentisch erhaschen, auf dem Becher mit sauberen Pinseln und eine Schachtel mit Pastellkreiden zu sehen sind, eine Palette mit dicken Tupfern glänzender Acrylfarbe und ein Glas voll von trübem gelbem Wasser mit benutzten Pinseln. Vielleicht sieht man sogar, wie er sich mit einem Stift in der Hand über eine Illustration beugt, oder kritisch auf seine Staffelei schaut, auf der eine neue Bildtafel am Entstehen ist.

Dürfen wir hereinkommen? Eine Mozartsonate läuft im Atelier, in dem Olaf Hajek und der Illustrator Martin Haake seit Jahren zusammen arbeiten, jeder an seinen eigenen Projekten. Auf, vor und neben einem Bücherregal stehen Hajeks neueste Werke. Sie sind wie Märchen, wie Geschichten, die sich entwickeln, während der Betrachter sich in die Kompositionen vertieft. Wer ist die Dame, die dem Besucher zwischen großen Palmblättern ihren verführerischen schwarzen Rücken präsentiert? Auf seinen Bildern quellen aus üppigen Frisuren schöner Frauen Früchte, Schmetterlinge und Vögel, da strömen aus den Vollbärten weiser Männer ganze Wasserfälle. Alles scheint in seinen Bildwelten möglich zu sein, da könnten Kinder mit Engerlingen tanzen, tätowierte Zirkusfamilien Elefanten zähmen, Schlangen ganze Bäume verschlingen, oder Tränen Vulkane löschen.

Das Vokabular seiner Motive stammt aus verschiedenen Kontinenten. Die Vorliebe für klare en face- oder Profildarstellungen kennt man aus dem alten Ägypten ebenso wie von russischen Ikonen. Die wenigen, sicheren Konturen der Figuren mit ihrer eleganten Linienführung und ihrem spielerisch naiven Charme erinnern manchmal an die selbstgemalten Friseurschilder in Afrika, wie sie wohl auf den Straßen von Kinshasa oder Nairobi hängen. Leidenschaft und übermenschliche Fähigkeiten traut man den Protagonisten zu wie den Schauspielern einer Bollywood-Produktion. Indische Miniaturen sind für ihn „das Schönste, was es gibt – einerseits durch das Weglassen der Perspektive, andererseits durch die Detailbesessenheit.“

Die Details auf Hajeks Bildern sind atemberaubend. Die Tiere und Pflanzen scheinen botanischen und zoologischen Kompendien entflogen, die von frühen Expeditionen nach Südamerika oder Südostasien stammen. „Botanische Illustrationen sehe ich nicht rein als wissenschaftliche Darstellung,” sagt er, „sondern als Inszenierung der Natur: Alltägliches wird zu Bühnenhaftem erhoben. Neben einer Blume, dem eigentlichen Motiv einer Illustration, werden dort Geschichten erzählt, zum Beispiel Käfer, die miteinander kämpfen. Dieser Realismus gepaart mit der Ästhetik alten Papiers haben es mir angetan.” 

Das Florale spielt in vielen von Olaf Hajeks Bildern eine Rolle. Dabei ist die Blume nicht nur dekorativ, sondern geradezu symbolschwanger: Er evoziert einen Duft, der Genuss ebenso bedeuten könnte wie Gefahr. Manche seiner Blumen sind durchaus giftig. Vanitas – Wie in altmeisterlichen Stillleben sind die Blumen aufgrund ihrer Schönheit und ihres kurzen Lebens Symbole der Vergänglichkeit. In Olaf Hajek Bildern sind sie außerdem mehr oder weniger eindeutige Anspielungen auf das weibliche Geschlecht – mit besonders prononciertem Blütenstempel auch auf das männliche – und auf Empfängnis, Geburt und den Tod. Die Pflanzen können absurd bedrohliche Formen annehmen, sich verzweigen und ein Dornenlabyrinth bilden, aber mit ihren Wurzeln stehen sie in enger Verbindung mit Mutter Erde. 

Wer sich mit dem Künstler unterhält, merkt schnell, dass die Weltläufigkeit seiner Motive nicht nur aus Büchern stammt. Er kennt sich in Amsterdam und New York ebenso aus wie in Kapstadt.„In Südafrika auszustellen war eine besondere Herausforderung. Ich lasse mich auch von afrikanischer Malerei und Skulptur beeinflussen und mixe ohne schlechtes Gewissen alles zusammen.” Besonders faszinieren ihn in Afrika die Ausdrucksstärke des Einfachen, der Verzicht auf Perspektive, die Materialität und die Farben. 

Die Holz- oder Spantafeln, die er in seiner Kunst verwendet, grundiert Hajek zuerst mit schwarzer Acrylfarbe. „Das dichtet kompett ab.” Dann arbeitet er sich Schicht um Schicht zum Vordergrund vor. Wichtig ist ihm dabei, eine „Patina” zu schaffen, wie er es nennt. Seit kurzem verwendet er Ölkreiden auf Acryl, was einen Effekt hat wie die Oberfläche eines alten Freskos. Er schmirgelt die Ölkreide mit Schleifpapier ab, die Farben ergeben einen schimmernden, durchscheinenden, mehrschichtigen Effekt. Wenn er mit sehr verdünnter Farbe darübergeht, perlt das Wasser auf den mit Ölkreide bearbeiteten Stellen ab uns sammelt sich da, wo nur Acryl zu Grunde liegt. So wird aufgetragen, abgeschliffen und wieder Farbe aufgetragen. 

Meist haben seine Flächen nicht nur eine Farbe. Das gilt besonders da, wo er seine jüngst entwickelte Mischtechnik anwendet. Bei ganz naher Betrachtung ist zu erkennen, wie die unterschiedlichen Farben nebeneinanderstehen, zum Beispiel gelbe Pigmente der Ölkreide und fliederfarbene Flecken Acryl. Dieser oszillierende Eindruck verleiht dem Ganzen quasi eine historische Komponente, als ob schon viel Zeit vergangen ist, die sich auf die Oberflächen ausgewirkt habe, wie wenn eine Wand im Lauf der Zeiten eben immer wieder einmal in einer anderen Farbe gestrichen wurde oder mehrere Schichten Graffitti übereinanderliegen. Oder ist es ein kostbarer Seidendamassttoff, der in verschiedenen Lichtverhältnissen unterschiedlich schimmert?

Olaf Hajek beherrscht eine vielfaeltige Palette. Seine dunklen Kompositionen sind stimmungsvoll und melancholisch, während er auch bunte Farben meisterhaft zum Klingen bringt, so dass sie eine überbordende Lebensfreude ausdrücken. Ob dunkel oder hell, schwarz oder weiß, leuchtend bunt oder schummerig gedeckt, die Bilder sind immer Verheißungen, oft entführen sie den Betrachter in exotische Phantasien. „Meine Palette war früher dunkler, ich habe mich erst nach und nach an starke Farben getraut. Mit Pastell fluoresziert es, wie bei einer Überblendung. Farben haben eine Vielfalt, die ich nicht einschränken will.” Er denkt kurz nach:„Ich bin lichtabhängig. Deshalb ist Südafrika so ein wichtiger Ort für mich. Das Licht hat dort eine faszinierende Klarheit. Man hat immer das Gefühl, es liege noch was dahinter.” In seiner Malerei, erklärt er, sein Türkis für ihn besonders wichtig. „Das brauche ich als Element, zum Beispiel für Wasser.”

Das Thema Wasser ist auf vielen seiner Kompositionen zu finden, sei es in Tränen, Flüssen, Regen, Wasserfällen oder dem Meer: es tropft, wird aufgehalten, fließt weiter, schwillt an, strömt, zerstört, versickert – ein Lebenskreislauf wie in der Natur. Wasserläufe, Blutgefäße, Adern auf den Flügeln der Schmetterlinge, Wurzelballen, die Struktur einer Feder, Haare, all diese Linien können ineinander übergehen und beschwören die Zusammenhänge der Natur, ganz und gar nicht wissenschaftlich, sondern auf surreale Weise in seiner ganz persönlichen Fabelwelt, sie folgen der Logik eines Träumenden.

Das ist eine starke Eigenschaft von Olaf Hajeks Bildern: Sie evozieren Luxus, Opulenz und Schönheit, aber nicht basierend auf materiellem Reichtum, sondern auf dem Reichtum der Natur, und auf den Schätzen, die er aus der Bildergeschichte der Menschheit und allen ihren Kontinenten schöpft. Er ist ein Paradiesvogel der Malerei. 

Abbildung:

Olaf Hajek, „Beute“, Acryl/Lwd., 2016, 100 x 80 cm (Foto: Anna Jill Lüpertz Gallery)

Buch

„Precious“, Hg. Katharine und Henrik Wobbe. Mit Texten von Philipp Demandt, Oliver Hilmes, Ashleigh McLean, Taiye Selasi, Lisa Zeitz und Anna Jill Lüpertz. 216 S., 42 Euro, DISTANZ Verlag

Ausstellung

Au Marché – Olaf Hajek, 5. – 30. September 2017

Anna Jill Lüpertz Gallery Berlin
Reinhardstr. 19
10117 Berlin

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