Dieric Bouts in Leuven

Maler des Umbruchs

Eine große Ausstellung im belgischen Leuven widmet sich dem Meister Dieric Bouts und taucht ein in die große Vergangenheit der niederländisch-flämischen Malerei an der Wende der Gotik zur Neuzeit

Von Gloria Ehret
26.10.2023

Bouts Lebensweg ist nur lückenhaft nachzuverfolgen. Um 1415 in Haarlem geboren, ist er 1457 erstmals urkundlich in Leuven nachweisbar. 1464 wird der Vertrag seines Abendmahlaltars für die Bruderschaft des Heiligen Sakraments erwähnt, brauchte es in dieser Umbruchszeit doch neue visuelle Programme. 1465 wurde er Stadtmaler, 1469 das neue Rathaus vollendet, dessen Stadtväter auch Aufträge an Bouts vergaben. Mit seiner ersten Ehefrau Katharina van der Brügghen hatte er vier Kinder, von denen die zwei Söhne Dieric der Jüngere und Albrecht ebenfalls erfolgreiche Maler wurden. Nach dem Tod der ersten Frau heiratete Dieric Bouts in zweiter Ehe Elisabeth van Voskem. Seine testamentarische Verfügung datiert vom 17. April 1475, am 25. August 1475 ist er gestorben. Sein Wirken entfaltete sich in dieser kurzen Blütezeit der Stadt, die alsbald in finanzielle Schwierigkeiten geriet, denen Unruhen folgten, bevor sie 1478 von der Pest heimgesucht wurde.

Dieric Bouts Erscheinung Christi an der Berytusbrücke
Dieric Bouts, „Die Erscheinung Christi an der Berytusbrücke", um 1460. © Museum Leuven

Fixstern und Vorbild am nordeuropäischen Malerfirmament war in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts Rogier van der Weyden, ab 1435 Stadtmaler in Brüssel, wo er eine große Werkstatt betrieb. Von ihm geprägt, hat die folgende Genration mit Dieric Bouts, dem etwa gleichaltrigen Petrus Christus, die beide nach denselben Vorbildern arbeiteten, und Albert van Ouwater, der in den 1450/60er Jahren auch in Löwen,  das künstlerische Milieu bestimmt. Unbekannt ist, ob Bouts mit Petrus Christus je in persönlichen Kontakt getreten ist. Sicher ist hingegen eine Verbindung Bouts’ mit dem Laienbruder und Maler Hugo van der Goes, der die Gerechtigkeitstafeln nach Bouts’ Tod vollendet hat. Auch hat er dem Sohn Albert Bouts zusammengearbeitet.

Nun widmet Leuven ihrem bedeutendsten Maler nach 25 Jahren wieder eine große Sonderausstellung mit einer Fülle bisher nie vereinter, in aller Welt verstreuten Exponate: 25 Werke von Dieric Bouts und seiner Werkstatt inklusive 40 Arbeiten mit historischem Bezug. Neu ist dabei die bewusste Zusammenschau mit Werken des 21. Jahrhunderts, in denen man ein etwaiges Fortleben von Bouts’ Bilderkosmos vermutet. Zudem ist die Sonderschau Teil des Dieric-Bouts-Festivals, das mit Musik, Theater und Lesungen „Neue Horizonte“ verspricht.

Museum Leuven Dieric Bouts
Blick in die Ausstellung im Museum Leuven. @ Museum Leuven

Die Ausstellung – unter Federführung des Dieric-Bouts-Experten Peter Carpereau – holt weit aus. Sie bettet den Maler in das prägende geistige und kulturelle Umfeld ein. Wir blicken zurück ins 15. Jahrhundert, als die Themen der bildenden Kunst in Europa von den weltlichen und kirchlichen Machthabern bestimmt waren. Die ausführlichen Katalogbeiträge erhellen diesen fernen Hintergrund: Die feudalen Strukturen wurden durch neue urbane Kräfte städtischer Bruderschaften und Gildenersetzt ersetzt. Gleichsam als Katalysator und Vermittler aktueller geistigen Strömungen wirkte die inspirierende Atmosphäre der 1425 gegründeten Löwener Universität.

Neben einer Reihe Porträts charakterisieren sakrale Gemälde und große mehrteilige Altäre sein Werk. Leben und Leiden Jesu Christi bildeten den Schwerpunkt. Wie innovativ der Maler war, belegt schon sein erstes datiertes Werk mit dem „Bildnis eines Mannes“ von 1462. Andreas Beyer würdigt es in seiner opulenten, 2002 im Hirmer-Verlag erschienenen Publikation „Das Porträt in der Malerei“ wie folgt: „Erstmals in der Geschichte des Privatporträts wird dem Dargestellten hier ein von der Außenwelt unterschiedener eigener Innenraum zugewiesen“, und „das Fensterausblick-Motiv in die Porträtkunst eingeführt“.

Dieric Bouts Abendmahl
Triptychon des heiligen Abendmahls von Dieric Bouts, 1464–1468, aus der Kirche St. Peter in Leuven. © artinflanders.be, Dominique Provost

Flügelaltäre schmückten die Kirchen. Als Paradebeispiel sei Bouts’ Triptychon mit der Kreuzabnahme von 1450/58 aus Granada herausgegriffen. Die linke Tafel zeigt Christus am Kreuz, die große Mittelszene schildert die Abnahme, während die rechte Tafel den Auferstandenen darstellt. Zum Qualitätsvergleich bietet sich eine schwächere Version nach Bouts’ Tritpychon aus Valencia an.

In dramatischen, teils grausamen, vielfigurigen Martyrien-Darstellungen agieren oder erleiden Bouts’ typische, schmale, gelängte Figuren mit ausgreifenden Gesten und verzerrten oder leidenden Gesichtern körperliche Schmach und seelisches Leiden in einer weiter Landschaft. Man beachte, welche Bedeutung Bouts den Händen einräumt: schmerzverkrampft durchbohrt und Blutverspritzt, wenn sie ans Kreuz genagelt wurden, kräftig zupackend, wenn sie einen Stab umgreifen, zart, wenn Maria das Jesuskind hält. Beim direkten Werkvergleich des großen Vorbilds Rogier van der Weyden und Dieric Bouts wird ersichtlich, dass Bouts` Zeichenstil weniger ausgearbeitet ist, Gesichter ein wenig plumper erscheinen, das „Chiaroscuro“ des Nachgeborenen wiederum den Eindruck echter Beleuchtung auf Gesicht- und Haut, und damit eine neue Lebendigkeit, erwirkt. Zu Bouts’ Hauptwerken gehört die sogenannte „Perle von Brabant“, ein Flügelaltar mit der „Anbetung der Heiligen Drei Könige“ aus der Alten Pinakothek in München – nun ein Highlight in der Ausstellung.

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