Venedig-Biennale 2024

Die schönsten Ausstellungen der Biennale

Traditionell wird die Kunstbiennale in Venedig von hochkarätigen Ausstellungen begleitet. Wir haben vielversprechende Highlights aus dem überwältigenden Angebot in diesem Jahr zusammengestellt

Von Petra Schaefer, Simone Sondermann & Catherine Peter
09.04.2024
/ Erschienen in Weltkunst Nr. 225

Alle sind Fremde

20. April bis 24. November

Den Akzent jeder Biennale setzt die Hauptausstellung, die wie immer sowohl im Arsenale als auch auf dem Giardini-Gelände stattfindet. In diesem Jahr lautet der Titel „Stranieri Ovunque – Foreigners Everywhere“. Damit greift der brasilianische Kurator Adriano Pedrosa auf eine Reihe von Arbeiten des Kollektivs Claire Fontaine zurück. In Paris gegründet, sitzt es heute in Palermo und präsentiert seit 2004 Neonarbeiten mit der Schrift „Fremde überall“ in verschiedenen Sprachen. Das Menschheitsthema Migration ist also im Fokus, auf der Liste der insgesamt mehr als 300 Künstlerinnen und Künstler stehen etwa Etel Adnan, Irma Stern, Lina Bo Bardi oder Ibrahim El-Salahi.

Claire Fontaines Installation „Foreigners Everywhere (Italian)“ mit dem Motto der Kunstbiennale in Venedig 2024
Claire Fontaines Installation „Foreigners Everywhere (Italian)“ aus dem Jahr 2004. © Studio Claire Fontaine, Courtesy of Claire Fontaine and Galleria T293, Rome

Rebecca Ackroyd

Fondaco Marcello, 20. April bis 24. November

In ihren Installationen bringt die britische Künstlerin Rebecca Ackroyd apokalyptische Landschaften mit surrealen Elementen, die auf Themen wie Erinnerung oder Sexualität verweisen, zusammen. Ihre Schau „Mirror Stage“ in der Fondaco Marcello befasst sich mit Jacques Lacans psychoanalytischem Konzept zur Entstehung des menschlichen Selbstbewusstseins.

Porträt der Künstlerin Rebecca Ackroyd 2023 vor ihrer Arbeit „Mirror Stage“
Porträt der Künstlerin Rebecca Ackroyd 2023 vor ihrer Arbeit „Mirror Stage“. © Diana Pfammatter

Erzengel in San Giorgio Maggiore

Abbazia di San Giorgio Maggiore, 20. April bis 24. November

Rund zehn Jahre nach ihrem beeindruckenden Beitrag im belgischen Pavillon präsentiert die 1964 in Gent geborene Berlinde De Bruyckere nun eine Soloausstellung als Collateral Event in Venedig. In der Palladio-Kirche zeigt sie drei neue Werkgruppen mit Bezügen zu europäischen alten Meistern und christlicher Ikonografie. Der Titel der Schau „City of Refuge III“ bezieht sich auf den gleichnamigen Song von Nick Cave. Bildgewaltig präsentiert die Künstlerin fragile Wesen aus Wachs, Holz und Tierhaar wie die Erzengelskulptur „Arcangelo II (San Giorgio)“.

In der Abbazia di San Giorgio Maggiore ist auf der Venedig-Biennale eine Schau von Berlinde De Bruyckere zu sehen
In der Abbazia di San Giorgio Maggiore ist eine Schau von Berlinde De Bruyckere zu sehen. © Lorenzo Palmieri

Im Palazzo wird es tierisch

Palazzo Rota Ivancich, 17. April bis 24. November

Das französische Künstlerduo Claude & François-Xavier Lalanne hat der Welt einen fröhlichen Zoo hinterlassen. Die beiden haben Kohlköpfe mit Hühnern gekreuzt und Schafe in Sitzmöbel verwandelt. 150 ihrer einfallsreichen Werke zeigt die Londoner Galerie Ben Brown Arts unter dem Titel „Planéte Lalanne“. „Hippopotame“ (1998) ist ein mobiles Badezimmer: Der Körper lässt sich zur Wanne ausklappen, das Nilpferdmaul enthält Spiegel und Waschbecken.

Die mobile Skulptur „Hippopotame I“ von Claude and François-Xavier Lalanne
Claude and François-Xavier Lalanne, Hippopotame I, 1998, PLANÈTE LALANNE, 17 April – 3 November 2024, Ben Brown Fine Arts at Palazzo Rota Ivancich, Venice. © 2022 Tom Carter Photography Ltd

Julie Mehretu und ihre Freunde

Palazzo Grassi, 17. März bis 6. Januar 2025

Für ihre bisher größte Schau in Europa zeigt die amerikanische Malerin Julie Mehretu Arbeiten aus 25 Jahren („Among the Multitude XIII“, 2021–2022). Die Schau ist als nicht chronologischer Spaziergang konzipiert, ein besonderer Akzent liegt auf Korrespondenzen zwischen ihrem Werk und denen ihrer Künstlerfreunde. Die Gegenüberstellung mit Arbeiten von Kollegen wie Tacita Dean oder David Hammons erweitert den eigenwilligen Kosmos von Mehretu.

Julie Mehretus Arbeit „Among the Multitude XIII”, zu sehen in Venedig
Julie Mehretu, „Among the Multitude XIII", 2021–2022. © Tom Powel Imaging/courtesy of the artist and Marian Goodman Gallery, New York

Geschichten von Leben und Tod

Santa Maria della Pietà, 20. April bis 24. November

Nur ein einziges Buch hat der Fotograf Peter Hujar veröffentlicht, bevor er 1987 mit nur 53 Jahren starb. Die Essayistin Susan Sontag schrieb das Vorwort zu „Portraits in Life and Death“ und war selbst vor Hujars Kamera (1975), nun ist die gesamte Serie erstmals in Europa zu sehen, in einer Kirche, die einst ein Waisenhaus war. Legendäre Bilder von William Burroughs oder John Waters erzählen von der New Yorker Subkultur, Aufnahmen von Schädeln aus den Katakomben von Palermo geben eine Vorahnung des Todes, der im Zuge der Aids-Welle viele Freunde Hujars und auch ihn selbst zu früh ereilen sollte.

Peter Hujars Fotografie von Susan Sontag ist auf der Biennale in Venedig zu sehen
Peter Hujar, Susan Sontag, 1975. © The Peter Hujar Archive/VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Jean Cocteau: Retrospektive

Peggy Guggenheim Collection, 13. April bis 16. September

Dies ist die erste große Retrospektive des französischen Universalkünstlers Jean Cocteau in Italien. Der Titel „Die Rache des Jongleurs“ spielt auf das Geschick an, mit dem Cocteau (1949) zwischen Prosa und Dichtung, Filmschaffen und Malerei wechselte. Zu sehen ist die ganze Bandbreite seines Schaffens.

Jean Cocteaus „Rache des Jongleurs“ ist Teil der Retrospektive in Venedig
Jean Cocteau: La rivincita del giocoliere / Jean Cocteau: The Juggler’s Revenge. Philippe Halsman / Magnum Photos / courtesy Peggy Guggenheim Collection. © Philippe Halsman / Magnum Photos

Ein Standbein in der Lagune

Palazzo Loredan Grifalconi, 16. April bis 3. August

Die Berliner Galerie Wentrup hat schon eine Dependance in Hamburg, nun kommt ein Standort in Venedig hinzu, im ehemaligen Atelier der Modedesignerin Roberta di Camerino. Eröffnet wird mit der Ausstellung „Capriccio“, zu sehen sind jüngste Arbeiten der Künstlerinnen Mary Ramsden, Anastasia Samoylova und der Französin Marion Verboom („Madonne“, 2023) im Dialog mit Malerei und Keramik von Enzo Cucchi, einer Schlüsselfigur der neoexpressionistischen Bewegung Transavanguardia.

Skulptur „Medulla 6“ der französischen Künstlerin Marion Verboom, zu sehen bei Wentrup in Venedig
Marion Verbooms Keramikarbeit „Medulla 6“ von 2024. © Nicolas Brasseur / courtesy of the artist and Wentrup, Berlin

Die Zukunft des Planktons

Accademia di Belle Arti di Venezia, 20. April bis 24. November

Zu den spannendsten Collateral Events gehört Josèfa Ntjams „swell of spæc(i)es“, ein Projekt der Berliner LAS Art Foundation, in dem sich Ntjam mit dem Meer auseinandersetzt, das die Lagunenstadt prägt und bedroht. Es entstand in Zusammenarbeit mit Meeresbiologinnen und -biologen, der Ausstellungspavillon im Innenhof der Accademia di Belle Arti di Venezia wurde eigens entworfen. In 3-D entfaltet Josèfa Ntjam einen Schöpfungsmythos, in dem Afrofuturismus und die Mythen der westafrikanischen Dogon ebenso eine Rolle spielen wie die Erforschung des Planktons und künstliche Intelligenz.

Filmrendering von Josèfa Ntjams „swell of spæc(i)es“, 2024
Josèfa Ntjam, swell of spæc(i)es, 2024, Filmrendering. Von LAS Art Foundation in Auftrag gegeben. Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin. © Galerie Poggi, Paris/LAS Art Foundation/VG Bild-Kunst, Bonn 2024

Lokal trifft global

Zur letzten Kunstbiennale installierte Sterling Ruby an der Fassade des Palazzo Diedo als eine Art Vorgucker eine apotropäische Stahlkonstruktion, jetzt öffnet der dreistöckige Palast im Cannaregio-Viertel für das Publikum. Die Stiftung Berggruen Arts & Culture hat ihn saniert und internationale Künstlerinnen und Künstler mit In-situ-Werken beauftragt. Zur Premiere stellen unter anderem Urs Fischer, Carsten Höller, Ibrahim Mahama und Mariko Mori aus. Sie reagieren mithilfe lokaler Handwerkstechniken auf die spätbarocke Architektur und die frisch restaurierten Rokoko-Fresken.

Der Künstler Carsten Höller ist mit Arbeiten im Palazzo Diedo vertreten
Palazzo Diedo, Carsten Holler. © Joan Porcel / CASADOROFUNGHER

Reiseberichte von Marco Polo

Dogenpalast, 6. April bis 29. September

„Die Reiserinnerungen sind eine unerschöpfliche Quelle. Sie erzählen von einem Venezianer, der in zwei Welten zu Hause war: im Orient und im Okzident“, erzählt die Kuratorin Chiara Squarcina. Zum 700. Todestag des Händlers Marco Polo illustriert eine Ausstellung seinen Reisebericht „Il Milione“ mit Kunst, Handwerk und Schriften aus dem Spätmittelalter bis heute. Werke aus venezianischen Sammlungen treffen auf Leihgaben aus europäischen Museen sowie aus Armenien, China, Katar und Kanada.

Ludwig Hohlweins Tee-Werbung von 1924 ist Teil der Ausstellung zum 700. Todestag des Händlers Marco Polo
Ludwig Hohlwein Lithografie von 1924 macht Werbung für Tee und ist teil der Ausstellung im Dogenpalast. © SMB, Foto: Dietmar Katz

Zur Startseite