Irma Stern

Zwischen den Stühlen

Das Berliner Brücke-Museum widmet einer hierzulande fast vergessenen Expressionistin eine große Schau. Irma Sterns Leben und Werk zwischen Europa und Südafrika erzählt von den Widersprüchen des 20. Jahrhunderts

Von Simone Sondermann
09.10.2025
/ Erschienen in WELTKUNST NR. 245

Bei Gemälden wie „Zanzibar Boy“ von 1945, auf dem sie einen jungen Mann mit markantem rotem Kopfschmuck porträtierte, fallen die extravaganten Rahmen auf. Wie viele Expressionisten behandelte Stern hier Bild und Rahmen als Einheit. Das mit kunstvollen Schnitzereien verzierte Holz, das sie oft verwendete, stammte von der Insel. Es war dort in Türrahmen verbaut, wie Lisa Hörstmann erzählt, die die Ausstellung zusammen mit Museumsdirektorin Lisa Marei Schmidt kuratiert hat. Die Selbstverständlichkeit, mit der Stern ein kulturelles Erbe Sansibars zweckentfremdete, mutet heute respektlos an, wie Hörstmann kritisch betont. Inzwischen stehen die Türen von Sansibar unter Schutz, ihre Ausfuhr ist verboten.

Irma Stern floh auf ihren Reisen vor der gesellschaftlichen Enge in Kapstadt, doch sie fand dort auch Rückhalt in einem Kreis überwiegend jüdischer Freigeister, zu denen etwa das lesbische Paar Roza van Gelderen und Hirma Purwitsky gehörte. Die beiden führten in Kapstadt eine antiautoritäre Mädchenschule nach dem Vorbild der englischen Summerhill School. Sie sammelten Sterns Werke und versorgten sie mit Auftragsarbeiten, in Berlin hängen die Porträts der beiden Frauen nebeneinander. Stern schuf auch Akte verschiedener Freundinnen, die in der Schau aber weitgehend fehlen. Diese und ihr unkonventioneller Lebensstil brachten ihr in Südafrika vor und während des Krieges den Ruf einer Exzentrikerin ein. Über Sterns sexuelle Orientierung wurde in ihrer Rezeptionsgeschichte immer wieder spekuliert. Von ihrem ersten Mann ließ sie sich scheiden, der zweite verfiel dem Alkoholismus, Kinder hatte sie keine.

Irma Stern
„Arab Priest“ von 1945 hält bis heute den Auktionsrekord für Irma Stern, es erzielte 2011 mehr als 3 Millionen Pfund brutto; OM.831, Qatar Museums/Lusail Museum, Doha - Qatar; James F H Fox/Courtesy of Strauss & Co; Courtesy of the Trustees of the Irma Stern Collection, Cape Town

In den 1940er-Jahren etablierte sie sich mehr und mehr als wichtigste künstlerische Position Südafrikas. Daran änderte auch die Einführung des Apartheid-Regimes 1949 nichts, im Gegenteil. Stern nahm für ihr Land an vier Venedig-Biennalen teil, es gab jährlich Ausstellungen in den großen Städten des Landes, und auch in Europa erinnerte man sich ihrer, etwa mit einer großen Einzelausstellung in der Galerie des Beaux-Arts in Paris. Ihr Verhältnis zum rassistischen Gesellschaftssystem in Südafrika blieb ambivalent. Sie distanzierte sich öffentlich nie, sei es aus Angst, Opportunismus oder aufgrund eigener Vorurteile, doch spendete sie 1961 das Gemälde „Arab in Black“ für die Kosten der Verteidigung Nelson Mandelas, der wegen Hochverrats vor Gericht stand. Bei Bonhams in London erzielte es 2015 knapp 850.000 Pfund, das Auktionshaus warb damals auch mit der bewegten Geschichte des Werks.

Sterns Bilder aus der Nachkriegszeit sprechen ihre eigene Sprache. „Maid in Uniform“ von 1955 ist eines der wenigen Gemälde aus dem Spätwerk, die in Berlin zu sehen sind. Ein schwarzes Dienstmädchen sitzt vor einem Fenster, in adretter Uniform, doch die Körperhaltung und das Gesicht sind nicht die einer Dienerin. Die verschränkten Arme drücken Distanz und Entschlossenheit aus, der Blick aus ihrem schmalen, ausdrucksvollen Gesicht geht zur Seite und entzieht sich der Malerin ebenso wie den Betrachtenden. Es ist ein Bild, das die gesellschaftlichen Umstände mitdenkt und die Porträtierte weder exotisiert noch zum Opfer macht.

Irma Stern hat ein Leben zwischen allen Stühlen geführt und nach ihrem Tod 1966 ein widersprüchliches, rund 2000 Werke umfassendes Œuvre hinterlassen. Ihr einstiges Wohnhaus in Kapstadt ist heute ein Museum, das neben ihren Gemälden und Zeichnungen auch ihre Skulpturen und ihre Sammlung zeigt. Ein Werkverzeichnis gibt es noch nicht. Es ist ein Verdienst des Brücke-Museums, dieser bei uns noch immer wenig bekannten deutsch-jüdisch-afrikanischen Malerin eine Bühne zu bereiten. Schade nur, dass sich die Ausstellung zu sehr in der Kolonialismuskritik verfängt. Statt sich auf Sterns visuelle Sprache zu verlassen, werden den Gemälden Kommentare zur Seite gestellt, die die südafrikanische, nicht weiße Perspektive einbeziehen sollen. Einen besseren Zugang eröffnet dies nicht. Gelungener ist die Intervention des südafrikanischen Künstlers Athi-Patra Ruga, der in seiner Fantasie Irma Sterns Bildwelten weiterdenkt und mit ihren Widersprüchen spielt. Er verehrt Stern seit seiner Jugend, liebt die Farben und die Textur ihrer Bilder ebenso wie ihr widerständiges, paradoxes Leben. Wer sich auf ihre Arbeiten bereitwillig einlässt, fühlt es ihm nach.

Service

Ausstellung

„Irma Stern. Eine Künstlerin der Moderne zwischen Berlin und Kapstadt“

Brücke Museum Berlin

bis 02. November 2025

Mittwoch – Montag: 11 – 17 Uhr
Dienstags geschlossen

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