Unter den Abstrakten Expressionisten nahm Richard Pousette-Dart eine Sonderstellung ein. Erstmals in Deutschland zeigt das Museum Frieder Burda in Baden-Baden sämtliche Facetten seiner hypnotisch wirkenden Kunst
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19.05.2025
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Erschienen in
Weltkunst Nr. 241
Tiefenarbeit braucht nicht nur Zeit, sie folgt auch einer ganz eigenen temporalen Logik. Pousette-Dart arbeitete immer gleichzeitig an mehreren Werken. Die langen Zeiträume, die er benötigte, um sie fertigzustellen, waren Teil des künstlerischen Projekts. Kaum ein Maler dürfte sich schwerer damit getan haben, ein Werk als fertig zu betrachten. Obsessiv kehrte er immer wieder zu seinen Arbeiten zurück. So lange, bis er spürte, dass sie seinen Ansprüchen an Präsenz genügten. Oftmals führen unter der Bildoberfläche zwanzig bis dreißig akribisch aufgetragene Farbschichten ein Eigenleben. Man könnte meinen, dass sie die entstehenden Werke schwerer machten. Doch vielmehr schenkten sie ihnen ein eigentümliches Leuchten. Eine originäre Affekt-Tiefe, die sich nur erschließen lässt, wenn man persönlich vor ihnen steht. Eine eigene Präsenz eben.
In der Abgeschiedenheit von Upstate New York sollten in den nächsten Jahrzehnten unterschiedliche malerische Werkgruppen entstehen, die Pousette-Darts präsentisches, spirituelles Projekt mit jeweils einer eigenen Formensprache angingen. Die langen Zeiträume ihrer Fertigstellung machen es allerdings schwer, sie in einzelne Phasen einzuteilen. Oft stellte der Künstler innerhalb weniger Wochen Arbeiten fertig, die unterschiedlicher kaum hätten sein könnten.
Zu diesen Werkgruppen gehören die sogenannten „Weißen Gemälde“, für die er mit Ölfarbe und Bleistift filigrane Landschaften auf monumentalen Leinwänden schuf, die für die Betrachtenden den Charakter einer sphärischen Erscheinung haben. Auf weißem, mehrmals übermaltem Untergrund treten etwa im fast anderthalb mal zweieinhalb Meter großen „Chavade“ von 1951 zarte gezeichnete Formen hervor – jene „signifikanten Formen“ von Kreisen, Kreuzen, Spiralen, Wellen oder Wirbeln – und verschwinden scheinbar wieder. Man kann nicht sagen, wo sie beginnen und wo sie enden, wie viele Bleistiftstriche nötig waren, um sie zu erschaffen, wie viele Ausradierungen. Zunächst kaum wahrnehmbare Spuren blauer, gelber und roter Farbe lassen an Mauern oder Wände denken, auf denen alte Farbaufträge stellenweise durch neue Farbschichten hindurchleuchten. Es ist ein Werk wie ein jahrhundertealtes Palimpsest, immer wieder neu übermalt, immer wieder neu überschrieben.
Während die „Weißen Gemälde“ weitgehend auf Farbwerte verzichten, stehen Letztere in den „Illuminationen“ und „Fenstern“ des Künstlers im Zentrum. Auch hier wurden unzählige Farbschichten übereinander aufgetragen, häufig in einer quasi-pointillistischen Tupftechnik, die sich im Laufe der Jahre mehr und mehr zum Hauptstilmittel von Pousette-Darts Arbeiten entwickelte. Jede dieser Einzelmarkierungen ist mit großer Sorgfalt gesetzt und jede der Farbschichten, die unter der Oberfläche liegen, trägt zur malerischen und sinnlichen Qualität der Arbeiten bei. Und auch hier, etwa in der Arbeit „Illumination vertikal“ von 1958, kann man an mittelalterliche Manuskripte denken, an Buchmalerei, die oft ein ähnliches Leuchten auszeichnet wie diese Bilder. In anderen Werken verneigte sich der Künstler vor den farbig leuchtenden Fenstern gotischer Kathedralen, ahmte in freier Assoziation ihre Farben nach, abstrahierte ihre Formen und zielte auf ihr auratisches Licht.
Neben weiteren Werkgruppen, in denen sich Pousette-Dart nur auf schwarze und weiße Acrylfarbe konzentrierte oder in denen er mit Öl und Grafit fast grafisch riesige Holzplatten bearbeitete, sind vor allem seine kosmologischen Werke hervorzuheben. Das spirituelle Projekt des Künstlers fand hier auch eine thematische Verarbeitung. In „Feier der Geburt“ von 1975/76 etwa erstrahlt auf einer über drei Meter breiten Leinwand ein Himmel mit Abertausenden malerischen Einzelmarkierungen in Blau, Rot, Gelb und Grün. In einem fernen Echo jener „signifikanten Formen“ verdichten sie sich zu Kreisen, Wellen und Spiralen, nur um sich wieder aufzulösen. Manchmal glaubt man, so etwas wie einen sternenreichen Nachthimmel, das Weltall oder die Milchstraße darin zu erkennen, nur um diesen Gedanken wieder zu verwerfen und mit einem lang anhaltendem Staunen zurückzubleiben.
Den beeindruckenden Arbeiten dieser kosmologischen Werkgruppe – „Meditation über dahintreibende Sterne“ von 1962/63 gehört dazu oder „Hieroglyphe Nummer 7“ – wird man weder mit Fotos noch mit Worten gerecht. Es sind Bilder, die zu pulsieren, zu expandieren und zu konvergieren scheinen. Bilder mit einem radikal hypnotischen Effekt, für die man seinen Blick und seine Entfernung zur Leinwand immer wieder neu justieren muss. Die ihre Betrachtenden im Begehren, mehr und wieder zu sehen, in Bewegung setzen und fast schon tänzeln lassen und für ein Seherlebnis sorgen, das auf ähnliche Weise andauert wie das Hören von Musik. Bilder, die mit allen Dimensionen des Lichts spielen, mit seiner emotionalen und psychischen Wirkung, mit seiner irisierenden Reflexionsfähigkeit, mit seinem Schimmern, seinem Glanz und seinem Strahlen, mit seiner Fähigkeit, ungeahnte Energien freizusetzen. Es sind sphärische Harmonien, die so emotional sind, dass man sich ihnen kaum entziehen kann. Es sind Bilder, in denen man sich verliert.
In einem Vortrag, den er 1951 vor Studierenden in Boston hielt, sagte Pousette-Dart: „Gemälde lassen sich nicht erklären, sie haben ein eigenes Leben, ein eigenes Dasein und eine eigene Stimme, sie müssen individuell erfahren werden. Wir müssen sie aufsuchen und anschauen, dann finden wir in ihnen den Widerschein unserer eigenen Erfahrung und ziehen daraus Inspiration für unser eigenes Wachsen.“ Vielleicht gehören diese Sätze zum Klügsten, was je über Kunst geschrieben wurde. In ihnen wird deutlich, dass Kunst auch eine spirituelle Erfahrung sein kann, ein transformativer Prozess. In ihnen wird deutlich, was Kunst mit uns machen kann. Vielleicht ist nie jemand ernsthafter das Projekt angegangen, mithilfe von Kunst einfache Antworten zu transzendieren und das Verborgene, das Unsichtbare sichtbar machen. Das Projekt, Energien zu übertragen und Emotionen auszulösen. Empathie und Verbundenheit zu stiften, in einer Welt, die davon zu wenig kennt. Und vielleicht entdecken wir Pousette-Dart gerade jetzt wieder, in finster wirkenden Zeiten wie diesen, weil wir seine Botschaft mehr denn je brauchen.
„Poesie des Lichts“ – Richard Pousette-Dart
Museum Frieder Burda, Baden-Baden
17. Mai bis 14. September 2025