Dieter Jung

„Die Realität ist eine Überraschung“

Als Pionier der Holografie half Dieter Jung in den 1970er-Jahren dieses neue Medium in der Kunstwelt zu etablieren. Die Galerie Kornfeld in Berlin zeigt nun Jungs bahnbrechendes Werk und rückt es so wieder ins Licht der Öffentlichkeit

Von Ralph Gerstenberg
12.01.2024

Dieter Jungs Berliner Altbauwohnung ist zugleich Atelier, Galerie und Archiv des Künstlers. An den Wänden hängen Farbtafeln, Zeichnungen, Gemälde und – natürlich – Hologramme. Schließlich gilt der mittlerweile 82-Jährige als Pionier der Holografie. Ein Hologramm, das gleich im Flur hängt, zeigt seine Tochter und seine Frau. „Eines meiner Lieblingsbilder“, sagt Dieter Jung. „Die beiden müssen mit alldem hier leben.“ Ein geradezu jugendliches Lächeln strahlt in seinem Gesicht.

Auf dem Fischgrätparkett in seinem Arbeitszimmer stehen Kisten. Darin wird ein Teil seines Werkes verpackt, um es zum ZKM, dem Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe, zu verschicken, dem Dieter Jung seit seiner Gründung eng verbunden ist. Dort soll es nun archiviert werden. Im ZKM fand 2019 unter dem Titel „Between and Beyond“ auch eine große Werkschau statt. Neben Hologrammen, Lichtinstallationen, Mobiles wurden Malereien und Zeichnungen gezeigt, die Dieter Jung im Laufe seines Lebens geschaffen hat. Er war also nie ganz in Vergessenheit geraten. Zu seinem achtzigsten Geburtstag erschienen viele Artikel, die ihn als weltweit wichtigen Neuerer der Lichtkunst und Holografie feierten. Dennoch gilt es, sein Werk in seiner Gesamtheit, von den zeichnerischen Anfängen bis zu den großen holografischen Installationen, neu zu entdecken und ihm zu einer breiteren Sichtbarkeit zu verhelfen.

Red in Green in Blue #4, 2011 Dieter Jung © Catherine Peter
Dieter Jung, „Red in Green in Blue #4", 2011 © Catherine Peter

Jemand, der sich genau das auf die Fahnen geschrieben hat, ist Alfred Kornfeld, der eine renommierte Galerie in der Berliner Fasanenstraße betreibt. Neben Jungs ästhetischer Vielfalt und dem persönlichen Draht zwischen Künstler und Galerist haben Kornfeld und sein Team vor allem der Bezug der Jungschen Holografie zur digitalen Gegenwart überzeugt.

„Der hat Kunst gemacht, als es noch keinen Computer gab“, schwärmt Alfred Kornfeld. „Wenn sich unsere jungen Kollegen seine Hologramme anschauen, können sie sich gar nicht vorstellen, dass dieses Bild, das dann im Blickfeld erscheint und wieder verschwindet, ohne Computer entstanden sein soll.“ Bei Dieter Jung kommen Dinge zusammen, die in der Tat (noch) rein menschlich und analog sind: Inspiration, Handwerk, kompositorisches Geschick, Experimentierfreude sowie die große Lust, Grenzen zu überschreiten und Neuland zu betreten.

„Meine Vorstellungen finden Sie an den Wänden, auf dem Boden, schwebend an der Decke“, erzählt Dieter Jung

Wie die Kunst in sein Leben kam? Der im westfälischen Oberdielfen aufgewachsene Künstler muss überlegen. „Ich habe eines Tages meine Spardose gelehrt und mit dem ganzen Geld Farben und Pinsel gekauft. Und dann habe ich mich hingesetzt und auf den Karteikarten meines Vaters, der Landarzt war, gemalt.“ Zwei von diesen Karteikarteikartenbildern existieren noch heute in Dieter Jungs Archiv. Der Wunsch, Künstler zu werden, stieß bei seinen Eltern nicht gerade auf Begeisterung. So bewarb sich Dieter Jung 1962 in Berlin gleich für zwei Studiengänge – für Theologie an der Kirchlichen Hochschule und für Freie Kunst an der Hochschule für bildende Künste (der heutigen UdK). Das Theologiestudium brach er ein Jahr später ab, der Drang zur Kunst war stärker. Zur Beruhigung der Eltern gab er vor, Kunstpädagoge werden zu wollen.

Dieter Jung
Der Künstler Dieter Jung mit seinem Hund vor „The Light Behind“ von 2013. © Catherine Peter

An der Kunsthochschule wurden der Bildhauer Ludwig Gabriel Schrieber und der Maler Hann Trier für Dieter Jung zu wegweisenden Persönlichkeiten. „Hann Trier war nicht nur ein großartiger Maler, sondern auch ein Kosmopolit. Das war nicht so ein Kunstspießer-Professor, wie es viele gab, die unbeweglich dasaßen und ihren Stiefel durchgemalt haben.“ Etwas in Bewegung setzen, Farbe, Licht, Raum, Impulse aufnehmen, sich weiterentwickeln, offen sein, Neues schaffen – das reizte Dieter Jung am Kunststudium. Der vorherrschende Realismus jener Jahre ließ ihn eher kalt – auch wegen Jungs Skepsis gegen allzu eindeutige Wahrheiten und Weltsichten, die er in seinem Theologiestudium gewonnen hatte. Er malte stattdessen Fabelwesen, Tagträume, arbeitete mit Strukturen, Wellenformen, Schwingungen, Unschärfen – oder wie er sagen würde: „Wahrnehmungsschleier“, die in seinen Arbeiten auch als Wahrnehmungsmuster erscheinen.

Von Giacometti zur Holografie

Nach Beendigung seines Studiums 1968 in Berlin studierte Jung weiter an der École des Beaux-Arts in Paris, wo er Alberto Giacometti kennenlernte. Dessen auf Linien reduzierte Figuren beeindruckten den jungen Künstler, arbeitete er doch selbst in seinen Bildern an der Reduzierung von Personen, die sich wie in Massenversammlungen in einer Gesamtheit auflösen, in ihren Strukturen überlagern. Tuschezeichnungen aus jenen Jahren zeigen Berge von Köpfen. Es war die Zeit der Studentenbewegung, der Demonstrationen, Happenings und Kollektivbewegungen, der Auflösung des Ichs im Wir. Auch der Standpunkt des Betrachters und dessen Sichtweise spielten schon früh in Dieter Jungs Werk eine Rolle. Seine großformatigen Porträts von Friedrich Nietzsche und Sigmund Freud aus den siebziger Jahren lösen sich in ihrer webteppichartigen Struktur auf, je näher man ihnen kommt. Umso weiter man entfernt ist, umso klarer kann man das Dargestellte erkennen. „Selbstverwirklichung, Selbsterfassung oder Selbstreduzierung, das waren die Antriebe“, sagt Dieter Jung rückblickend. „Ich habe nie so fürs Publikum gemalt.“

„Blue Box: The Trapped Light“, 2000 © Dieter Jung
Dieter Jung, „Blue Box: The Trapped Light“, 2000. © Catherine Peter

„Er hat sich einfach nicht darum gekümmert“, meint auch der Galerist Alfred Kornfeld. „Er ist gereist, in die USA, nach Brasilien, hatte hier und dort Professuren und hat sich als Künstler immer weiterentwickelt. Der Kunstmarkt ist für ihn nicht das treibende Element gewesen. Ob ein Bild 50.000 oder 100.000 kostete, war ihm relativ egal. Jetzt müssen wir uns damit aber auseinandersetzen. Das ist im Moment auch für ihn eine neue Phase.“ Durch eine weitere Ausbildung an der Deutschen Film- und Fernsehakademie in Berlin, wo Dieter Jung sich vor allem mit Trickfilmtechniken beschäftigte, kam buchstäblich Bewegung in seine Arbeiten. Doch nicht der Film konnte 1974 all das vereinen, was Jung sich vorstellte, sondern eine neue Technik zur Wiedergabe von dreidimensionalen Bildern mittels Laserstrahlen, für die der ungarische Physiker Dennis Gábor drei Jahre zuvor den Nobelpreis erhalten hatte: die Holografie.

„Ich fieberte regelrecht danach, Leute kennenzulernen, die mit Holografie arbeiteten“, erinnert sich Dieter Jung und begann sich, auf der ganzen Welt umzusehen. In New York wurde er fündig. „Ich kam in einen magischen, metrischen Raum in einem Keller unter einem Kino in der 13th Street, in dem überall rote Laserpunkte aufleuchtete. Das war ein Holografie-Labor. Und ich habe gefragt, ob ich dort mitmachen und etwas über Holografie lernen könnte.“

„Das schönste Hologramm ist der Regenbogen“, sagt der Künstler

1977 schuf Dieter Jung seine ersten Hologramme an der New York School of Holography, die damals von Sam Moree und Dan Schweitzer geleitet wurde. Zunächst brachte er Federn mithilfe von holografischer Technik zum Schweben. Bald darauf Texte, zum Beispiel Verse von Hans Magnus Enzensberger, die Jung 1979 in einer Holografie-Ausstellung auch dem Berliner Publikum vorstellte. Damals schrieb der SPIEGEL über seine Text-Hologramme: „Sie stehen, zu gleißenden Schriftzeilen angeordnet, geisterhaft im Raum. Betrachter können sie umschreiten und von unterschiedlichen Standpunkten her lesen. Das hat der Künstler Dieter Jung, 37, zuwege gebracht, und der Neue Berliner Kunstverein zeigt das Phänomen als originelles Beispiel für die Anwendung eines neuen Mediums.“

Dieter Jungs Arbeiten prägen nicht nur die Räume, die er mit seiner Familie bewohnt. Zwei weitere Wohnungen im Haus sind gefüllt mit seinen Hologrammen und Lichtinstallationen. Transoptische Mobiles hängen von der Decke, lassen mit ihren Bewegungen im Licht immer neue farbige Reflektionen entstehen. „Das allererste Mobile habe ich für meine Tochter gebaut“, erzählt er. Die dreidimensionalen Bilder seiner Hologramme erscheinen und verschwinden mit den Bewegungen des Betrachters. Er habe sie mit „Photonen gemalt“, hat Dieter Jung es einmal beschrieben.

Hommage an Otto Piene

Ein zentrales Hologramm seiner Ausstellung 2019 im ZKM war eine Hommage an Otto Piene, einen anderen Visionär der Lichtkunst und Begründer der Sky-Art. Sie zeigt den malenden Otto Piene, Piene im Guggenheim Museum, dessen Frau, die zu ihrer Tochter Jessica schaut, und am Ende wieder Otto Piene, der sich selbst gegenübersteht. Eine ganze Szene, festgehalten in einem einzigen Hologramm! Otto Piene bezeichnete Dieter Jung als „a light magician, a holographic magician, a peace magician”. Jung revanchierte sich, indem er nach dem Tod des Künstlerfreundes einen Asteroiden nach ihm benennen ließ.

Licht-Magie, Licht-Poesie – Dieter Jung beschreibt den Zauber seiner holografischen Arbeiten in ihrer gleichzeitigen An- und Abwesenheit. „Sie sind zum Greifen nah, aber Sie können sie nicht berühren.“

„Es ging ihm immer darum, in Zeiten technischer Innovationen die Malerei neu zu definieren“, bemerkt der Galerist Alfred Kornfeld mit Blick auf Dieter Jungs Gesamtwerk. „Das ist hochspannend.“ Präsentationen in Miami, Berlin und Karlsruhe sollen nun die Grundlage dafür schaffen, Jungs Arbeiten mit unseren digitalen Sehgewohnheiten ins Verhältnis zu setzen, ein neues Publikum dafür zu erschließen. Die Wiederentdeckung lohnt sich, denn – um es mit Dieter Jung zu sagen – „die Realität ist immer eine Überraschung“.

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