Chicks on Speed

Wir sind die Kunst

Vor fast 30 Jahren gründete sich das Kollektiv Chicks on Speed in München. Die Villa Stuck zeigt nun das anarchische Werk und kehrt nach der Sanierung mit einem Paukenschlag zurück

Von Christiane Meixner
06.11.2025
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 247

Der Darm steht ihr gut. Ein rosa Strickschlauch windet sich um Hals und Kopf einer Frau. Sie feilt sich noch schnell die Nägel, bevor es in den Club Carnivore geht. Hier unterhält man sich im Video „MEAT&drag“ beim Poledance eines aufgespießten Hähnchens, ein singendes Quartett verspeist Wurstwaren. Dazwischen blitzt ein kurzer Clip auf, in dem ein Mann im Supermarkt Fleisch aus dem Kühlregal holt. Dabei sieht er selbst wie ein Kotelett aus – sein hautenger Jumpsuit ist blutrot und weiß geädert.

Willkommen im Kosmos von Chicks on Speed! Das Tempo in ihrer digital gepimpten Welt ist hoch, Melissa Logan und Alex Murray-Leslie stehen quasi ständig unter Strom – und das seit knapp dreißig Jahren. 2027 feiert das Musik- und Kunstkollektiv sein Jubiläum, diesen Oktober erscheint ihr sechstes Album „HEARandNOWtopia“ im Plattenlabel Grönland. Zehn Songs, die Innereien und künstliches Fleisch, Jane Fondas Aerobic-Übungen, Kulturkritik und Klimakrise discohaft miteinander verwirbeln. Das wirkt ziemlich schräg, ist aber gleichzeitig auch faszinierend.

Tänzerin Alina Belyagina trägt ein Kostüm für Chicks on Speed.
Tänzerin Alina Belyagina trägt ein Kostüm für Chicks on Speed. © Wolf-Dieter Grabner, 2025/Courtesy the artists and Groenland Records/VG Bild-Kunst, Bonn 2025

Dabei waren Chicks on Speed, kurz CoS, ursprünglich ein Produkt der Unzufriedenheit. 1996 studierten Melissa Logan und Alex Murray-Leslie in München. Logan kam aus New York, hatte dort schon ein Kunststudium begonnen, Murray-Leslie, Jahrgang 1970, stammt aus Australien. Bis zum Diplom blieben sie allerdings nicht, die Idee der Akademie, an der man sich für den Zugang zur Kunst bewerben muss, erschien ihnen zunehmend elitär und falsch. Kollaboratives, das beide damals interessierte, war dort verpönt. In einem Interview erinnerte sich Melissa Logan 2016 an einen Professor, der ihr nahelegte, stur minimale Farbfelder zu malen, um daraus eine erfolgreiche Marke zu machen.

Als Konsequenz verlagerten Logan und Murray-Leslie ihre Aktivitäten in die inoffizielle Seppi Bar – ein interaktives Kunstprojekt nach dem Vorbild des Cabaret Voltaire in Zürich, wo sich ab 1916 Dada etabliert hatte. So ähnlich stellte sich das Duo seine Kunst vor: gemeinsam Neues kreieren, alle Gattungen sprengen, provozieren und dabei queer-feministisch, ironisch wie auch kritisch-subversiv agieren. 1997 kam die Kostümdesignerin Kiki Moorse dazu, gemeinsam gründete man Chicks on Speed als multimediale Performance-Gruppe. Nach mehreren Audiokassetten und Singles erschien im Jahr 2000 ihr Debütalbum „Chicks on Speed Will Save Us all“, das sämtliche bis dahin veröffentlichten Songs enthielt: Electroclash im Stil der Neunzigerjahre mit Coverversionen von Bands wie den B 52s oder The Normal. Natürlich ordentlich zerlegt, die Texte dekonstruiert, der musikalische Ursprung manchmal kaum noch zu erkennen.

Die Wüstenszene stammt aus dem Kurzfilm „Golden Gang“ von 2014.
Die Wüstenszene stammt aus dem Kurzfilm „Golden Gang“ von 2014. © Chicks on Speed. Photo by Steve Alyian (2014 )/Courtesy the artists and Groenland Records/VG Bild-Kunst, Bonn 2025

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