Ausstellungen

Ringen um Form und Anerkennung

Was macht die alte Kunst so spannend? Die Qualität der Objekte – und ihre facettenreiche Geschichte durch die Jahrhunderte. 77 Jahre lang war Massimiliano Soldani Benzis Bronzegruppe verschollen: Jetzt wurde sie wiederentdeckt und glänzt im Bayerischen Nationalmuseum in München.

Von Gloria Ehret
07.11.2016

Die stupende Komposition der beiden lebhaft miteinander kämpfenden Ringer und der makellose, detailreiche Bronzeguss bestechen auf den ersten Blick. Der berühmte Florentiner Hofbildhauer Massimiliano Soldani Benzi (1656–1740) schuf die 40,5 Zentimeter hohe Figurengruppe um 1710 nach einer antiken Marmorskulptur im Besitz der Medici. Der verkleinerte Nachguss gelangte wohl als Geschenk nach Düsseldorf an den Wittelsbacher Hof, denn Kurfürst Johann Wilhelms von der Pfalz war mit einer Medici verheiratet. 1730 gelangte die Bronzegruppe im Zuge der Ausstattung des neuen Residenzschlosses nach Mannheim, wo sie 1780 noch im Inventar der kurpfälzischen Sammlungsbestände genannt wird. Nach dem Aussterben der altbayerischen Linie 1777, gelangte sie um 1800 unter dem neuen, nun in München residierenden Kurfürsten Karl Theodor nach München, wo sie ab 1844 mit weiteren Bronzen aus Johann Wilhelms ehemaligem Besitz im Galeriegebäude des Münchner Hofgartens ausgestellt war. Mit der Überweisung in das Bayerische Nationalmuseum 1911 erhielt sie die Inventar-Nummer 11/106 und wurde in Saal 26 ausgestellt. 1939 hat man die Ringergruppe zur Ausstattung des in fußläufiger Entfernung gelegenen Prinz Carl Palais ausgeliehen, das dem NS-Regime seit 1937 als Gästehaus für Staatsbesuche gedient hat. 1943 wurde die attraktive Ringergruppe mit weiteren repräsentativen Objekten ins Schloss Hirschberg gebracht, das Benito Mussolini als Aufenthaltsort dienen sollte. Dann verlor sich vermeintlich ihre Spur, denn 1947 bezeichnete sie der damalige Hauptkonservator des Bayerischen Nationalmuseums als „Verlust durch Diebstahl oder Plünderung“. Im Jahr darauf wird unter den aus Schloss Hirschberg zurückgeführten Kunstwerken eine Ringergruppe im „Central Collecting Point“ in München samt Karteikarte mit Foto als „modern copy“ bezeichnet. Kein Kunsthistoriker, kein Museumsfachmann, niemand hat den Bezug zwischen der vermeintlich modernen Kopie und der verschwundenen Barockplastik hergestellt. Selbst Hans Robert Weihrauch, langjähriger Direktor des BNM und ausgewiesener Kenner von Bronzebildwerken, bezeichnete „das vorzügliche Exemplar“ der Ringergruppe im Bestandskatalog des BNM als „im Krieg vernichtet“.

Erst Dr. Jens Burk, Referent für Skulptur und Malerei von 1500 bis 1800, bemerkte im Frühjahr 2016 die unzweideutige Inventar-Nummer der Ringergruppe, die jahrelang im Museum für Abgüsse Klassischer Bildwerke im Münchner Haus der Kulturinstitute vor sich hingeschlummert hatte. Jetzt fiel es den Fachleuten wie Schuppen von den Augen: das ist das Bronzebildwerk Soldanis von 1710! Dank der lückenlosen Provenienz, die zurückreicht bis zum Florentiner Hofbildhauer und dem großherzoglichen mediceischen Auftraggeber, ist die Plastik, zu der es eine gleiche Fassung in Toronto gibt, als erstrangige Barockbronze rehabilitiert.

Nach 77 Jahren steht sie nun prominent im herrschaftlichen Treppenaufgang des Bayerischen Nationalmuseums neben der monumentalen Ringergruppe desselben Künstlers aus demselben Jahr, die andere jedoch in gleicher Größe wie das Antikenoriginal. Der originalgroße Abguss wurde 1756 für den Landgrafen Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel aus Genueser Adelsbesitz erworben und kam 1959 ins Bayerische Nationalmuseum. Beider Vorbild, die antike Marmorgruppe, gehörte seit 1677 zu den Hauptwerken der berühmten Antikensammlung der Medici in Florenz und ist bis heute in der Tribuna der Uffizien ausgestellt. Der Ruhm der antiken Ringergruppe spiegelt sich in zahlreichen Nachbildungen und Nachgüssen unterschiedlicher Größe, so auch prominent in den beiden Münchner Fassungen im Bayerischen Nationalmuseum.

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