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Hans Ulrich Obrist in Lissabon

Das neu eröffnete Museum MAAT in Lissabon, das wunderschön am Tejo liegt, eine quirlige Kunstszene vor Ort und eine Pynchon-Zeitmaschine

Von Christoph Amend
26.10.2016

Was haben Sie gesehen, Herr Obrist?
Ich war in Lissabon, zur Neueröffnung des Museums MAAT, das von der Stiftung des Energiekonzerns EDP finanziert wird. Dessen CEO, António Mexia, hat als Direktor nicht nur Pedro Gadanho vom MoMA ­geholt, einen portugiesischen Kurator – er ist auch ein Förderer zeitgenössischer Architektur. Die Konzernzentrale ist fantastisch, Aires Mateus haben sie gebaut, die ja auf der diesjährigen Architekturbiennale in Venedig gefeiert wurden.

Was ist das Besondere an dem Bau?
Er ist ein Gesamtkunstwerk, vielschichtig und lichtdurchflutet. EDP hat auch Designer wie Jasper Morrison eingeladen, weitere Büros und Restaurants zu gestalten.

Und das Museum?
Das MAAT ist die erste Institution in Lissabon, die Kunst, Architektur, Design und Technologie miteinander verbindet. Amanda Levete hat dieses interessante ­Gebäude entworfen, mit weißen Keramiken, die sich im Licht stetig verändern. Da sieht man, warum das einzigartige Licht Portugals immer wieder Künstler und Schriftsteller angezogen hat – wie man ja überhaupt sagen muss, dass derzeit viele Künstler nach Portugal gehen. Das liegt natürlich auch an den günstigen Mieten. Das Museum wird also im richtigen Moment eröffnet.

Warum?
Es ist ein Kristallisationspunkt im bekannten Stadtteil Belém, direkt am Fluss. Die Szenerie erinnert ein wenig an San Francisco, durch die große Brücke. Die Terrasse des Museums ist auf dem Dach, man hat dort oben einen unglaublichen Blick auf die Stadt. Und man sieht endlich über den Fluss, was bisher kaum möglich war. Man überblickt erstmals das gesamte Potenzial Lissabons. Als ich auf dem Dach stand, habe ich mich daran erinnert, wie ich als Schüler, mit 17 oder 18, dem Architekten Jacques Herzog begegnet bin …

… der einen Hälfte des berühmten Büros Herzog & de Meuron.
Und er sagte mir: „Ein gutes Museum ist immer auch ein Stück Urbanismus.“ Das war selten so wahr wie im Falle des MAAT und Lissabon.

Wie haben Sie die Kunstszene dort erlebt?
Einerseits ziehen viele junge europä­ische Künstler dorthin, andererseits sind aus historischen Gründen viele Künstler aus Afrika und Südamerika da. Der große venezolanische Künstler Juan Araujo lebt jetzt auch in Lissabon. Man spürt, wie global die Szene dort ist. Mir ist zudem eine Begegnung mit dem leider früh verstorbenen, italienischen Schriftsteller Antonio Tabucchi wieder eingefallen, der mir mal sagte: „Man kann nirgends besser schreiben als in Portugal.“ Wie ich überhaupt sagen muss: Ich hatte richtig Lust, eine Wohnung zu mieten, Lissabon wäre auch für mich ein super Ort zum Schreiben. Im November fahre ich gleich wieder nach Portugal, zu einem Vortrag nach Porto.

Die erste Ausstellung im MAAT ist von ­Dominique Gonzalez-Foerster, einer langjährigen Wegbegleiterin von Ihnen. Sie trägt den Titel „Pynchon Park“.
Dominique ist schon lange besessen von dem Schriftsteller Thomas Pynchon, der sich ja vollkommen aus der Öffentlichkeit ­zurückgezogen hat. Sie hat auf einer großen Fläche eine Art Zeitmaschine geschaffen, mit der man die 24 Stunden eines Tages innerhalb von 24 Minuten erleben kann. Überall liegen überdimensionale Objekte herum, die wie aufgeschlagene Bücher von Pynchon aussehen, mit dem Buchrücken nach oben. Man kann diese Bücher wie Wohnobjekte benutzen und dabei die Welt um sich herum vergessen.

Und was beschäftigt Sie derzeit außerhalb der Kunst?
Ich lese gerade „Der Fluch des Geldes“ des Harvard-Ökonomen Kenneth S. Rogoff, der dafür plädiert, das Bargeld abzuschaffen, weil es nur Gewalt und Elend produziere. Spannender Gedanke!

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