Hanna Bekker vom Rath

Im Herzen expressionistisch

Hanna Bekker vom Rath sammelte und handelte mit der Kunst der Moderne. Eine Ausstellung in Chemnitz erzählt von ihrer bedingungslosen Liebe

Von Christiane Meixner
02.07.2024

Wie sie im Cabrio vorfährt, das Verdeck zurückgeschlagen, eine Zigarette im Mundwinkel, und dann elegant vor ihrem Haus hält: Diese kurze Filmsequenz zeichnet in wenigen Sekunden ein mondänes Leben. Hanna Bekker vom Rath fand es gefährlich, das Fahren wie das Rauchen – aber auch, nachdem sie beides um 1932 begonnen hatte, „schöner, als ich’s mir dachte“. Für das Schöne hatte die 1893 geborene Frankfurter Sammlerin und Kunsthändlerin ohnehin eine Ader. Durch ihre Hände gingen Werke der Avantgarde, von August Macke, Ernst Ludwig Kirchner, Max Beckmann oder Wassily Kandinsky. Hanna Bekker vom Rath besaß textile Arbeiten ihrer privaten Malerei-Lehrerin Ida Kerkovius. Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck und Alexander Archipenko erwarb sie in den frühen Zwanzigerjahren. Den Expressionisten Alexej von Jawlensky lernte sie 1926 in Wiesbaden kennen. Eine Fotografie aus ihrer Villa zeigt ein Ruhebett mit übereinandergestapelten Decken und Kissen. An den Wänden dahinter hängen wie selbstverständlich Meisterwerke des frühen 20. Jahrhunderts.

Einen Teil dieser Schätze präsentiert nun die Ausstellung „Hanna Bekker vom Rath. Eine Aufständische für die Moderne“ in den Kunstsammlungen Chemnitz. Die umfangreiche Schau mit knapp 100 Werken der einstigen Sammlung, fotografischen Dokumenten und jener filmischen Erinnerung veranschaulicht die Biografie dieser ungewöhnlichen Frau, deren ästhetischer Geschmack mindestens so progressiv war wie ihre Lebensauffassung: Hanna Bekker vom Rath trennte sich trotz dreier kleiner Kinder 1928 von ihrem Mann Paul Bekker und wagte 1947 einen Neustart als Galeristin. Eröffnet wurde ihr Frankfurter Kunstkabinett mit Arbeiten von Käthe Kollwitz.

Das Talent zum Netzwerken machte sie sich zunutze

Schon in den Zwanzigerjahren hatte Bekker vom Rath, als junge Sammlerin aus vermögendem Elternhaus, Künstlerinnen und Künstler in ihr sogenanntes Blaues Haus in Hofheim am Taunus eingeladen und sie mit interessierten Käufern zusammengebracht. Da lag es nahe, dieses Talent zum Netzwerken auch beruflich zu nutzen. Als Händlerin erwies sich Hanna Bekker vom Rath als überaus erfolgreich, im Kunstkabinett, das es bis heute gibt, etablierte sie nicht zuletzt Protagonisten, die im Nationalsozialismus als verfemt galten und deren Karrieren deshalb jäh unterbrochen wurden. Dennoch ist sie als Galeristin weit weniger bekannt als ein Paul Cassirer oder Ferdinand Möller – was die Ausstellung ändern möchte.

Premiere feierte sie im Brücke-Museum Berlin. Das Haus, ein Geschenk des Malers Karl Schmidt-Rottluff an die Stadt, mit dem er einen Ort für die „Brücke-Künstler“ schaffen wollte, rundet auch die Geschichte um Hanna Bekker vom Rath ab: Mit Schmidt-Rottluff, dessen Bilder sie ebenfalls erwarb, war sie ein Leben lang befreundet.

Großzügigkeit war für sie eine Selbstverständlichkeit

Zur Eröffnung des Museums schenkte sie 1967 die Holzskulptur „Arbeiter mit Ballonmütze“ nach Berlin, später folgten das Gemälde „Dorfecke“ und diverse Zeichnungen. Das Brücke Museum kaufte 1981 im Frankfurter Kunstkabinett Emil Noldes „Verspottung“, dazu besitzt es Bilder, in denen Karl Schmidt-Rottluff Szenen aus Hofheim festgehalten hat. Im Blauen Haus war stets Platz für Kunstschaffende, die dort in Ruhe arbeiten konnten, Schmidt-Rottluff hatte sogar ein eigenes Atelierhaus im Garten. Artist in residence würde man das Angebot der Mäzenin heute nennen, für Hanna Bekker vom Rath war es eine Selbstverständlichkeit.

Ihre Solidarität stellte sie bereits in den 1940er-Jahren unter Beweis. In ihrer Berliner Atelierwohnung fanden geheime Ausstellungen für Künstler statt, denen die Nazis öffentliche Auftritte verboten hatten. Das Publikum wurde mündlich informiert, Besuche diskret organisiert. Eines der wenigen von Hanna Bekker vom Rath selbst gemalten und aktuell gezeigten Bilder richtet den Blick aus ihrer Wohnung auf den nahen Viktoria-Luise-Platz. Eine Ansicht im expressiven Stil, den sie bis zu ihrem Tod 1983 allen anderen künstlerischen Strömungen vorzog. Weit gegenwärtiger wird die Galeristin in den Porträts befreundeter Maler: Schmidt-Rottluff verewigte sie ebenso wie der Autodidakt Benno Walldorf, der die unvermeidliche Zigarette in Bekker vom Raths Hand zum monumentalen Insignie überhöht.

Mit 60 auf große Weltreise

Spürbar wird in Chemnitz auch ihre ungeheure Energie. 1955 – da war Hanna Bekker vom Rath jenseits der sechzig – ging sie auf große Tour. Mit einem von ihr bemalten Metallkoffer voll Kunst reiste sie durch Nord- und Südamerika, nach Südafrika, Indien, Brasilien, um für den Expressionismus ebenso wie für Ernst Wilhelm Nay und Paul Klee zu werben. Die Frau, die an ihrem 70. Geburtstag, das bezeugt ein wunderbares Foto in der Ausstellung, im Kunstkabinett auf einen Tisch steigt, um von der ganzen Festgesellschaft gehört zu werden, stemmt ihren Beruf mit mitreißender Leidenschaft.

Schließlich wog nicht bloß das Kunstgepäck schwer. Sobald Hanna Bekker vom Rath zwischen Hofheim und Berlin wechselte, musste auch eine gut siebzig Kilo schwere Eisenskulptur mit, die heute dem Ostasiatischen Museum in Berlin gehört. Für die unermüdliche Botschafterin der Moderne war der antike chinesische Wuzhiqi, ein Flussgeist der Sung-Dynastie, mal guter Hausgeist und mal Teufel. In jedem Fall jedoch ein gewichtiger Fixpunkt ihres temporeichen, nonkonformen Lebens.

Hanna Bekker vom Rath im Frankfurter Kunstkabinett, 1967. Archiv Hanna Bekker vom Rath, Foto: Victor von Brauchitsch © Victor von Brauchitsch

Service

Ausstellung

„Hanna Bekker vom Rath. Eine Aufständische für die Moderne“,

Kunstsammlungen Chemnitz,

bis 20. Oktober

kunstsammlungen-chemnitz.de

Zur Startseite