Charlotte Perriand

Eine glückliche Frau

Die Kunstmuseen Krefeld widmen der visionären Gestalterin Charlotte Perriand eine große Retrospektive. Endlich erhält sie so auch in Deutschland die Aufmerksamkeit, die sie verdient

Von Valerie Präkelt
28.10.2025
/ Erschienen in WELTKUNST NR. 246

Charlotte Perriand hat sich nie dafür interessiert, berühmt zu werden. Sie wollte vor allem eins: in Ruhe arbeiten. Das große Ego war nicht ihre Sache, stattdessen entwarf sie reduzierte Möbel und Interieurs, bei denen die Intention das Wichtigste war, erst dann kam die Form: Perriand schuf Werke für die Gesellschaft. Zu Ruhm hat es die Innenarchitektin, Designerin und Architektin dennoch gebracht, zumindest in ihrer Heimat Frankreich, wo man ihr 1996 zu Lebzeiten eine große Ausstellung im Centre Pompidou widmete. Zehn Jahre später, nach dem Tod dieser Jahrhundertgestalterin, folgte am selben Ort eine noch größere Schau.

Hierzulande hingegen kennen Designliebhaber heute zwar ihre Stahlrohrmöbel, aber nur selten die unkonventionelle Lebensgeschichte einer Frau, deren politische Überzeugung ihre Arbeit so maßgeblich beeinflusste. Nun widmen die Krefelder Museen ihr die erste Retrospektive in Deutschland. Sie eröffnet im November und wandert danach ins Museum der Moderne in Salzburg und in die Fundació Joan Miró in Barcelona. „Charlotte Perriand stand lange im Schatten von Le Corbusier“, erzählt Museumsdirektorin Katia Baudin, die das Leitmotiv des Wohnens in den Fokus der Schau rückt. „Das ist ein Schicksal, das vielen Frauen widerfahren ist, die mit Männern zusammengearbeitet haben“, ergänzt sie. Als Mitarbeiterin Le Corbusiers hatte Perriand übrigens schon 1931 einen Auftritt in Deutschland. Auf der Internationalen Raumausstellung in Köln präsentierte sie ein Arbeitszimmer mit Glas, Metall
und Stahlrohrmöbeln.

Esszimmer von Charlotte Perriand
Esszimmer auf einer Messe 1928. © Jean Collas/Archives Charlotte Perriand/VG Bild-Kunst, Bonn, 2025

Die Kunstmuseen Krefeld zeigen Perriands Werk an drei Standorten: im Kaiser Wilhelm Museum und in den Häusern Lange und Esters, zwei einst als Wohnhäuser konzipierte Bauten Mies van der Rohes, der zeitgleich wie Le Corbusier beim Werkbund-Mitgründer Peter Behrens arbeitete. Mies baute die Häuser 1927, dem Jahr, in dem Le Corbusier Perriand als Assistentin einstellte, da war sie gerade mal 24. Ob sie und Mies sich je begegneten, ist unklar, beide aber prägten mit ihrer klaren Formsprache das Neue Bauen der Moderne, das Architektur und Interior Design bis heute beeinflusst. Im Laufe ihrer langen Karriere entwarf Perriand modulare und ergonomische Möbel, plante flexible Wohnkonzepte, konzipierte Notunterkünfte für Geflüchtete und Tiny Houses für die ärmere Stadtbevölkerung mit Landlust. „Die Themen, die sie anspricht, erscheinen uns heute immer noch aktuell“, sagt Katia Baudin. „Es geht um fehlenden Wohnraum, um die Umwelt, um Nachhaltigkeit.“

Tatsächlich ist Perriands Gesamtwerk relevant für unsere Gegenwart. Doch wird ihr auch zugehört? Ihre Möbel, einst erdacht als funktionale und preisgünstige Objekte, sind längst Luxusgüter, die zu hohen Preisen in Galerien und auf dem Auktionsmarkt gehandelt werden. Ihre Konzepte für Minimalbehausungen oder ihre enorme Wertschätzung für das Kunsthandwerk hingegen sind weitgehend vergessen. Charlotte Perriand teilt dieses Schicksal mit vielen Gestaltern ihrer Zeit, etwa mit Jean Prouvé, die als Idealisten und Utopisten auf dem Papier eine vermeintlich bessere Welt planten (und am Ende für die arbeiteten, die Geld mitbrachten). „Wenn man an Prouvé und Perriand denkt, dann kann man sich gut vorstellen, dass sie sich im Grab umdrehen würden. Beide wollten für die Massen gestalten und erschwingliches Design produzieren – doch heute werden ihre Objekte für Millionen verkauft“, meint
Museumsdirektorin Baudin.

Perriands halbbogenförmiger, dreibeiniger Schreibtisch „En Forme“, formschön für die Ewigkeit, erzielte 2021 bei Christie’s mehr als 710.000 Euro brutto, Neuauflagen der Serie produziert Cassina. Louis Vuitton richtete Perriand 2019 eine Schau in Paris aus und brachte jüngst Kissen und Decken von ihr auf den Markt. Kostenpunkt: ab 650 Euro. Und im Rahmen des diesjährigen Salone del Mobile in Mailand realisierte Saint Laurent vier ihrer Prototypen (darunter ein übergroßes Sofa, das sie für den japanischen Botschafter in Paris plante). War es das, was sich die Kommunistin und Feministin, die von Skiresorts ohne Autos träumte, Obdachlosenunterkünfte und Heime für jugendliche Mütter entwarf, unter Gestaltung für alle vorgestellt hatte?

Geboren wurde Charlotte Perriand 1903 in Paris. Ihre Mutter, eine Schneiderin, legte Wert auf finanzielle Unabhängigkeit für ihre Tochter. Früh zeigte sich Charlottes künstlerisches Talent, sie besuchte die Kunstgewerbeschule, wo sie Unterricht in Design, Dekoration, Inneneinrichtung und Baukunst erhielt. 1927 entwarf sie für den Salon d’Automne – den legendären Pariser Herbstsalon, in dem schon Matisse oder Braque ausgestellt hatten – eine Dachgeschoss-Bar auspoliertem Aluminium, die ihr ein Karosseriebauer anfertigte. Die Kritiker waren begeistert von „Le Bar sous le toit“, die als radikaler Gegenentwurf zum bürgerlichen Salon bewies, dass sich eine puristische Formsprache mit Gastlichkeit verträgt.
Es war die Arbeit einer modernen Frau. Das erkannte auch Le Corbusier, der in seinem Studio junge Talente aus der ganzen Welt um sich scharte. Man kann Charlotte Perriands Geschichte nicht ohne ihn erzählen, auch wenn man ihr retrospektiv mehr Scheinwerferlicht für sich selbst gewünscht hätte. Als Perriand sich bei dem großen Architekten bewarb, lehnte er sie zunächst ab: „Wir besticken hier keine Kissen“, sagte Charles-Édouard Jeanneret-Gris herablassend, der sich den Namen seiner Urgroßmutter Lecorbésier, leicht abgewandelt als Pseudonym lieh. Drei Tage später stellte er Perriand ein. Schnell war sie für Möbeldesign und Inneneinrichtung verantwortlich. „Ich glaube, dass Le Corbusier mich aufnahm, weil er wusste, dass ich Ideen in die Tat umsetzen konnte“, sagte sie 1984 in einem Interview. Sie konnte anpacken; ein Vorteil, weil Le Corbusier keine Zeit für das gehabt habe, was er „le blah blah blah“ nannte.

Aus dem Duo Le Corbusier und dessen Cousin Pierre Jeanneret, mit dem er 1922 ein Architekturbüro gegründet hatte, wurde ein Trio. Ihre gemeinsamen Möbel sind die Archetypen der Moderne, der große Ledersessel mit Metallrahmen und die mit Gurt bespannte Stahlrahmenliege visionär. „Man weiß heute, dass der Fauteuil grand confort und die Chaise longue basculante, die als Le-Corbusier-Möbel so oft nachgeahmt und reproduziert worden sind, zwar von ihm konzipiert, aber von Charlotte Perriand gezeichnet und realisiert wurden. Das beweisen die von Charlotte hinterlassenen Dokumente“, bemerkt Laure Adler in ihrem Buch „Charlotte Perriand. Ihr Leben als moderne und unabhängige Frau“. Die Patentanmeldung trug anfangs die Namen der Erfinder in der Reihenfolge der Beteiligung: Charlotte Perriand, Le Corbusier, Pierre Jeanneret. Dann wird doch alphabetisch sortiert. „Sein Beitrag zur Chaiselongue von 1929 bestand aus Skizzen, die die Position einer Person zeigten, die mit den Füßen in der Luft liegt – die entspannte Haltung, die man einnimmt, wenn man die Füße hochlegt, als ob man sich an den Stamm eines Baumes lehnt“, erinnerte sich Perriand im Interview von 1984. Als die Möbel 1959 in kleiner Serie neu aufgelegt wurden, stand nur noch Le Corbusiers Signatur darauf. Ihr sei das »völlig egal« gewesen, sagte Perriand. Sie machte nicht Le Corbusier, sondern seine Sammlerin Heidi Weber verantwortlich, die eine Zeit lang die Lizenzrechte besaß. Als Cassina dieser die Rechte abkaufte, unterstützte Perriand beratend, und die fehlenden Namen wurden einfach wieder hinzugefügt.

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